»Der Basti ist wieder bekannter. Der Playboy der Mannschaft - war ja klar.«

581 27 0
                                    

Mein Wecker klingelte um Punkt halb fünf. Ich hatte mich beim Recherchieren schlau gemacht und herausgefunden, dass um diese Uhrzeit die Wellen am besten zum Surfen sein sollten. Auch wenn mein Vater mir am Vorabend nach dem heißen Tee, der Schmerztablette und den heißen Wickeln in meinem Nacken strikt verboten hatte, heute morgen aufs Brett zu steigen, war meine Liebe und das Verlangen, endlich wieder das Adrenalin in meinen Adern spüren zu können, wenn man durch die Wellen tauchte und um sein Leben paddelte, um im Endeffekt stehend die Wellen zu reiten, zu groß. Ich konnte mich nicht zurückhalten, weswegen ich nach einer kurzen Katzenwäsche und dem Anziehen meiner Surf-Klamotten mit dem Brett unter meinem Arm auf dem Weg zum Strand war. Auch am hinteren Ausgang zum Strand standen Wachleute, die mich mit einem Lächeln und einem Nicken begrüßten. Es war absurd, dass ich so etwas erlebte. Dass ich binnen weniger Stunden in ein Leben eingetaucht war, in welchem die Menschen um mich herum so derart bewacht wurden, dass an jeder Tür zur Öffentlichkeit Security-Männer aufgereiht waren. Doch ich konnte mich nicht lange mit dem Gedanken befassen – ich wollte einfach nur ins Wasser.
Langsam ging ich mit meinen nackten Füßen durch den Sand, drehte meinen Kopf ein paar mal, um wirklich ausschließen zu können, dass ich eventuell doch noch Schmerzen im Nacken haben könnte, und setzte mich kurz vor dem Wasser in den jetzt schon erhitzten Sand. Die Wellen rauschten, der Wind ging und trotzdem war es angenehm warm. Die Ferne sah so unendlich aus, die Ruhe, die mich umgab war Balsam für mein Inneres und der Duft von Sand, Meer und dem Wissen, mein Brett neben mir im Sand liegen zu haben, stimmten mich unglaublich zufrieden und glücklich. Auch wenn ich es am Vorabend und noch vor wenigen Minuten nicht erwarten konnte, endlich wieder auf mein Brett zu steigen, musste ich mich jetzt schon fast dazu zwingen, nicht mehr lange abzuwarten. Ich genoss die Ruhe und das Rauschen des Meeres so sehr, dass ich diese wunderbaren Geräusche kaum mit meinem Brett zerstören wollte.
Genießerisch seufzend rappelte ich mich auf, zog mir am Rücken umständlich den Reißverschluss meines Surfanzuges zu, sicherte mein Brett mit einer Fessel an meinem Fuß und stand auf, um in das kühle Nass zu springen. Da mein Anzug lediglich bis kurz über die Knie und auch obenrum nur bis kurz über den Ellbogen ging, konnte ich fühlen, dass das Wasser trotz der Uhrzeit und dem Wind eine unglaublich angenehme Temperatur hatte. Die Gänsehaut blieb aus und die Schwelle, die man sonst am Morgen überwinden musste, um ins kalte Wasser zu gehen, war längst nicht da.
Als ich weit genug im Wasser war, legte ich mich auf mein Brett und fing an, in Richtung Wellen zu paddeln. Die Sonne ging auf und fing an, mich leicht zu blenden. Die Wellen rauschten, mein Brett wippte auf und ab, als ich über sie rüber oder durch sie hindurch paddelte und mein Adrenalin stieg ins Unermessliche. Die ersten Wellen waren passiert und weiter draußen, war das Wasser unruhiger als nahe des Strandes. Ich drehte mein Brett, sodass ich in Richtung Strand sehen konnte und die Wellen im Nacken hatte, hievte mich auf meinem Brett für einen kurzen Moment hoch, und setzte mich hin. Meine Beine baumelten rechts und links im Wasser umher, ich wippte im Takt der Wellen und wartete nur noch auf die nächsten Sekunden, in denen sich die perfekte Welle aufbäumen würde.
ch spürte, dass sie kam, sah sie auch mit einem Blick über die Schulter, und lag mit einem Schwung wieder auf dem Brett und paddelte um mein Leben. Als die Welle mich eingeholt hatte und mein Surfbrett hoch gedrückt wurde, stemmte ich mich hoch. Ich stand nach dem Take Off seitlich auf dem Brett, lenkte es mit meiner Körperkraft und Balance auf die Welle und spürte, dass es die erste Welle seit langem war. Meine Balance war längst nicht mehr so stark wie früher, meine Beine gaben schnell nach und trotz dem Spiel mit Armen und Oberkörper und dem Aufbau von Geschwindigkeit, kippte ich irgendwann vom Brett und spürte nur noch Wasser um mich. Ich hörte nichts anderes als das Rauschen, mein eigenes Gluckern und spürte, dass das Brett von der Welle mitgerissen wurde. Ich wurde unter Wasser hin und her geschleudert und hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Das Wasser war stark und trotzdem hatte ich gelernt, wie ich mich in Situationen des Sturzes zu verhalten hatte. Das Wasser war mein Freund und egal, was passierte, ich verzieh es ihm.
Schnell kämpfte ich gegen die Wellen an und spürte beim Auftauchen, dass die Wucht der nächsten Welle mich wieder unter Wasser drückte. Sofort durchzog ein unglaublicher Schmerz meinen Nacken bis tief in meinen Rücken. Er strahlte sich binnen weniger Sekunden in meine Schulterblätter aus und ließ mich fast lähmend vor Schmerz keine Bewegung mehr vollführen. Doch ich wusste, dass ich musste. Schnell fing ich an zu paddeln, fischte mir mein Brett, als ich wieder auftauchte und legte mich umständlich mit meinem Oberkörper herauf. Ich ließ mich von einer Welle weiter Richtung Strand treiben und kämpfte dagegen an, nicht laut loszuschreien. Jede Welle, jedes kleine Wippen war die Hölle und trotzdem musste ich mit mindestens einem Arm und meinen Beinen mithelfen, damit ich irgendwann wieder am Strand ankam.
Es stellte sich zwar als schwierig heraus, dort anzukommen, doch irgendwie schaffte ich es, dem Sand immer näher zu kommen. Ich sah, dass es mittlerweile an die sechs Uhr sein musste, da hier und da Menschen rum liefen, die ich an ihren leichten O-Beinen in die Rubrik der Fußballer stecken konnte. Der Strand füllte sich mit jedem Paddelzug immer mehr und wo es mir in einer normalen Situation noch unglaublich peinlich gewesen wäre, war es mir jetzt völlig egal, wie demoliert ich aus dem Meer kam.
Als ich Sand unter meinen Füßen spürte und feststellte, dass ich wieder stehen konnte, hievte ich mich vorsichtig von meinem Brett, klemmte es mir vorsichtig unter meinen Arm und schleppte mich mit Schmerz verzogenem Gesicht und der anderen Hand im Nacken in den Sand. Mein Brett schmiss ich achtlos neben mich, ehe ich mir unter Schmerzen den Reißverschluss auf dem Rücken noch umständlicher öffnete, wie ich ihn zugezogen hatte. Ich dachte, dass es mir ein wenig den Schmerz nehmen konnte, doch das Erfüllen der Hoffnung blieb aus. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und schaltete die Menschen um mich herum vollkommen aus. Ich hörte zwar nicht mehr nur das Rauschen der Welle, roch nicht mehr nur den Sand und das Meer, sondern nahm Menschengetümmel und den Geruch von Deo wahr.
»Hey, alles okay?«, ich schreckte fast schon hoch, als ich zitternd vor Schmerzen vor mich hinstarrte und ausschließlich hoffte, es würde vorbeigehen.
»Ich... ja, ja alles okay.«, winkte ich ab und schielte für einen Moment in ein etwas älteres Gesicht. Es war kein Spieler, dafür sah er trotz seiner nackten Füße in seiner Anzughose und Hemd viel zu spießig aus. Wahrscheinlich gehörte er zum Trainerkader.
»Bist du sicher?«, hakte er noch einmal nach. Am liebsten wäre ich aufgestanden oder hätte meinen Kopf soweit bewegt, damit ich ihn richtig ansehen konnte, um ihm zu beweisen, dass mir nichts fehlte, doch ich schaffte es nicht einmal, meine Hand von meinem Nacken zu nehmen, weil ich Angst hatte, dass der Schmerz somit noch schneller durch meinen Körper rennen würde.
»Ich hab irgendwas mit meinem Nacken.«, gab ich nach und schluchzte fast, als die Worte meinen Mund verließen. Meine nackten Füße hatte ich vor Schmerz tief in den Sand gebuddelt und nachdem meine freie Hand die Brettfessel von meinem Fuß entfernt hatte, vergrub sie sich von ganz allein in den Tiefen des Strandes.
»Kannst du aufstehen?«, der Mann hockte sich neben mich und musterte mein Gesicht. Peinlich berührt unterdrückte ich aufkommende Tränen. Ich war froh, dass sämtliche andere Leute, die über den Strand liefen, nichts davon mitbekamen – auch wenn es mir in diesem Moment wahrscheinlich völlig egal gewesen wäre.
»Muss ich ja, sonst sitz ich wahrscheinlich noch Tage hier rum.«, murmelte ich fast unverständlich.
Der Mann lachte auf. Ich konnte von Glück reden, dass er Humor hatte. »Wir können auch eine Trage holen.«
»Diese orangenen Schalen, die aussehen, als wären es Särge? Dann bleib ich lieber tagelang hier hocken.«, nahm ich ihm seinen Vorschlag und machte Anstalten, aufzustehen. Ich musste mich zusammenreißen, schließlich konnte ich wirklich nicht hier sitzen bleiben. Und in einen Sarg, der die Aufmerksamkeit der anderen Menschen erst recht erwecken würde, wollte ich nun alle male nicht.
»Warte, ich stütz dich.«, er hielt mir seine Hand hin, die ich sofort schnappte. Ich biss meine Zähne zusammen, konnte kaum gerade stehen und humpelte, weil jeder Schritt mit Schmerzen verbunden war, neben ihm über den Sand. Die Blicke, die uns mittlerweile galten, bekam ich gar nicht mit. Ich musste mich viel zu sehr auf jeden Schritt konzentrieren.
»Ich wohne gleich hier vorne in Haus drei.«, gab ich dem Mann zu verstehen, wo er mit mir hingehen sollte.
»Du brauchst einen Arzt, du kannst dich doch kaum rühren.«, widersprach er mir und ich sah im Augenwinkel, wie wir meine Zimmertür hinter uns ließen. Der Weg kam mir vor wie mehrere Kilometer, die Schmerzen wie die größten, die ich je hatte und die Stimme meines Vaters wie die Erlösung – zumindest für den Moment.
»Liv, was ist passiert?«
Er stand vor mir und fuchtelte mit seinen Händen vor mir herum. Er wusste nicht ob und wie er mich anfassen oder berühren konnte und sah mich nur panisch an.
»Der Nacken von gestern und dann... dann war da so eine beschissene Welle.«, fluchte ich. »Das geht gleich bestimmt wieder und ich kann wieder ins Wasser.«
»Nichts da, junge Dame.«, widersprach der Mann, der mich noch immer stützte.
»Oli?«, rief mein Vater erfreut aus.
»Marc! Jogi hat gar nicht erwähnt, dass du wieder dabei bist.«, auch der Mann, dessen Name anscheinend Oli war, grinste breit. In mir brodelte es fast vor Wut, weil ich einfach nur von meinen Schmerzen befreit werden und keinem Wiedersehens-Gespräch zwischen meinem Vater und diesem Oli zu lauschen.
»Euch schmeckt es bei mir einfach zu gut.«, lachte mein Vater, wurde aber schnell wieder ernst. »Ist denn gerade wer da, der ihr was geben kann?«
»Ja, Müller-Wohlfahrt müsste da sein.«
»Du kannst dich auf Mull verlassen, keine Angst.«, sprach mein Vater mir Mut zu, während ich weiter unter Schmerzen durch das halbe Camp lief, um den sogenannten »Mull« zu erreichen. 

»Jungs, wir haben einen Notfall. Ich hoffe, es ist okay. Ist die Tochter vom Marc!«, rief Klaus Eder, der sich als Physio der Mannschaft vorgestellt hatte, vor.
»Sorry.«, ich winkte den beiden Jungs auf den zwei Liegen mit leicht erhobener Hand zu und grinste schüchtern. Mir war es unangenehm, dass ich die dritte Person in diesem Raum war und nach drei Stunden immer noch meinen Surfanzug anhatte.
Ein etwas heller und ein etwas dunklerer Schopf erhobenen ihren Kopf und grinsten mich an.
»Marcs Tochter ist immer Willkommen.«, lachte der eine mit einem bayrischen Akzent und zwinkerte mir zu.
»Thomas Müller.«, flüsterte Klaus mir zu.
»Hi Klaus Tochter.«, rief der andere mit erhobener Hand. Der erste, den ich erkannte und den ich wohl schon von Anfang an seiner Karriere irgendwie wahrgenommen hatte – Bastian Schweinsteiger.
»Hi Basti.«, gab ich prompt zurück.
»Der Basti ist wieder bekannter. Der Playboy der Mannschaft – war ja klar.«, grinste Thomas und legte sich zurück auf die Liege.
»Neid, purer Neid!«, lachte Basti und ließ sich auch weiter massieren.
»Verstehe!«, gab ich nur von mir und setzte mich nach Anweisung von Klaus auf die letzte freie Liege.
»Was hat der Mull mit dir gemacht?«, fragte er lachend und schob meine Haare beiseite, um sich meinen Rücken ansehen zu können.
»Ich hab Spritzen bekommen, damit die Schmerzen erst mal weg sind und ich mich wieder bewegen kann.«
»Okay, dann knete ich dich erst mal richtig durch, damit die Verspannung weggeht und tape dich dann. Abgemacht?«
»Klingt gut, würde ich sagen!«, grinste ich und legte mich lang auf die Liege. Ich konnte genau in Bastis Gesicht blicken, als er es aus dem Loch der Liege erhob und mich ansah.
»Freu dich nicht zu früh. Das sind die härtesten Hände, die es hier in Brasilien gibt.«, warnte er mich. Ich fing nur an zu lachen und schüttelte den Kopf. Ich wollte mich von den Spielern fern halten und ihnen nicht auch noch durch Gespräche den letzten Rest Privatsphäre stehlen. Außerdem war ich viel zu froh darüber, schmerzfrei zu sein, als dass ich irgendetwas hätte erwidern können.

Another loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt