In der Hand des Feindes

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Als Gwaen aus ihrer tiefen Ohnmacht erwachte, zogen mit einem Mal höllische Schmerzen durch ihren Kopf. Auf ihrer linken Gesichtshälfte glaubte sie etwas zu spüren, dass sie verdächtig an getrocknetes Blut erinnerte. Im ersten Moment konnte sie sich nicht erinnern was passiert war und überlegte krampfhaft. Bilder spiegelten sich vor ihrem inneren Auge wieder. Eine Meute Orks. Der Sturz. Und Bolg. Sie riss die Augen auf und die Bilder verschwanden, doch die Angst blieb. Erst jetzt merkte Gwaen, dass sie unsanft an ihren Armen über steinernen Boden geschleift wurde. Die Fesseln hatte man ihr abgenommen, nur um sie durch metallene zu ersetzen. Mit einem Ruck wurde die Elbin zu Boden geschleudert, wo sie völlig entkräftet liegen blieb. Mühsam hob sie den Blick, um sich einen Überblick über die Lage verschaffen zu können. Es war tiefe Nacht und der Mond schien nur schwach auf das Gemäuer in dem sie sich befanden. Dieses lag erhöht in mitten einer weiten Ebene, hinter der sich  Bergketten erkennen ließen. Angestrengt dachte die Diebin nach, wo sie sein könnte und besah sich das Gemäuer genauer. Es erinnerte entfernt an einen alten Wachturm und sie vermutete, dass sie sich auf der Wetterspitze befinden musste. Ihr Blick wanderte weiter und blieb an einem grausigen Schauspiel hängen. Dort standen zwei verängstigte Orks, die von den anderen und mehreren Wargen eingekesselt wurden, während der eine von ihnen mit zittriger Stimme einen Bericht leistete. Vor ihnen lag ein riesiger weißer Warg, der die Zähne fletschte und neben ihm......ein großer bleicher Ork. Sein Körper war mit Narben übersät und sein linker Unterarm wurde durch eine eiserne Klaue ersetzt. Es war Azog der Schänder. 
Panik machte sich in Gwaen breit. Sie hatte also Recht behalten. Bolg hatte sie direkt zu seinem Anführer gebracht. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Sie wollte sich gar nicht erst vorstellen, was diese widerlichen Kreaturen mit ihr machen würden wenn sie nicht kooperierte. Und das hatte sie nicht vor. Niemals würde sie sich dazu hinreißen lassen Unschuldige zu töten und dem dunklen Herrscher zu dienen. Zitternd versuchte sie sich wieder auf das Geschehen zu konzentrieren. Sie verstand ein wenig von der Sprache der Orks und es fiel des öfteren der Name Thorin Eichenschild. Bei diesem Namen klingelte irgendetwas bei ihr, doch sie konnte ihn nicht zuordnen. Gwaen verstand so viel, dass sie aus dem Gespräch herausfiltern konnte, dass es darum ging das die Orkmeute bei der Jagd auf eine Gruppe von Zwergen auf dem Grünweg gescheitert war. Und das durch die Hand von Elben. 'Elrond', dachte sie, bevor sie wieder aus ihren Gedanken gerissen wurde. 
Azog hatte den Sprecher mit seiner Klaue gepackt und den Wargen zum Fraß vorgeworfen, während der andere überlebende Ork ängstlich zurückwich. Doch der Schänder nahm keinerlei Notiz mehr von ihm. Sein Blick wanderte zu Bolg, welcher während des Geschehens vorgetreten war, um auf sich aufmerksam zu machen. Ehe sie es sich versah wurden Gwaen unsanft von Bolg an den Haaren gepackt und bis vor Azogs Füße gezogen. Dort riss er ihr den Kopf in den Nacken, sodass sie Azog direkt in seine kalten, blauen Augen sehen musste. Er musterte ihr Gesicht genauestens und blickte ihr direkt in die Augen. Gwaen wollte seinem Blick ausweichen, doch als er grob ihr Kinn packte und zu sich herum riss, hatte sie keine andere Wahl als es über sich ergehen zu lassen. Endlich wandte er den Blick von ihr ab und redete eindringlich mit Bolg. Auch ohne genau hinzuhören wusste sie, dass es um sie und ihre Kräfte ging. Mit einem Mal richtete Azog sein Wort an die junge Elbin. Zu ihrer Überraschung jedoch nicht auf Orkisch sondern in Westron: „Nun Elbenweib. Du bist also die die wir gesucht haben.“ Seine kalte, tiefe Stimme ließ sie zusammenfahren und sie konnte keinen Laut von sich geben. Der Schänder fuhr ungerührt fort.
„Du weißt sicher was wir von dir wollen. Deine Kräfte sind einzigartig und mein Herr kann dir zeigen wie du sie nutzen kannst. Du musst dich uns nur anschließen.“ Bei diesen Worten legte er ihr seine Hand schon fast zärtlich aufs Gesicht und lächelte abscheulich. Gwaen erwachte nun endlich aus ihrer Starre. Angewidert von Azogs Geste spuckte sie ihm mitten in sein vernarbtes Gesicht.
„Ich werde mich niemals einem Haufen von Orkabschaum und ihrem dahergelaufenen Herren anschließen!“, schrie sie wütend. Dies brachte ihr einen heftigen Tritt in die Magengrube ein. Sie hustete und würgte, wurde aber von der Hand Bolgs immer noch so fest im Haar gehalten, dass sie sich nicht krümmen konnte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Was sollte sie tun? Jetzt wo sie ihn am meisten gebraucht hätte, kam der Wind nicht um ihr zu helfen.
„Du wirst dich uns früher oder später anschließen. Ob freiwillig oder nicht ist deine Entscheidung“, knurrte Azog nun wieder bedrohlich und sah sie mit einem tödlichen Blick an. Gwaen war sich sicher, dass Azog sie getötet hätte, wenn ihre Kräfte nicht wären. Und er würde es ihr nicht zu leicht machen Abschied vom Leben zu nehmen. Doch die Elbin war sich sicher, dass was jetzt auf sie wartete war schlimmer als alle Tode. Denn ihr war klar, dass sich der dunkle Herrscher sich ihrer bemächtigen wollte und sie dem nicht ewig standhalten konnte. Aber sie musste es wenigstens versuchen. Der bleiche Ork legte seine grobschlächtige Hand auf den Kopf der Elbin und ein unangenehmes Gefühl durchzog ihren Körper, während Azog etwas in der schwarzen Sprache murmelte. Nicht nur das er ihre Kopfschmerzen durch den zusätzlichen Druck auf der Wunde noch verstärkte, ein Schmerzwelle ging durch ihren gesamten Körper und ließ sie sich zusammenkrümmen. Doch sie konnte sich nicht rühren, sondern kauerte wie gelähmt zu Azogs Füßen. Sie schloss ihre Augen, in der Hoffnung vielleicht so etwas von dem Schmerz zu entkommen. Zu ihrer eigenen Überraschung fühlte sich Gwaens Kopf auf einmal leer an. Nur eine heisere, beinahe kreischende Stimme nahm nun überhand über sie.
„ Augen, die so orange -gold leuchten, wie das Herbstlaub im Sturm. Haare, die schimmern wie das Feuer, wenn der Wind dadurch fährt. Wahrlich, du bist die Tochter des Sturms. Ich kann dir helfen.“ 
„Ich brauche deine Hilfe nicht!“, entgegnete Gwaen kalt. 
„Ich weiß um deine Stärken und wie es an dir nagt keinerlei Kontrolle über deine größte Waffe zu haben. Es bringt nichts es abzustreiten ich habe in deine Seele gesehen. Hat es dich geschmerzt von allen abgewiesen zu werden die du liebst?“ Verzweiflung stieg in Gwaen hoch. Sie wusste was er vorhatte. Er wollte sie brechen. Sie sich gefügig machen. Und obwohl sie es wusste, half es ihr wenig. Der Schmerz den seine Worte verursachten war einfach zu groß. 
„Aaahh! Das ist es was dich zerfrisst und dein Inneres verzehrt. Der dreckige Elbenfürst hat dich verraten. Dir alles genommen. Dein Heim und deine Familie. Doch das ist nicht das einzige. Er unterstellt dir, dass du aufgrund deiner Schwäche Unschuldige tötest. Gar die, die du als deine Familie ansiehst. Ist es das was du verdienst? Ein Monster zu sein, dass keine Kontrolle über sich selbst hat? Nein. Und das weißt du auch. Ich kann dir helfen sie zu kontrollieren. Dann kannst du beweisen was du wert bist und es diesem verräterischen Halbelb heimzahlen, was er dir angetan hat.“ Die Stimme hatte einen beinahe sanften, gar väterlichen Ton angenommen. Sollte sie ihm vertrauen? Konnte sie es riskieren seine Hilfe anzunehmen? Wenn sie es täte dann könnte sie in ihr normales Leben zurückkehren. Aber es wäre nie so wie früher, wenn sie dann dem dunklen Herrscher dienen würde. 
„Du lügst! Nichts würde sich ändern. Ich würde zu einer willenlosen Marionette werden. Und lieber halte ich mich von denen fern die ich liebe, als das ich mich an ihnen rächen oder mich unterwerfen werde!“ Sie spie diese Wörter geradewegs aus und hoffte, dass es nun endlich vorbei sein würde und er aus ihrem Kopf verschwand. Doch stattdessen schlugen Flammen aus der Dunkelheit, in denen eine aus Schatten geformte Silhouette prangte. Ein hämisches Lachen erklang und wieder durchfuhren höllische Schmerzen ihren gesamten Körper. Die Stimme rief schrill zwischen ihrem Lachen hervor:
„Es nützt nichts sich gegen mich zu wehren. Du weißt genau so gut wie ich, dass du gezögert hast. Du bist schwach durch deine Liebe und durch deine Angst allein gelassen zu werden, wie du es schon so oft erlebt hast. Du wirst es nicht dauerhaft schaffen meinem Angebot zu widerstehen!“
Damit erloschen die Flammen und Gwaen schlug nach Luft schnappend die Augen auf. Sie hatte gezögert. Sie war kurz davor gewesen dem Impuls zu folgen ja zu sagen. Gefährlich kurz. Etwas in ihr war zerbrochen, denn Elrond hatte mit allem was er sagte recht gehabt. Sie hatte keine Kontrolle, sie war ein leichtes Ziel für den Feind und vor allem sie war eine Gefahr. Die Stimme hatte recht. Sie war schwach. Und doch hatte sie es geschafft sich ihr zu widersetzen. Die Frage war nur wie lange noch. Nur beiläufig bekam sie mit, wie sie grob auf die Füße gezerrt und vor einen Ork auf einen Warg gesetzt wurde. Man schnürrte sie so fest, dass es keine Möglichkeit gab zu entkommen. Selbst ihren Dolch, welchen sie in ihrem Stiefel versteckt hatte, hatten sie ihr abgenommen. Zudem wusste Gwaen, dass ihr der Wind nicht zur Hilfe kommen würde. Sie konnte nichts anderes tun als versuchen sich auf dem Warg zu halten, der nun von dem Orks gelenkt in eine Richtung preschte, in der eine Orkmeute auf ihren Wargen, angeführt von Azog, Richtung Nebelgebirge ritt.

Die Tochter des Sturms   (Fili FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt