Die geheime Tür

753 34 3
                                    

Stille. Es war nichts zu hören, außer dem leisen Plätschern des Wasser, das gegen den Bug des Bootes schlug. Ein leichter Nebelschleier lag über den mit dünnen Eisschollen bedeckten See und der morgendliche, mit leichten Wolken behangene Himmel begann sich blau zu färben. Vor ihnen ragte der Erebor majestätisch in den Himmel, dessen Hänge in goldenes Sonnenlicht getaucht waren. Auf der Spitze und auf den abfallenden Hängen lag weißer Schnee, der ihnen entgegen glitzerte. Alles schien so friedlich und idyllisch, doch schien ein gewaltiger, alles verzehrender Schatten über dem alten Zwergenkönigreich zu liegen.
Alle sahen nun ehrfürchtig der alten Zwergenheimat entgegen, die schon so lange nicht mehr von Angehörigen ihres Volkes betreten wurde. Thorin stand in einen leuchtend roten Mantel gehüllt am Bug des Schiffes und sah seiner schon so lange verlorenen Heimat entgegen, während sich das Boot immer mehr dem Ufer näherte.

Gwaen sah gedankenverloren auf die weiten Hänge des einsamen Berges, jedoch bemerkte sie die besorgten Blicke des Hobbits, welche immer wieder auf ihr lagen. Innerlich dankte Gwaen Eru dafür, dass Fili in der Seestadt zurück geblieben war, auch wenn sie sich einen anderen Grund als die schwere Wunde seines Bruders dafür gewünscht hätte. Jedoch hätte sie die Weiterreise nur schwer ertragen können, wenn sie immerzu hätte Fili sehen müssen und immer wieder daran erinnert werden würde, was sie verloren hatte.

Sie erreichten das sonnenbeschienene Ufer und Gloin und Bifur zogen das Boot an Land. Gwaen warf sich ihre Tasche wieder über die Schulter und sprang dann aus dem Boot auf das steinige Ufer. Die Gemeinschaft setzte sich mit Thorin an der Spitze in Bewegung und begann mit dem Aufstieg des Berghanges. Die vorher noch spärlich mit gelbem Gras bewachsenen Hänge wichen immer mehr grauem Fels und Geröll. Der Weg den sie einschlugen wurde immer steiler und nach einigen Stunden befand sich die Gemeinschaft in der dichten Wolkendecke. Jeder für sich allein gingen die Zwerge hintereinander her, während Gwaen wieder in ihren Gedanken hing.
„Was ist eigentlich los mit dir?" Erschrocken riss Gwaen den Kopf herum und erkannte Bilbo, welcher sich zu ihr hatte zurückfallen lassen. Sollte sie es Bilbo erzählen? Doch sie entschied sich dagegen und wollte gerade den Mund aufmachen und ihm sagen das alles in Ordnung sei, als der Hobbit ihr zuvorkam und sie streng anblickte.
„Und jetzt sag nicht das es dir gut geht und nichts los wäre. Ich sehe genau das es dir schlecht geht, also komm gar nicht erst auf die Idee es zu leugnen. Du hast gestern und heute noch nichts gegessen und du wirkst als hättest du lange nicht mehr richtig geschlafen." Dann wurde sein Blick sanfter und er schenkte der überraschten Elbin ein leichtes Lächeln.
„Ich will dich nicht dazu zwingen das du es mir sagst. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Ich möchte das du weißt das ich immer für dich da bin, wenn du ein offenes Ohr brauchst Gwaen." Gwaen sah Bilbo überrascht an und konnte nicht anders als ihn anzulächeln. Es war so lieb das er sich um sie sorgte und sein Angebot bedeutete ihr sehr viel. Der Hobbit war einfach so offen und hilfsbereit, wie sie es bei kaum einer anderen Person je erlebt hatte.
„Danke Bilbo. Ich weiß das sehr zu schätzen." Er lächelte sie wieder an, doch sein Blick blieb erwartungsvoll. Gwaen seufzte auf und atmete einmal tief ein, bevor sie weitersprach.
„Es ist wegen Fili. Wir haben uns gestritten."
„Wieso?"
„Um ehrlich zu sein weiß ich es nicht genau. Seit ich euch in Esgaroth wiederfand, verhielt er sich komisch. Er hielt Abstand von mir und sprach nur mit mir wenn er musste. Er hat sogar Blockkontakt vermieden. Als ich gestern ausreiten war und zurück zum Rathaus kam, stand er davor und begann mich auszufragen wo ich war. Irgendwann fing er an von Bard zu reden und meinte das er uns zusammen gesehen hätte. Ich wusste nicht was er meinte, doch er schien das nicht verstehen zu wollen. Er meinte das ich sei wie jedes andere 'Spitzohr' und das er sich mit seinem Vertrauen in mich getäuscht habe. Dann ist er einfach gegangen..." Gwaens Stimme brach ab und sie fuhr sich kurz mit dem Ärmel über die Augen um die Tränen wegzuwischen, die sich durch die Erinnerung an den Vorabend gebildet hatten. Bilbo sah sie betroffen an, griff nach ihrer Hand und drückte diese leicht. Einen Moment gingen sie einfach schweigend weiter, während sie die Wolkendecke hinter sich ließen und der blaue Himmel wieder zum Vorschein kam.
„Du liebst Fili, oder?" Bilbos Frage kam so unvermittelt, dass Gwaen im ersten Moment keine Antwort darauf wusste. Woher konnte er das wissen? Bisher hatte sie doch mit niemandem darüber geredet. Andererseits hatte Bofur damals im Düsterwald bei ihrer Gefangennahme etwas ähnliches angedeutet.
„Ja. Aber woher..."
„Ich konnte es sehen. An der Art wie du ihn angesehen hast und wie glücklich du in seiner Nähe warst. Gwaen, er hegt solche Gefühle auch für dich." Ungläubig sah die Elbin ihn an.
„Nein. Das glaube ich nicht. Nicht nachdem was er mir gestern an den Kopf geworfen hat. Wie kommt er überhaupt auf die Idee das zwischen Bard und mir etwas ist? Weißt du was er gesehen haben könnte?"
„Doch Gwaen ich bin mir ganz sicher. An dem Abend an dem der Bürgermeister uns seine Hilfe zusagte, bist du noch zurück geblieben und hast mit Bard gesprochen. Es schien ein sehr vertrautes Gespräch zu sein. Du hättest Filis Blick sehen müssen, als du nach Bards Händen gegriffen hast. Er war verletzt. Er dachte wahrscheinlich du würdest Gefühle für diesen Menschen hegen und das du dein Herz bereits an einen anderen verschenkt hast. Du bedeutest ihm viel Gwaen. Man konnte ihm ansehen wie gern er dich hatte und wie es ihn jedes mal verletzte dich anzusehen, da er dachte du würdest seine Gefühle nicht erwidern. Also kannst du mir glauben wenn ich dir sage, dass du ihm weitaus mehr wert bist als du denkst."
Gwaen hatte den Hobbit die ganze Zeit über nur fassungslos angesehen. Konnte das alles wirklich stimmen was er sagte? Empfand Fili wirklich was für sie? Liebte er sie? Das was Bilbo ihr gerade erzählt hatte, würde auch Filis Verhalten in den letzten Tagen erklären. Innerlich schalt sich Gwaen. Wie konnte sie nur so blind gewesen sein? Warum hatte sie Fili nicht einfach gefragt was mit ihm los war? Dann wäre das alles nicht passiert. Sie fühlte sich schlecht. Sie hatte Fili verletzt und nun war sie auf dem Weg zum Erebor, während er in Esgaroth zurückgeblieben war. Was wenn der Drache wirklich noch lebte und sie nicht wieder lebend aus dem Berg zurück kamen? Wenn sie Smaug wecken würden, er die Seestadt angriff und somit alles Leben in ihr auslöschte? Wenn sie Fili nicht mehr sehen sollte und sich nie mit ihm versöhnen könnte?
Vor Fragen schwirrte Gwaen der Kopf und sie brauchte erst einmal ein wenig Zeit um das alles zu verarbeiten. Bilbo hatte derweil ihre Hand wieder losgelassen und lief schweigend neben ihr her. Auch wenn er nichts sagte, wusste Gwaen seine Anwesenheit zu schätzen. Er ließ ihr genug Freiraum um nachzudenken und doch war er bei ihr.

Die Tochter des Sturms   (Fili FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt