»Aber was es sonst war, wusste ich auch nicht.«

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»Geh bitte noch die Tische abputzen und dann hast du erst mal Feierabend.«, hallten die erlösenden Worte meines Vaters durch die große Küche, als ich mir den kleinen Eimer samt Waschlappen und Handtuch schnappte.
»Geht klar.«, rief ich zurück und lief raus in das kleine Restaurant. Auf den großen Tischen lagen Reste von dem gemischten Salat, die beim Essen aus den Schalen gerutscht sein mussten, herum und hier und da hatten die Spieler vergessen, ihre Servietten wegzuwerfen. Doch ich beklagte mich nicht. Die Essensausgabe war in Buffetform aufgebaut und das Geschirr mussten die Spieler nach dem Essen auch alleine zurück zu einem Geschirrwagen bringen – die drei Servietten und Salatblätter störten mich da alle Male nicht und machten meinen Job für die nächsten Wochen nun wirklich nicht zu einem Beinbruch. 
Mit guter Laune fing ich pfeifend an, die Servietten einzusammeln und in einen kleinen Mülleimer am Geschirrwagen zu werfen. Gründlich wischte ich den Tisch ab und polierte ihn fast trocken, als ich hochschrak.
»Du sollst dich doch nicht immer erschrecken, wenn ich den Raum betrete oder dir zu nahe komme.«, lachte diese eine Stimme, die zu dem Mann gehörte, mit dem ich seit heute morgen ein morgendliches Ritual besaß. 
»Du bist halt angsteinflößend.«, gab ich grinsend von mir und schmiss den Lappen zurück in den Eimer und ging in Richtung Küche. Dass Basti mir folgte, war mir fast schon klar. Wenn er hier war, dann konnte er nur irgendetwas von meinem Vater wollen. 
»Marc?«, rief er auch schon, als ich das Wasser weg schüttete und gar nicht mehr auf ihn achtete. 
»Basti, was gibt’s? Irgendwas am Essen auszusetzen?«, lachend kam mein Vater um die Ecke und wischte sich wieder einmal seine Hände an seiner Kochausrüstung ab. Es war pure Angewohnheit von meinem Vater, diese Geste zu vollziehen, ehe er mit jemandem sprach. 
»Nein, der Fisch war wirklich lecker!«, versicherte er meinem Vater, während ich vor mich hin grinste und die Putzsachen an ihren Ort legte. »Miro hat heute Geburtstag und ich hab eine Stunde Zeit, um den Raum zu schmücken.«
»Die anderen sind beim Training, du hast dich geopfert und brauchst jetzt Hilfe?«, lachte Papa fragend auf. Ich drehte mich mit verschränkten Armen zu den beiden Männern um und hoffte insgeheim, dass ihr Blick auf mich fallen würde. 
»Richtig.«, grinste er verlegen. 
»Da ihr mir nicht Bescheid gesagt habt und ich beim Mittag nicht einmal eine Kleinigkeit für ihn hatte, musst du mit Liv auskommen. Ich muss mir noch was für heute Abend überlegen.«, redete mein Vater sich aus der Sache heraus. Empört seufzte ich auf, strich meine Gedanken daran, dass ich für einen Moment wütend auf ihn sein könnte aber wieder sofort. Er stand seit heute morgen in der Küche und der Nachmittag war die Zeit, an der er für zwei Stunden die Ruhe genießen konnte. Ich wollte sie ihm nicht stehlen und musste sofort daran denken, dass die Stunde mit Basti sicherlich auch lustig werden könnte – schließlich hatten wir heute morgen auch eine schöne Zeit miteinander verbracht. 
»Ausnahmsweise helfe ich dir. Surfen kann ich ja eh noch nicht.«, grinste ich und hoffte, dass mein Zusagen nicht wie eine Selbstverständlichkeit zu deuten war. 
»Wie gütig, gnädige Frau.«, lachte er. »Pass auf – hier sind Luftschlangen, die sollen überall im Raum verteilt werden. Also irgendwo aufhängen, aber auch auf die Tische legen. Als besonderen Gag haben wir noch Hüte und Tröten, von denen du an jeden Platz eine stellen kannst.«, erklärte Basti mir und drückte mir nacheinander die Sachen in die Hände. Verwirrt sah ich auf den Berg von Geburtstagsutensilien in meinen Armen. 
»Erstens: Was für ein Kindergeburtstag wird das hier mit den Tröten?«, ich stoppte kurz und nickte auf die Verpackung. Die Tröten waren für mich längst aus der Mode gekommen und gehörten meiner Meinung nach vielmehr auf einen Kindergeburtstag im McDonalds oder Indoor-Spielplatz. »Und zweitens: Was zum Teufel wirst du tun, wenn ich all die Sachen hier übernehme?«, ehe Basti etwas sagen konnte, fiel ich ihm mit zusammengezogenen Augenbrauen ins Wort und schielte ihn fragend an. 
»Ich werd mir die Ruhe gönnen, die die anderen aus der Mannschaft in genau diesem Moment nicht haben.«
»Dein Sport, Ehrgeiz und Status als Profifußballer in allen Ehren, aber... verdammt, du spinnst!«, ich lachte auf und pfefferte die Verpackungen, die er mir eben in die Hand gedrückt hatte, auf den Tisch. 
»Du hast kein Mitleid damit, dass ich in einer Stunde wieder auf dem Platz stehen und schwitzen muss?«, er verzog fast schon schmerzverzerrt sein Gesicht und schob seine Unterlippe leicht vor. 
»Du hast dir das halt so ausgesucht.«, konterte ich nur und riss die Packung mit den Hüten auf, um einen herauszunehmen. »Hier, damit du ein wenig in Stimmung kommst.«
Ich streckte mich, um dem verdatterten Basti vor mir einen von den Hüten aufzusetzen. Sein Aussehen brachte mich zum Lachen.
»Wenn du nicht mehr so viel schwitzen willst, versuch es als Spaßvogel auf einem Kindergeburtstag.«, gab ich ihm den Tipp und fing an, den Tisch zu dekorieren. Basti stand einfach nur da und blickte mich noch immer mit seinem Hundeblick an. Er konnte absolut vergessen, dass ich seine komplette Arbeit übernahm – ob Fußballspieler hin oder her. 
»Da kann man aber auch mal ins Schwitzen geraten.«, versicherte er mir. »Ich war dieses Jahr auf dem Geburtstags von Lukas Sohn. Du glaubst gar nicht, wie anstrengend Poldi Junior und der Rest der Bande war. Da spiel ich lieber fünf Finalspiele gegen den stärksten Gegner, den es gibt. Plus Verlängerung und Elfmeterschießen!« 
»Sag das bloß nicht zu laut. Vielleicht ist das kein gutes Omen!«, zischte ich und musste daran denken, dass er sich in wenigen Wochen in genau dieser Situation wiederfinden konnte. 
»Okay, dann bleibe ich vielleicht doch lieber beim Schmücken.«, platzte es aus ihm heraus. Er schien die gleichen Gedanken zu haben, wie ich. 

»Wir sehen uns dann heute Abend.«, hatte Basti gesagt, als er nach dem Schmücken zum Training aufbrach. Wir hatten lange diskutiert, ob ich wirklich zu der kleinen Party kommen sollte, doch er war der Meinung, dass ich mit meiner Arbeit in der Küche ebenso für die Mannschaft sorgte und als Tochter von Marc sowieso willkommen war. Seufzend hatte ich vor einer knappen halben Stunde meine gelockten Haare in Form gebracht und mir ein leichtes Kleid übergezogen. Und nun stand ich hier im Essenssaal. Umgeben von der ganzen Mannschaft, dem Team hinter dem Team, meinem Vater und der Lieblingsbeiköchin Ute. Alle gratulierten dem überglücklichen Miro und vollkommen überfahren von den ganzen Dingen, die ihm geschenkt wurden, pustete er strahlend die Kerze aus, die mein Vater ihm auf einen Ball, der aus einer Wassermelone geschnitzt wurde, gesteckt hatte. 
Ich wusste nicht so recht etwas mit mir anzufangen. Ich stand mittlerweile an der Seite, etwas abgelegen und beobachtete Thomas und Basti dabei, wie sie sich gegenseitig antickten, sich etwas zuflüsterten und in einem schallenden Lachen verfielen. Wo Bastis Augen zu Schlitzen wurden, wenn er lachte, konnte man in Thomas Gesicht lediglich weiße, große Zähne sehen. Ich musste lachen. 
»Komm, wir gehen zu Miro und nehmen ihn mit in die Küche. Jetzt sind nicht mehr alle mit ihm beschäftigt.«, stupste mein Vater mich an und ging zu Miro, während ich voraus zur Küche ging. Ich hatte nach dem Schmücken die Küche in meinen Beschlag genommen und ein kleines Geschenk für Miro gebacken. 
»Happy Birthday!«, rief ich, als er mit Papa im Türrahmen stand. Er kannte mich zwar nicht, doch als ich ihm die Hand entgegenstreckte und er breit grinste, wusste ich, dass mein Vater ihn aufgeklärt haben musste. 
»Danke, Liv.«, grinste er und drückte mir rechts und links einen Kuss auf die Wange. »Schön, dass du da bist.«
»Ich hab noch eine Kleinigkeit. Aber verrat mich bitte nicht beim Jogi!«, flüsterte ich und schielte gespielt an ihm vorbei in den großen Saal. Ich hielt ihm das kleine Schokotörtchen, das ich am Nachmittag nach dem Schmücken eigenhändig gebacken hatte, entgegen. 
»Oh mein Gott!«, rief er aus und hielt sich lachend die Hand vor den Mund, als er mit der anderen den Kuchen ergriff. »Du wirst mir die Tage hier ohne Schokolade retten! Danke!«, er schien so erfreut, dass er es in den Hintergrund schob, dass wir uns nicht kannten, und umarmte mich herzlich. »Marc, du musst mir helfen und das Törtchen aufbewahren, damit mich keiner erwischt!«
»Wird gemacht.«, versicherte Papa. Ich war glücklich, dass ich Miro eine Freude bereiten konnte und war jetzt mit einem ganz anderen Gefühl auf der kleinen Feier. 
»Lasst uns wieder zurückgehen, sonst fällt es noch auf, dass wir heimlich Schmuggelware verteilen!«, flüsterte ich und ging voraus in den großen Saal. Als ich in die Männerrunde blickte, sah ich, dass die komplette Runde die Hüte auf ihren Köpfen sitzen hatte und wie wild mit den Tröten dieses ohrenbetäubende Geräusch veranstaltete. Als Basti meinen Blick erhaschte, zuckte er seinen Hut für einen kurzen Moment von seinem Kopf und begrüßte mich stolz. Ich musste lachen. 
»Papa!«
Ich zuckte zusammen, alle waren mit einem Mal ruhig und die Blicke waren auf die Eingangstür gerichtet. Zwei kleine Jungs und eine braunhaarige Frau standen strahlend im Türrahmen. Die Jungs sahen sich unglaublich ähnlich und ich tippte darauf, dass es seine Zwillinge und die dazugehörige Mama waren. 
»Nein!«, stieß Miro aus, schlug sich die Hände vor den Mund und lief schon auf seine kleine Familie zu. Die Jungs sprangen ihn an und seine Frau umarmte das dreier-Gespann. Alle fingen an zu jubeln und die Tröten und die Luftschlangen kamen zum Einsatz. Ich musste grinsen und bekam eine Gänsehaut. Ich wusste, dass die Party hier für mich zu Ende war. Nicht, weil ich nicht willkommen war oder mich unwohl fühlte – ich fühlte mich einfach danach, die Runde unter sich zu lassen. Durch die Familie hatte das Ganze eine noch intimere Stimmung bekommen. 

»Ich find es süß, dass die drei zur Überraschung extra angereist sind.«
Ich nahm meinen Blick von den Wellen und aus der Ferne und sah den Strand entlang. Basti und Thomas schlenderten nebeneinander mit Sonnenbrillen auf der Nase am Wasser entlang. Ich musste grinsen, als ich an meine Gedanken hinsichtlich der Schlitzaugen und dem großen Gebiss denken musste. Die beiden waren wohl kaum auseinander zu bekommen. 
»Wos machst du denn hia?«
Mein Grinsen verließ meine Lippen nicht, als Thomas mich mit seinem bayrischen Dialekt ansprach. 
»Du musst Hochdeutsch reden, sonst kommst du heute glaube ich nicht ganz so weit.«, lachte Basti und kam mit Thomas an seiner Seite zu mir. 
»Was machst du denn hier?«, strengte Thomas sich an und sprach jedes Wort übertrieben deutlich aus. Wieder kamen seine großen Zähne zum Vorschein und die zusammen mit seiner Art und Weise, brachten mich zum Lachen. 
»Ich genieße den Anblick.«, gab ich zu und deutete auf den Sonnenuntergang. Ich ersparte mir den Spruch, dass ich die Ruhe genoss, da ich die beiden Männer – genauso wie Basti am Morgen – davon abhalten wollte, sofort wieder zu gehen. »Und ihr? Ist die Feier schon vorbei? Oder habt ihr ein abendliches Ritual?«, ich schielte zu Basti und machte eine Andeutung auf unsere morgendliche Abmachung. 
»Mit so was komm ich beim Basti nicht weit. So was macht er nur mit seiner Sarah.«
Ich verschluckte mich binnen weniger Sekunden an meiner Spucke und fing wie panisch an zu husten. Mein Gesicht lief rot an und mir war die ganze Sache unglaublich unangenehm. Mit seiner Sarah. Also hatte er eine Freundin, mit der er allen Anschein nach viele Rituale hatte. Und mit mir. 
»Ich geh mir mal flink die Füße abkühlen.«, Thomas stand auf und ging zum Meer. Da wir weit genug entfernt saßen, konnten wir ungehindert reden. 
»Sorry.«, nuschelte Basti und fuhr sich für einen kurzen Moment durch sein Gesicht, das von der Sonne erhellt wurde. 
»Schon okay.«, brachte ich nur mühsam hervor. Ich wusste nicht recht, was ich antworten sollte. Es war keinesfalls Thomas Schuld, dass wir jetzt eher schlecht als recht nebeneinander saßen – er war schließlich nur in ein riesiges Fettnäpfchen getreten – und doch hätte ich mir gewünscht, er hätte seine Aussage sofort zurückgenommen und ungeschehen gemacht. 
»Weißt du, ich hab mit Sarah natürlich ein paar Rituale. So ganz normale, die es in jeder Beziehung halt gibt. Das soll aber noch lange nicht... «
»Ist okay.«, unterbrach ich Basti ein wenig forsch. Forscher, als ich wollte, weswegen ich fortsetzend einen sanfteren Ton wählte und doch bestimmend klang. »Ich finde einfach nur, dass man das Wort Ritual in seiner Bedeutung nicht abschwächen sollte.«
»Wie meinst du das?«, fragend sah Basti mich an und drehte sich ein wenig zu mir. 
»Vielleicht ist es besser, wenn du deine Rituale mit nur einer Person hast.«
Ich wusste nicht, was mit mir los war, doch als ich aufstand und zwei Schritte gegangen war, bereute ich meine Aussage. Thomas schien noch immer eins mit dem Wasser zu sein, als er seine Füße darin badete und irgendetwas aus den Tiefen herausfischte und es in der Hand behielt, weswegen er nichts davon mitbekam, was in den letzten Minuten passiert war. Wahrscheinlich machte er sich nicht einmal Gedanken über seine Aussage – aber warum sollte er das auch?
Seufzend ging ich durch den Sand und als hätte sich mein inneres Wohlbefinden auf meinen Nacken ausgebreitet, spürte ich unentwegt einen leichten Schmerz. Es war absurd, dass ich Basti mehr oder minder angefahren hatte, doch es war zu spät, um wieder umzukehren und zu sagen, dass es lediglich ein Scherz von mir war. Das war es ja auch nicht. Aber was es sonst war, wusste ich auch nicht. Vielleicht wollte ich Sarah in irgendeiner Art und Weise schützen und aus ihrer Sicht das Wort Ritual in seiner Bedeutung nicht abschwächen. Welche Freundin hörte schon gerne, dass ihr Freund während der aufregendsten, emotionalsten und womöglich auch schwersten Zeit seines Lebens neue Rituale mit einer anderen Frau teilte? Egal, um was für eine andere Frau es sich handelte und auch wenn nur ich es war – keine Frau hörte es gern.

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