Die warme Nachmittagssonne schien zwischen ein paar Bäumen hindurch und erleuchtete die große Wiese, die vor mir lag. Thomas saß in dem saftig grünen Gras auf der rotkarierten Picknickdecke und reichte unserer Tochter eine Erdbeere, die mit Schokolade überzogen war. Die zwei liebten diese Erdbeeren über alles. Thomas liebte sie, weil sie ihn immer wieder daran erinnerten, welches Leben er sich jetzt aufgebaut hat. Wir haben New York schon vor fünf Jahren verlassen und leben nun etwas weiter abgeschieden auf dem Land. Er hat ein schönes, großes Haus mit einem ordentlichen Stück Feld und Wald gekauft. Ein Haus voller schöner Möbel und Räume, zum Beispiel das Schlafzimmer mit dem gemütlichen Flechtkorbstuhl am Fenster oder der großen, ländlichen Küche, in der ich drei Mal täglich das Essen für uns mache. Und wo ich eben auch diese Erdbeeren mache. Julie liebt die Erdbeeren, weil sie ihr gut schmecken. Eine weitaus nicht so tiefgründige Antwort auf diese Frage wie die von Thomas, aber sie ist ja auch erst vier.
Zurück in der Realität saß ich mit überschlagenen Beinen auf den Treppenstufen unserer Veranda und beobachtete Thomas und Julie, wie sie auf dem Feld spielten. Es war so bezaubernd, wie er sie herumwirbelte, während sie laut lachte. Oder wie er sie jeden Abend ins Bett brachte und ihr eine Geschichte vorlas. Es war oft die selbe, "Alice im Wunderland". Er las ihr jeden Abend ein Kapitel vor. Meistens schlief sie dabei ein, aber das waren wir schon gewohnt. Vermutlich war das auch der Grund, warum sie so viel Fantasie hatte. Die hätte ich sicherlich auch, wenn ich jeden Abend mit Geschichten von einem sprechenden weißen Kaninchen, einer rauchenden Raupe und einer grinsenden Katze einschlafen würde. Auch jetzt hörte ich sie darüber reden, wie sie vorhin noch ein Kaninchen auf dem Feld gesehen hatte. Thomas lachte nur und hob sie auf den Arm. Er zeigte zu mir und Julie nickte begeistert. Er ließ den Picknickkorb der Picknickkorb sein und kam mit Julie im Gepäck zu mir.
Ich stand auf und er küsste mich auf die Wange. Dann setzte er Julie ab und sie rannte direkt durch die große Glastür in die Küche. "Pass auf, kleine Maus!" rief Thomas mit einem Lächeln. Ich schaute ihr nur hinterher. "Santana müsste gleich da sein, oder?" fragte er. Ich schaute auf die Uhr und nickte. "Ja, ich glaube schon. Wenn sie denn mal pünktlich ist." Er lachte und zog mich in seinen Arm. "Auch wenn sie oft unpünktlich ist, so kommt sie doch immer noch rechtzeitig. Das weißt du doch am besten." Er lächelte immer noch, aber ich verstand, was er sagte. Unbehaglichkeit breitete sich in mir aus, als ich an diesen dunklen Tag dachte. Wir hatten lange abgesprochen, dass Julie nichts davon erfahren durfte. Davon, was wir einst einmal getan hatten. Naja, was ihr Vater getan hatte.
Ich hörte ein Auto vorfahren und begab mich schnell zur Haustür. Da stand er auch, der blaue Wagen. Die Fahrertür öffnete sich und Santana stieg aus. Aus dem Haus kam jetzt unser Hund Sammy kam laut bellend und mit einem enthusiastischen Schwanzwedeln nach draußen gerannt. Santana beugte sich zu ihm runter und kraulte ihm den Kopf. "Hallo mein Kleiner." murmelte sie, während sie ihm liebevoll durchs Fell strich. Dann richtete sie sich auf und drückte mich fest an sich. Ich erwiderte die Umarmung und der blumig-frische Duft ihres Parfums stieg mir in die Nase. Mittlerweile lehnte Thomas in der Tür. "Julie, komm zur Tür, deine Tante Santana ist da!" rief er durch das ganze Haus und ich sah Julie schon die Treppe runterstolpern, als sie nach draußen rannte, um mir Santana abzunehmen. Tante Tana, wie Julie sie immer nannte, hob sie auf den Arm und Julie begann fröhlich vor sich hinzuplappern. Irgendwie war es seltsam, dass sie nicht ihre echte Tante und ihre echten Onkel kannte. Meggie, Anton und Akardi wussten nichts von ihr. Vermutlich dachten sie sowieso alle, ich wäre tot. Aber naja, ich wollte eigentlich auch gar nicht unbedingt wieder Kontakt zu ihnen. Laut Thomas brauchte ich das auch nicht, wenn ich nicht wollte.
Mittlerweile hatten wir uns in der Küche wiedergefunden. Ich kochte gerade die Soße, während Thomas der Hüter der Soße war, wie Santana es immer sagte. Diese saß an dem Tisch auf der angrenzenden Veranda und lackierte Julie die Nägel. Ich liebte es, wie liebevoll sie mit ihr umging, wie sanft sie sein konnte. Santana hatte selbst keine Kinder, weil sie keine Partnerin hatte. Ja, sie war lesbisch. Wir beide - Thomas und ich - unterstützten es sowieso, dass Homosexuelle ganz normal in der Gesellschaft aufgenommen werden, und so konnten wir sicherstellen, dass Julie mit dem Wissen, dass dies etwas ganz normales ist, aufwuchs.
"Ach ja, das habe ich ganz vergessen!" Santana sprang auf und eilte zurück zum Auto. Ich folgte ihr verwirrt. Sie steckte mit ihrem Oberkörper im Auto und wühlte im Kofferraum herum. Dann zog sie ein Paket heraus. Es war in gelbes Geschenkpapier verpackt, mit einer großen weißen Schleife darum gebunden. Sie eilte mit mir am Arm wieder zurück zu Julie und reichte es ihr. "Pack aus, es ist für dich." Neugierig machte sie sich an dem Paket zu schaffen und hielt letztendlich ein viktorianisches Nachthemd in der Hand, das aussah, als stammte es aus einem altenglischen Internat aus dem achtzehnten Jahrhundert. Julie legte es beiseite und umarmte Santana fest.
Später, als die Sonne schon sehr tief stand, saß Julie draußen auf ihrer Schaukel unter dem Kirschbaum und wippte fröhlich hin und her, während Santana, Thomas und ich noch draußen saßen und redeten. Santana erzählte von ihren verzweifelten Versuchen, für den heutigen Tag einen Kuchen zu backen. Thomas erzählte, wie er an unserem Jahrestag versucht hatte, zu kochen und wir dann letztendlich etwas beim Chinesen bestellt hatten. Ich erzählte von meinem kläglichen Erlebnissen beim Geschenkeshopping für Thomas, wo ich ein Shirt dreimal umtauschen musste, weil es immer die falsche Größe gewesen war. Allgemein lachten wir viel. Nicht nur über unsere dummen Missgeschicke aus dem Alltag, sondern auch, weil wir einfach wieder zusammen waren. Thomas trank sein eiskaltes Bier, Santana ein Beck's und ich eine einfache Flasche Fassbrause mit Apfelgeschmack. Thomas hielt seine Flasche in der Hand, stellte sie aber ab, als Julie zu ihm kam und er sie auf seinen Schoß hob. "Na kleine Maus, bist du müde?" Sie nickte und gähnte. Dabei sah ich ihre kleinen, weißen Zähnchen aufblitzen. "Na dann geh mal schonmal ins Bad und putz dir die Zähne, ich komme gleich." Julie huschte ins Haus und ich folgte ihr.
Im Badezimmer stand sie auf dem kleinen giftgrünen Hocker, den Thomas extra für sie gekauft hatte, damit sie sich auch im Spiegel sah, und putzte sich brav die Zähne. Ihre langen, braunen Haare wackelten im Takt der Bewegung ihres Arms mit und reflektierten dabei das Licht der Deckenleuchte. Schon spülte sie ihren Mund mit Wasser aus und schaute sich ihr Werk an. Ich trat hinter sie und nahm ihre Haare in die Hände. "Machst du mir heute die Haare Mommy?" fragte sie mich begeistert. "Wenn du das möchtest, mache ich das gerne." Ich strich ihr sanft über die Wange und begann, ihre Haare zu flechten. Immer wieder legte ich eine Strähne in die Mitte und genoss dabei das angenehme Gefühl ihrer Haare in meiner Hand. Als ich zwei Zöpfe geflochten hatte, legte ich sie ihr rund um den Kopf und pinnte sie mit zwei Haarnadeln fest. "So, jetzt siehst du aus wie eine Prinzessin. Fehlt nur noch dein neues Nachtkleid, nicht wahr?" Sie riss begeistert den Mund auf und rannte nach oben, wo ich es ihr bereits auf ihr Bett gelegt hatte. Hastig zog sie es sich über und hopste dann ins Bett. "Singst du mir was vor?" Ich nickte und räusperte mich.
Auf dieser Wiese unter der Weide, Ein Bett aus Gras, ein Kissen wie Seide. Dort schließe die Augen, den Kopf lege nieder, Wenn du erwachst, scheint die Sonne wieder.
Hier ist es sicher, hier ist es warm, Hier beschützt dich der Löwenzahn. Süße Träume hast du hier und morgen, erfüllen sie sich, An diesem Ort, da lieb ich dich
Auf dieser Wiese, im tiefen Tal, Ein Blättermantel, ein Mondenstrahl. Dort vergiss den Kummer, leg beiseite die Sorgen, Fortgespühlt sind sie am Morgen.
Hier ist es sicher, hier ist es warm, Hier beschützt dich der Löwenzahn. Süße Träume hast du hier und morgen, erfüllen sie sich, An diesem Ort, da lieb ich dich.
Julie schlummerte bereits, aber ich saß immer noch an ihrem Bett. Ich wählte dieses Schlaflied. Nicht, weil es aus meinem Lieblingsfilm stammte. Nicht, weil es mir einfach gerade so eingefallen war. Ich wählte dieses Schlaflied, weil es genau auf die Wiese hinter unserem Haus zutraf. Der Ort, wo ich mein Kind großzog. Der Ort, an dem ich mit Thomas lebte. Der Ort, der nun mein Zuhause war.
The End.
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Flashlight (German Thomas Sangster FF)
Fanfiction"Sie ist nervig, sie ist komisch, sie bringt mich zum schreien, sie macht mich verrückt, sie ist komplett gestört und sie ist alles, was ich will." Lucia ist ein zartes Vorstadtmädchen, das nie mit der illegalen oder kriminellen Szene in Berührung g...