Wiedersehen

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Langsam löste sich der Nebel, der in Gwaens Kopf herum waberte und ihre Gedanken in Watte zu hüllen schien. Die Dunkelheit lockerte ihren Griff und lichtete sich immer mehr. Doch anstatt der gähnenden Leere, die sie bisher umgeben hatte, spürte sie ein immer wiederkehrendes Stechen in ihrem rechten Bein und einen unerträglich brennenden Schmerz, der sich an ihrer Hüfte hinabzog.
Panisch keuchend öffnete Gwaen die Augen und begann sich aufzubäumen, wurde jedoch als sich ihr schwere Schritte näherten von zwei kräftigen Händen wieder auf ihre Bettstatt gedrückt. Erschrocken glitt der Blick der jungen Elbin nach oben, zu dem, dem die Hände auf ihren Schultern gehörten und sie erkannte Dwalin. Der Hüne von einem Zwerg kniete hinter ihr und auf dem sonst so abweisenden Gesicht lag ein ungewohnt sanfter Ausdruck als er sie besorgt musterte.
„Ganz ruhig Gwaen, du bist in Sicherheit. Alles ist gut. Du musst nur noch ein bisschen durchhalten. Es ist bald vorbei", sprach er beruhigend auf sie ein, während er sie weiterhin zu Boden gedrückt hielt. Doch Gwaen verstand nicht ganz. Was würde bald vorbei sein? Aufgrund ihrer noch immer andauernden Schmerzen in ihrem Bein und der Hand die ihren Fußknöchel umklammert hielt, hob sie den Kopf leicht an und hielt dann mit vor Schreck geweiteten Augen inne.
Ihr von Blut getränktes und völlig zerrissenes Hosenbein war von ihrer Hüfte an seitlich aufgeschnitten worden und gab den Blick auf ihr entstelltes Bein preis. Eine lange und recht tief zu scheinende Wunde klaffte von ihrer Hüfte bis hin zur Mitte ihres Unterschenkels, aus der noch immer ein wenig Blut quoll. Dori saß zu ihren Füßen und hielt ihren Knöchel fest umschlossen, wobei sein Blick konzentriert auf Balin lag. Der alte Zwerg war dabei ihre Wunde mit Nadel und Faden zu verschließen und war schon bei der Hälfte angelangt. Neben ihm auf dem Boden lagen blutige Leinen und allerhand Salben, Mixturen und Verbände.
Gwaen konnte sich das Bild ihres völlig entstellten Beins nicht länger mit ansehen und ließ den hämmernden Kopf wieder auf die Decke unter ihr sinken. Jedes Mal wenn die mit Alkohol desinfizierte Nadel sich durch ihr Fleisch bohrte, biss Gwaen die Zähne so heftig zusammen bis sie schmerzten, um nicht lauthals loszuschreien, während ihr die Tränen in die Augen schossen. Jemand näherte sich ihr und Gwaen wandte den Kopf auf die Seite. Neben ihr kniete Gloin nieder und hielt einen Lederriemen in der Hand, von dem sie gar nicht wissen wollte wo er ihn aufgetrieben hatte.
„Hier, zum draufbeißen", murmelte der rothaarige Zwerg und Gwaen sah ihn dankbar an, bevor sie sich das Stück Leder zwischen die Zähne schieben ließ. Den bitteren Geschmack des Leders ignorierend, biss sie kräftig darauf und kniff die Augen fest zusammen. Jeder Stich jagte ihr einen entsetzlichen Schmerz durch den gesamten Körper, sodass sie sich am liebsten von den sie haltenden Händen losgemacht hätte. Aber gegen Dwalins Griff hatte sie ohnehin keine Chance, so sehr sie sich auch wünschte dem allen zu entfliehen. So ließ sie es wohl oder übel über sich ergehen und versuchte irgendwie gegen den Instinkt anzukämpfen, sich unter Dwalins Griff zu winden und so alles nur noch schlimmer zu machen. Hoffentlich würde sie diese Prozedur bald überstanden haben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließen die Zwerge endlich von ihr ab und Gwaen öffnete die Augen wieder. Dwalin nahm ihr den Lederriemen vorsichtig aus dem Mund, auf welchem sich deutlich die Abdrücke von Gwaens Gebiss abzeichneten. Langsam hob sie den Kopf und sah auf ihr Bein. Es war von der Hüfte bis zur Wade in einen weißen Verband gehüllt, unter dem Balin großzügig eine Salbe auf die frisch genähte Wunde aufgetragen hatte. Der alte Zwerg kniete nun neben ihr nieder und sah auf die erschöpfte Elbin herab, während die anderen schon im nebenan liegenden Raum verschwanden.
„Wie fühlst du dich Kind? Wo hast du Schmerzen", fragte er mit besorgter Mine.
„Ich fühle mich, als hätte ich es mit einem Rudel Warge aufgenommen. Mein Kopf dröhnt, von meinem Bein ganz zu schweigen", brachte Gwaen mit kratziger Stimme heraus, woraufhin ein Husten ihrer trockenen Kehle entwich, sodass eine weitere Welle Schmerz aus ihrem Bein über ihren Körper hinweg rollte. Balin griff nach einem Wasserschlauch und half Gwaen sich ein wenig aufzusetzen, bevor er ihr den Wasserschlauch an den Mund setzte. Hastig nahm Gwaen einige Schlucke, bis ihr Durst gestillt war und Balin der Schlauch wieder weglegte.
„Ich konnte leider nicht viel für dich tun. Ich bin kein ausgebildeter Heiler, aber ich habe den Bein erst einmal wieder zusammen geflickt und eine schmerzlindernde Salbe aufgetragen. Mehr konnte ich leider nicht machen. Oin hätte sicher mehr machen können, aber..." Balin verstummte als er auf den alten Heiler zu sprechen kam, der sich wie drei weitere ihrer Gefährten in der brennenden Seestadt befunden hatte und das brennende Inferno unmöglich überlebt haben konnten. Als Gwaen an Fili dachte, zog sich ihr Herz sofort wieder zusammen und sie spürte die aufsteigenden Tränen in ihren Augen brennen. Balin hatte seinen traurigen Blick zu Boden gerichtet und als er schließlich nach kurzem Schweigen wieder aufsah, glitzerten auch seine Augen verdächtig.
„Kann ich noch irgendwas für dich tun", fragte er und versuchte anscheinend die Fassung zu bewahren.
„Nein Balin, danke. Ich würde jetzt am liebsten alleine sein", entgegnete Gwaen mit rauer Stimme und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln, von welchem der alte Zwerg jedoch erkannte welche Gefühle sie wirklich dahinter verbargen. Er nickte und legte ihr noch einmal kurz die Hand auf die Schulter, bevor er sich erhob und ebenfalls den Raum verließ.
Jetzt wo Balin weg war, konnte Gwaen die bisher zurückgehaltenen Tränen nicht mehr aufhalten und sie bahnten sich nun ungehindert einen Weg über ihre Wangen. Immer wieder entwichen erstickte Schluchzer ihrer Kehle, während sich Gwaen unter Schmerzen in eine sitzende Position kämpfte und sich erschöpft gegen die steinerne Wand links von ihr lehnte. Dort ließ sie sich zusammensacken und legte ihren Kopf an die kalte Steinwand.
Sie waren alle tot. Oin und Bofur und Kili. Nie wieder würde sie den sanftmütigen Zwerg mit der Fellmütze sehen und nie wieder konnte sie mit Kili lachen. Doch am schlimmsten war, dass sie Fili nie wieder sehen würde. Es gab so vieles was sie ihm noch hatte sagen wollen. Das es ihr leidtat was alles passiert war und das sie zu spät erkannt hatte, wie sehr es ihn schmerzte sie mit Bard zu sehen. Doch eines schmerzte Gwaen besonders. Sie hatte Fili nie sagen können das sie ihn liebte. Und sie würde auch keine Chance mehr dazu bekommen.
Während sie an Fili dachte, schien ihr Herz immer mehr zu zerreißen, bis irgendwann keine Tränen mehr da waren, die sie hätte vergießen können. Sie saß einfach nur da, zusammen gesunken an die felsige Wand gelehnt und starrte in die Leere.

Die Tochter des Sturms   (Fili FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt