Kapitel 6 • Lucia

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Seine Stimme klang selbstbewusst. "Du hast sicher viele Fragen." Er stand auf und ging ein wenig im Raum herum. "Und deshalb", er ließ sich von einem rothaarigen Mädchen ein Tuch reichen, "Müssen wir dich erstmal stumm schalten." Bevor ich etwas sagen konnte, drückte er mir das Tuch vor Mund und Nase. Ich schnappte nach Luft, aber alles, was ich einatmete, waren seltsame Dämpfe. Die Welt verschwamm, aber das letzte, was ich sah, war Thomas, wie er mich mit ausdruckslosem Gesicht anschaute.


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Alle Geräusche waren gedämpft. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in einem geschlossenen Raum hockte. Ich war an ein Rohr gebunden. Es war ziemlich sicher der Abstellraum oder ähnliches, ich fühlte mich nur ziemlich eingedrängt hierdrin. Kenna war nicht zu sehen. Ich begann, mit den Händen an dem Rohr zu klackern. "Holt mich hier raus!!!" brüllte ich aus voller Seele. Und tatsächlich, die Tür öffnete sich und das dunkelhaarige Mädchen aus dem Café stand vor mir. "Gott, schrei doch nicht so." "Sonst hört mich hier ja keiner." gab ich zurück. Es sollte zwar schnippisch klingen, hörte sich aber mehr nach einer Entschuldigung an. Sie seufzte, ging auf mich zu und ging an meiner linken Seite in die Hocke. Dann fummelte sie an meinen Fesseln rum. "Ich musste dich sowieso holen." murmelte sie. Leider waren meine Handgelenke immer noch geknebelt, aber immerhin waren meine Füße frei.

Das Mädchen schob mich durch das Theater auf den Hinterhof. Es war bereits dunkel geworden. Draußen standen mehrere Jungs und mit dem Mädchen, das mich geholt hatte, und mir auch vier Mädchen. Aber Kenna fehlte. "Wo ist Kenna?" fragte ich sie. "Wer?" "Meine Freundin, die bei mir war?" fragte ich ironisch. Einer der Jungs fuhr mich an. "Rede nicht so mit Allison!" "Scott, hilf mir mal mit dem Computer." Der Junge, der mich angefahren hatte, drehte sich um und half einem anderen dabei, die Computer im Kofferraum zu verstauen. Niemand beobachtete mich. Das war meine Gelegenheit zur Flucht. Ich drehte um und rannte so schnell ich konnte zur Straße.

Ich kam vielleicht fünf Meter und hatte den Hinterhof noch nicht einmal hinter mir gelassen, als mich eine Gestalt packte und gegen die gepflasterte Mauer drückte. Im fahlen Mondlicht erkannte ich Thomas. Seine Hand lag auf meinem Mund, die andere war rechts neben meinem Kopf abgestützt. "Du wolltest uns doch wohl noch nicht verlassen, oder?" fragte er mich. Ich konnte nicht antworten, ich starrte ihn einfach nur an. Er packte mich, drehte mich um und führte mich zurück zu den Autos. "Erst wollten wir dich ja mit Allison fahren lassen, aber vielleicht ist es besser, wenn du bei mir bleibst." Er riss die Tür hinter dem Beifahrer auf und stieß mich hinein. Ich rutschte bis ganz außen auf die Sitzbank und drückte meinen dröhnenden Kopf gegen das kühle Glas. Wieder rollten ein paar Tränen an meiner Wange runter. Ich wollte hier nicht weg. Sie entführten mich, ein unschuldiges Vorstadtmädchen! Was hatte ich ihnen getan? Ich wusste es nicht.

Thomas ließ sich neben mir nieder, allerdings ebenfalls am Fenster. Der Wagen wurde von Santana gefahren. Es überraschte mich etwas, dass wir nur zu dritt waren. Als hätte Thomas mein Denken gehört, brach er die Stille. "Die anderen beiden Wagen sind auch nicht voll, aber das heißt nicht, dass du auch nur die geringste Chance hast, Engelchen." Bei diesem Spitznamen hätte ich am liebsten Rotz und Wasser geheult. So nannte mein Vater Meggie immer. Santana startete den Motor. "Wir fahren in der Mitte, oder?" fragte sie und schaute Thomas durch den Spiegel an. Er nickte. Also bog der schwarze Wagen aus dem Hinterhof und auf die Straße ab. Vor und hinter uns Autoleibwachen. Wäre ich nicht in dieser Situation, hätte ich das bestimmt lustig gefunden. Stattdessen musste ich durch die verdunkelten Scheiben zusehen, wie alles, was ich je gekannt hatte, an mir vorbeizog. Mein Kindergarten, der Bäcker, meine jetzige Schule, das Café, der Marktplatz. Mein komplettes Leben zog an mir vorbei, und dafür begann eine Reise ins Unbekannte, mit einer kompletten Bande voller Verbrecher. Und obendrein war ich ganz allein. Nicht mal Kenna hatten sie mitgenommen. Aber warum nur?

All diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich langsam in einen traumlosen Schlaf verfiel.


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Ich wurde durch ein unruhiges Ruckeln wach. Ich lag auf der Rückbank, allerdings nicht alleine. Mein Rücken lag auf Thomas' Schoß und mein Kopf war eng an seine Brust gekuschelt. Ich hörte sogar seinen Herzschlag. Trotzdem versuchte ich mich zu lösen und bemerkte dabei aber, dass meine Hände wieder frei waren. "Willst du mich schon wieder wecken?" Ich bekam auf der Stelle eine Gänsehaut. Seine raue Morgenstimme war wirklich... attraktiv.

Fast hätte ich weiter über ihn geschwärmt, doch dann fiel mir wieder ein, wer er war. "Wieso schon wieder?" fragte ich stattdessen leise. Thomas öffnete die Augen, rieb sie sich und setzte sich aufrecht hin. "Naja, heute Nacht bist du zwar eingeschlafen, hast mich aber die ganze Zeit getreten. Das hat genervt und weil ich dich nicht schon wieder bewusstlos machen wollte, habe ich dich einfach festgehalten." Ich antwortete nicht. Santana fuhr den Wagen immer noch, vor und hinter uns waren die anderen. "Wo bringt ihr mich hin?" "New York." antwortete Santana monoton. Ich schluckte schwer und richtete meinen Blick wieder aus dem Fenster, damit sie nicht sehen konnten, wie sich die Tränen stumm einen Weg über meine Wangen bahnten.












Flashlight (German Thomas Sangster FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt