»Du warst heute ein doofes Maskottchen!«

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 1:0 gegen Frankreich in Rio. Ein schlechtes Spiel, ein Tor in der 13. Minute von Mats und eine gelbe Karte für Basti und Sami.

Mein VIP-Pass baumelte an meiner Hose, ein Lächeln zierte mein Gesicht, weil es mir nichts ausmachte, dass das Spiel schlecht verlaufen war. Ich hatte keine Ahnung von Fußball und freute mich einfach nur ungemein, dass das Spiel am Ende ohne Gegentor gewonnen war. Ich hätte die ganze Welt umarmen können und ließ es mir nicht nehmen, fast schon hüpfend durch die Gänge zu laufen, um Basti unten bei den Kabinen abzuholen. Wir hatten uns gestern nach unserem Gespräch in der Küche das letzte Mal gesehen, da die Mannschaft noch am Abend nach Rio aufgebrochen war. Wir hatten vereinbart, dass wir uns hier unten treffen würden, bevor wir uns bis zum Abend im Camp nicht sehen konnten. Es war so absurd, wie viele Nachrichten wir uns geschrieben haben, wie ich nur noch mit meinem Handy in der Tasche durch die Gegend lief aus Angst, irgendetwas zu verpassen. Ich war so unglaublich.. verknallt. Ich musste über mich selbst lachen, wurde im nächsten Moment aber auch schon von den ersten Spielern auf dem Gang übertönt. Lukas, Miro und Thomas kamen mir mit ihren Taschen über den Schultern entgegen. Ihr Gesichtsausdruck schien nicht unbedingt positiv, aber auch nicht negativ zu deuten.
»Du warst heute ein doofes Maskottchen!«, rief Lukas als er mich von Weitem entdeckte. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder heulen sollte. Eigentlich hätte ich mir ein Lachen nicht nehmen lassen, doch die Tatsache, dass Thomas mir in wenigen Schritten gegenüber stehen würde, ließ mich fast schon frösteln. Ich wusste, dass er mir in diesem Moment, in dieser Situation, absolut nichts Böses tun würde, doch trotzdem schüchterte mich die letzte Begegnung mit ihm so sehr ein, dass ich fast keinen Ton raus brachte.
»Tut mir leid, aber ich freu mich trotzdem, dass ihr gewonnen habt!«, ich quetschte mir ein Lächeln auf die Lippen und streckte den Jungs meine nach oben gehaltenen Daumen entgegen. Eigentlich hätte ich sie umarmt, aber die Tatsache, dass ich nicht wusste, wie ich Thomas gegenübertreten sollte, hielt mich zurück.
»Wenigstens eine, die vollkommen zufrieden durch die Gänge schlendert.«, Miro lachte, klopfte mir auf die Schulter und ging mit den anderen beiden an mir vorbei.
»Liv, warte.«, Thomas tauchte wieder in meinem Blickfeld auf, deutete den Jungs, dass sie auf ihn warten sollten, und wandte sich wieder an mich. Ich wurde augenblicklich nervös, auch wenn ich durch Bastis Neuigkeiten am Vorabend nur erahnen konnte, was er von mir wollte. »Können wir uns kurz unterhalten?«
»Ja. Ja, klar.. «, meine Stimme war rau und vorsichtig, passte sich irgendwie sofort meiner zurückhaltenden Stimmung an. Thomas ging ein paar Schritte, ich folgte ihm und setzte mich neben ihn auf den Boden abseits der anderen Jungs und all dem anderen Trubel, der entstand, als einer nach dem anderen die Kabine verließ.
»Hör zu Liv, das war nicht unbedingt fair von mir.«, fing Thomas an und sah mich dabei an.
»Ist schon okay.«, lächelte ich einfach nur. Für mich war die Sache gegessen, ich wollte mich nicht in irgendetwas rein steigern, was es vielleicht nicht unbedingt wert war und vor allem wollte ich aus dieser für mich unangenehmen Situation einfach nur flüchten. Ich mochte diese Art von Gesprächen nicht. Mir reichte dieses kleine Es tut mir leid.
»Ich hab dir vorgestern noch den Mund verboten und dich das Unglück von Basti genannt und du bist trotzdem so nett zu mir.«, hauchte er fast fassungslos und schüttelte leicht den Kopf. Es brachte mich zum Lächeln, dass ihm selbst seine Worte wohl noch am besten in Erinnerungen geblieben sind und auf irgendeine Art und Weise erreichte mich sein Gesagtes.
»Thomas, hör zu-«
»Nein, Liv, hör du mir zu.«, er unterbrach mich bestimmend und für einen Moment hatte ich das Gefühl, er würde den nächsten Wutausbruch erleiden. Sofort sog ich stark Luft ein und senkte meinen Blick erneut. »Es ist nicht fair, dass ich mich das so reinstecke. Zumindest nicht, wenn ihr beide euch unterhaltet. Ich hätte mit Basti alleine drüber sprechen können, aber es ist nicht unbedingt.. mein Recht, dass ich dich so anfahre und so verurteile.«
Ich lächelte wieder schwach und hob meinen Kopf, um Thomas anzusehen. »Ich versteh dich, Thomas. Du hast absolut recht mit dem, was du gesagt hast. Es ist absoluter Mist, was wir veranstalten und wahrscheinlich.. weißt du, wahrscheinlich hätte ich an deiner Stelle genauso reagiert.«, ich lachte leicht auf und versuchte ihm irgendwie sein anscheinend schlechtes Gewissen zu vertreiben und ihm klar zu machen, dass es wirklich okay für mich war. »Mach dir nicht so einen Kopf, alles ist gut. Ich hätte damit rechnen müssen.«
»Ich hab mich verhalten wie ein 15-jähriger Junge aus dem tiefsten Ghetto, der einfach null Manieren hat, Liv.«, Thomas schlug sich kurz beschämt die Hände vor sein Gesicht.
»Nein, hast du nicht. Du warst in dem Moment einfach ein bester Freund.«, zwinkerte ich ihm zu. »Und wenn es noch irgendetwas gibt, was du mir sagen willst, dann nur zu, okay?«
»Ich glaube, ich lass das vorerst mal lieber.«, lachte er auf. »Ich muss es erstmal hinbekommen, dass Basti wirklich nicht mehr sauer auf mich ist.«
»Ich wette mit dir, wenn er gleich aus der Kabine kommt, ist alles wie immer.«, sprach ich ihm Mut zu. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Basti so unglaublich nachtragend war. Vor allem nicht Thomas gegenüber. Und vor allem nicht, wenn er selbst wusste, dass Thomas recht gehabt hatte.
»Wenn nicht, dann behältst du die Rolle als doofes Maskottchen für heute bei!«, warnte er mich lachend vor. Das Eis war gebrochen. Meine Angst war verschwunden. Sein schlechtes Gewissen anscheinend auch. Und ich war glücklich, weil sich mittlerweile in kleinen Schritten Dinge lösten und verbesserten, die mir gestern noch so unbändige Angst beschert hatten.
»Da steh ich vollkommen hinter.«, grinste ich.
»Danke, dass du nicht so kompliziert bist, Liv.«, wurde Thomas wieder ernster und zog mich im nächsten Moment schon in seine Arme.
»Glückwunsch zum Sieg.«, erwiderte ich nur und überging seine Aussage vollkommen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich seine Aussage so im Raum stehen lassen müsste. Ich war kompliziert, schließlich machte ich alles nur kompliziert.
»Ey, Liv hat!«, johlte Manuel plötzlich und Thomas und ich fuhren auseinander. Verwirrt blickte ich zu einer Meute Fußballer, die in ihren Trainingsanzügen mitten im Gang des Stadions standen, aus Trainingstaschen Tore gebaut hatten, die Blicke jeglicher Menschen ignorierten und ihren Spaß daran hatten, mit einem Schaumstoffball Fußball zu spielen.
»Du hast. Das ist deine Chance zu beweisen, dass du doch nicht so wenig Ahnung vom Fußball hast.«, Thomas zog mich vom Boden hoch und hielt mit seiner Fußspitze den Ball vor meinen Füßen fest. Skeptisch sah ich zwischen Thomas und dem Ball hin und her und hörte die Jungs, die lachend Jubelrufe in meine Richtung riefen.
»Der Kapitän fordert seine Stürmerin auf, endlich loszulegen!«, rief Philipp mit seiner leicht quiekigen Stimme. Sofort fing ich an zu lachen, sah noch einmal in Thomas nickendes Gesicht und lief mit dem Ball vor den Füßen und meinem Rucksack auf dem Rücken hinüber zu ihnen. Doch kurz bevor ich das provisorische Spielfeld betrat, stoppte ich erneut.
»Ist ja wohl klar, dass die Frau heute mal am Ball bleiben darf, oder?«, grinste ich siegessicher und sah Lukas, Miro, Thomas, Philipp und Manu im Wechsel an. Doch das Echo war lautes Gröhlen und Lachen und ein Manu, der auf mich zugelaufen kam, um den Ball unter meinem Fuß wegzuschießen. Schnell reagierte ich, bückte mich und presste den Schaumstoffball so fest an meinen Körper, dass es in meinen Augen kaum möglich war, ihn von mir zu befreien.
»Frauenfußball hat auch so seine Regeln.«, lachte Manu nur und verknotete meine Arme und den Ball, als sei ich eine Feder. Fast schon perplex sah ich ihm hinterher, als er den Ball auf den Boden warf und mich zum Zweikampf aufforderte.
»Das ist gemein! Ich hatte Anstoß! Oder Einwurf!«, ich überlegte, welche Bezeichnung in den Fachkreisen die richtige war und rümpfte nur überfordert meine Nase. »Na ja, jedenfalls durfte ich anfangen!«
»Ballverlust ist Ballverlust!«, rief Lukas nur, ließ sich von Manu den Ball zuspielen und mich immer noch perplex mitten am Spielfeldrand stehen.
»Du musst angreifen und dich anbieten, na komm schon!«, rief Thomas mir mutmachend zu. Ich ließ meinen Blick über das kleine Feld schweifen, hielt Ausschau nach dem Ball und entdeckte ihn vor Miros Füßen. Absolut überzeugt von meiner Taktik lief ich auf ihn zu, fuchtelte mit meinen Füßen vor seinen herum, versuchte immer auf den Ball zu halten, um ihn irgendwie zu erwischen und verlor in den nächsten Sekunden auch schon wieder die Lust daran.
»Das ist fies, ich kann doch gar nicht den Ball bekommen, wenn ihr so tut als wäre ich ein gleichgestellter Gegner.«, johlte ich auch schon los und verschränkte kurz die Arme vor der Brust.
»Na dann komm her, ich mache es dir leichter!«, bot Lukas mir an und ließ den Ball unberührt vor seinen Füßen liegen. Sofort grinste ich breit und stürmte so naiv wie ich nun einmal war, auf meinen Gegner zu, um ihm den Ball abzunehmen. »Ha! Meiner!«, Lukas erhaschte sich den Ball mit einem leichten und lockeren Trick, drehte sich in die entgegengesetzte Richtung und versenkte den Ball schon zwischen den beiden Trainingstaschen.
»Das gibt es doch nicht! Los Liv, das lassen wir uns nicht gefallen!«, Thomas rief aus vollem Leib zu mir rüber, fischte sich den Ball vor die Füße, lief an Manu, Philipp, Lukas und Miro vorbei, um dem anderen Tor, das wir gerade für das unsere erklärt hatten, näher zu kommen. »Los, das ist dein Tor, Liv!«
Ich sah nur noch den Ball, der vor meine Füße rollte, die Jungs, die mir näher kamen und das freie Tor, welches nur dazu einlud, beschossen zu werden. Sofort holte ich unsanft aus und trat mit der Picke hinter den Gummiball. Im nächsten Moment brach schon Jubel aus und ich fühlte mich, als hätte ich an Mats Stelle heute im Stadion das 1:0 gegen Frankreich geschossen.
»Tor, Liv!«, Thomas kam auf mich zu gerannt als ich zu realisieren anfing, dass ich den runden Ball wirklich in das provisorische nicht-eckige Tor bekommen hatte. Sofort riss ich meine Arme in die Höhe, warf den Kopf in den Nacken und fing an, mit Thomas im Chor zu jubeln. Lachend hüpfte ich mit ihm auf und ab, als er einen Arm um mich legte und wir den anderen die Zunge raus streckten. Ich konnte kaum beschreiben wie unglaublich glücklich ich in diesem Moment war. Nicht, weil ich ein Tor geschossen hatte, sondern vielmehr, weil ich Spaß mit den Jungs hatte und mich unendlich frei fühlte.
»Ey!«, unser Jubel wurde von einer tiefen Stimme unterbrochen. »Kein Sonderticket für Fußballer! Seht zu, dass ihr eure Sachen packt und verschwindet! Hier herrscht Ruhe und kein Kindergeburtstag. Der Bereich zum Feiern ist oben!«, ein englischsprachiger Security mit unfreundlichem Gesicht, dunkler Kleidung und dem Hang zur Übertreibung was die Ernsthaftigkeit seines Jobs anging, zeigte mit ausgestrecktem Finger auf uns. Sofort standen wir alle leicht geschockt in unserem kleinen Fußballfeld und sahen uns an.
»Weg hier!«, rief Manu, als er sich seine Tasche geschnappt hatte und einer nach dem anderen lachend hinter ihm herlief. Nur ich stand völlig perplex da und wusste nicht, was ich machen sollte. Die Hektik war um mich herum ausgebrochen und ich musste doch noch auf Basti warten, der scheinbar in seiner Kabine verschollen war.
»Komm!«, ich musste nur daran denken und schon stand er neben mir. Mit einem Lachen im Gesicht griff er nach meiner Hand und zog mich hinter den anderen her durch die Gänge.
»Basti!«, lachte ich im Laufen auf und warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Hier lang!«, er zog mich nach rechts, obwohl die anderen Jungs nach links liefen und drückte mich gegen die Wand, als er leicht um die Ecke lugte.
»Wo kommst du denn auf einmal her?«, lachte ich noch immer und spürte, wie der kurze Weg mich angestrengt hatte.
Er sah noch ein letztes Mal um die Ecke und zog mich weiter in die kleine Nische, in die er mich gezogen hatte. »Ich stand die ganze Zeit an der Wand gelehnt und hab dir zugeschaut.«, lächelte er nur schelmisch. Wieder fing ich an zu lachen. Dieses Mal aus Scham, Fassungslosigkeit und... Verliebtheit.
»Wieso sagst du denn nichts?«, ich schlug ihm mit meiner Faust sanft gegen die Brust und spürte, dass ich rot wurde.
»Ich fand es schön dich so unbeschwert zu sehen. Wie du deinen Kopf in den Nacken geworfen und aus vollem Herzen gelacht hast. Das war schön.«, Basti lächelte mich so intensiv an, dass ich das Gefühl hatte, irgendetwas würde in diesen Momenten noch einmal zwischen uns passieren. Irgendetwas, das mit Gefühlen zu tun hatte.
»Ich.. aber.. «, fing ich an, wurde aber von einem Zeigefinger unterbrochen, der sich auf meine Lippen legte.
»Kennst du diese Momente, in denen sich was in dir tut, wenn du einen Menschen, den du magst, so unbeschwert und frei siehst?«
»Ja, wahrscheinlich schon.«, ich wusste nicht unbedingt auf was er hinaus wollte. Doch wenn ich nachträglich daran dachte, lag es offen auf der Hand.
»Du hast gerade irgendetwas mit mir gemacht, in mir geregt, obwohl du es wahrscheinlich noch nicht mal wolltest.«, Basti legte seinen Kopf leicht schief, strich mir eine Strähne von meinen puterroten Wangen und drückte mir im nächsten Moment schon einen Kuss auf meine Lippen, mit dem er etwas in mir regte, das er wahrscheinlich nicht geplant und beabsichtigt hatte.  


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