Kalte, blaue Augen

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Die schwarzen Türme einer Festung ragten in den wolkenverhangenen grauen Himmel empor. Die Bäume im Umkreis der Festung trugen kein Laub und ragten knorrig aus der Erde. Spinnenweben verklebten die kahlen Äste und ließen alles noch gespenstischer aussehen.
In weiter Ferne näherte sich eine von weißem Licht umgebene Gestalt der Festung. Goldenes Haar umspielte ihr schmales Gesicht und ihre nackten Füße bahnten sich einen Weg über den Waldboden. Währenddessen breitete sich eine Dunkelheit in der Festung aus, die mit jeder Sekunde stetig zu wachsen schien. Und mitten in der Dunkelheit befand sich Gandalf. Jedoch war es nicht länger der immer gut gelaunte Zauberer wie man ihn kannte. Jegliches Leben schien aus ihm gewichen zu sein, lediglich die flache Hebung seines Brustkorbes kündete von der verbliebenen Lebenskraft. Die graue Kleidung war schmutzig und zerrissen und Blutspuren zeichneten sich auf dem grauen Bart ab.
Galadriels Lichtgestalt kam immer näher, doch schien es quälend langsam im Gegensatz zu der sich immer schneller ausbreitenden Finsternis. Sie breitete sich immer mehr aus, bis auf einmal totale Dunkelheit herrschte. Diese wurde von einer schrillen Stimme in abgehackter Sprache durchschnitten. Sie Stimme schwoll immer mehr zu einem Brüllen an, bis sie alles ausfüllen zu schien.

Gwaen fuhr mit einem Schrei aus dem Schlaf hoch und saß kerzengerade im Bett. Ihr Haar klebte ihr an der schweißnassen Stirn und ihr Atem ging schleppend. Sie versuchte sich zu beruhigen, doch war ihr klar das das kein einfacher Traum gewesen war. Gandalf befand sich in der Gewalt einer höheren, dunklen Macht. Galadriel war auf dem Weg zu seiner Rettung, doch blieb die Frage offen, ob sie gegen diese Macht etwas ausrichten konnte.

Schwerfällig stand Gwaen auf, schlurfte in das Badezimmer und stellte sich vor den Spiegel. Unter ihren Augen lagen schwarze Schatten und ihre Haut war fahler als sonst. Mit eiskaltem Wasser aus einem Bottich wusch sich Gwaen das Gesicht und flocht ihre Haare neu. Als alles wieder saß, ging sie zurück in ihr Zimmer und sah aus dem Fenster. Es war kurz vor Sonnenaufgang und es blieben ihr noch einige Stunden bis die Anderen auf den Beinen sein würden, doch wusste Gwaen das sie ohnehin keinen Schlaf mehr finden würde.
Sie zog sich das Nachthemd aus und wechselte es gegen eine dunkle Hose und ein langärmliges Hemd, über das sie eine blaue Bluse zog. Dann machte sie sich auf den Weg nach unten. Doch da, wie schon erwartet, niemand vorzufinden war, beschloss Gwaen etwas an die frische Luft zu gehen.
Die Stadt lag ruhig in der Dämmerung des aufkommenden Morgens. Noch niemand war auf den Stegen zu sehen, nur aus der nahen Bäckerei drang der Duft von frisch gebackenem Brot. Alles wirkte so friedlich. Die Gemeinschaft hatte in Esgaroth eine warme, komfortable Unterkunft mit beachtlichen Festessen gefunden und musste sich für den Moment um keine Gefahren sorgen. Es war kaum vorzustellen, dass irgendwo anders Gandalf gerade um sein Leben kämpfen musste. Es schien alles so unwirklich.
Nachdem Gwaen über eine Stunde ziellos durch die Stadt gelaufen war, kehrte sie in das Rathaus zurück und begab sich in den Raum, den die Gemeinschaft immer benutzte. Sie entzündete die Kerzen und setzte sich dann an den Tisch. In Gedanken versunken, zog sie einen ihrer Dolche aus dem Gürtel und ließ ihn durch ihre Finger wandern.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erklangen schwere Schritte und die ersten Zwerge betraten den Raum.
„Bei Mahal, Gwaen. Was machst du denn schon hier unten. Du siehst ja schrecklich aus!" Bofur sah sie entsetzt an, was Gwaen mit einem schiefen Lächeln quittierte.
„Danke Bofur. Charmant wie eh und je. Ich habe nur schlecht geschlafen."
„Sieht eher aus als hättest du gar nicht geschlafen", fügte der Zwerg mit der Fellmütze noch hinzu, bevor er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte. Balin, der sich neben ihr auf der Bank niedergelassen hatte, sah sie zweifelnd an, äußerte sich jedoch nicht weiter dazu.
Nach und nach fand sich auch der Rest der Gemeinschaft ein und das Frühstück wurde auf den Tisch getragen. Die Mägde hatten sich, was das Essen betraf, mal wieder selbst übertroffen. Die Zwerge, Bilbo eingeschlossen, langten wie immer ordentlich zu, doch Gwaen verspürte keinen rechten Hunger. Lustlos schob sie ihr Rührei von der einen zur anderen Seite ihres Teller, ohne wirklich etwas davon zu essen.
„Was ist mit dir los Mädchen?" Balin sah Gwaen aus seinen weisen Augen fragend an. Doch sie konnte ihm schlecht erzählen, dass alles an diesem Traum lag, von dem sie wusste er war real. Er würde es nicht verstehen und ihr raten, sich nicht so viele Gedanken zu machen.
„Ich habe nur keinen Hunger. Das ist alles", wimmelte sie den Zwerg ab, schob ihren Teller von sich weg und erhob sich von der Bank. Die Gemeinschaft warf ihr fragende Blicke entgegen, nur Fili starrte weiter stumm auf seinen Teller. Sie musste hier weg. Einen freien Kopf bekommen. Die Frage Noris, wohin sie denn auf einmal wollte, ignorierend, verließ Gwaen den Raum, schnappte sich einen Mantel und machte sich schleunigst auf den Weg zu den Stallungen.
Die Menschen warfen der jungen Elbin verwunderte Blicke zu, als diese an ihnen vorbei durch die Stadt hastete. Doch die schien es gar nicht zu bemerken.
In den Stallungen angekommen, betrat Gwaen Astors Box und ließ sich an der Stallwand auf den mit Stroh bedeckten Boden sinken. 'Komm wieder runter', schalt sie sich selbst, während sie versuchte ihren Atem wieder zu normalisieren. Astor beugte seinen Kopf zu ihr herunter und rieb ihn tröstend an ihrer Schulter. Gwaen streichelte einen Moment lang seine weichen Nüstern, ehe sie beschloss mit ihm auszureiten. Sie striegelte ihn, bis sein weißes Fell wieder richtig glänzte und zupfte einige Strohhalme aus der langen Mähne. Nachdem sie ihren Bogen und Köcher, die der Stalljunge in ihrer Box verwahrt hatte, angelegt hatte, führte sie Astor aus seiner Box und schwang sich auf seinen blanken Rücken.
Astor tänzelte freudig auf der Stelle und wartete darauf, endlich wieder los preschen zu können. Gwaen ließ ihn gewähren und der Hengst galoppierte über die Brücke aus der Stadt hinaus. Am Ende der Brücke lenkte sie ihn nach rechts, in die entgegengesetzte Richtung in der der Düsterwald lag und eine Weile preschten sie am Ufer des Sees entlang.
Gwaen genoss den eisigen Wind auf ihrem Gesicht und vergaß für einen Moment alles. Es zählte nur noch das Hier und Jetzt. Die Freiheit, die sie auf Astors Rücken spürte, während der Hengst sie mit langen Sprünge immer weiter von der Seestadt forttrug. Der einsame Berg ragte seitlich von ihr majestätisch aus der Erde und schien seinen Schatten auf das Ufer zu werfen.
Die Elbin parierte Astor in den Schritt und brachte ihn vor einer kleinen Gruppe Findlinge zum stehen. Sie ließ sich von seinem Rücken gleiten und setzte sich zwischen den Steinen in das hohe Gras und betrachtete die schimmernde Oberfläche des langen Sees. In ihm spiegelten sich der blaue Himmel und die von der Sonne angestrahlten, weißen Wolken wieder. Gwaen spürte etwas in ihrem Rücken und als sie den Kopf drehte erkannte sie Astor, der sich hinter ihr niedergelassen hatte. Dankbar lehnte sie sich an den Wärme spendenden Körper und sie genoss die schwachen Strahlen der Sonne auf ihrer Haut. Ein sanfter Wind wehte über die Lande, ließ das Gras um sie herum leicht rascheln und spielte mit ihren langen Haaren.
Es war als würde alle Last von ihr fallen und für einen Moment vergaß sie auch ihren Traum und die Sorgen, die die Weiterreise der Gemeinschaft mit sich brachte. Es gab nur sie und Astor, die am Ufer eines Sees die Wärme der Herbstsonne genossen.

Die Tochter des Sturms   (Fili FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt