»Ich bin gespannt, wann er aufgibt!«

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Ich war mittlerweile den fünften Tag in Brasilien und fühlte mich von Tag zu Tag immer wohler. Das Surfen machte mir unglaublichen Spaß, ich genoss es seit meinem letzten Urlaub im vorherigen Jahr endlich mal wieder auf dem Brett stehen zu können und tat in meiner freien Zeit kaum was anderes, als sehnlich auf die nächsten Wellen zu warten. Auch die Arbeit in der Küche gefiel mir. Ich hatte Spaß mit meinem Vater und den anderen Angestellten. Abends und morgens traf ich meist auf Basti und die anderen Spieler und ging zum Abschluss des Tages oft mit Ersterem am Strand spazieren, um über Gott und die Welt zu quatschen. Auch meinem Vater war es aufgefallen, dass ich mich gerade mit ihm und Thomas gut verstand und erfreute sich darüber. Mein Vorhaben, Distanz zu den Spielern zu bewahren, hatte ich also längst über Board geworfen und freute mich einfach nur über die Ablenkung. 
Aber gerade wenn ich nichts zu tun und die ganze Ablenkung nicht hatte, blieb mir Zeit, um mir Gedanken zu machen. Gedanken über mein Leben in Deutschland, über mich, meine Zukunft und über Felix. 
Felix kam mir grade an den Abenden in den Sinn, in denen ich alleine am Strand saß, über die Anlage spazierte oder aber ruhelos in meinem Bett lag und mich von einer Seite auf die andere wälzte. Ich bekam kaum ein Auge zu, ohne an ihn zu denken und das machte mir Angst. Mir war klar, dass ich zwar an ihn denken musste, aber dass er mir so oft in den Kopf kam und meine Nächte in Beschlag nahm, war mir erst bewusst, als es soweit war. Ich wollte das nicht, weil ich hoffte, mit dem Thema abschließen zu können und doch beruhigte ich mich selbst damit, dass es womöglich normal war, am Anfang einer Trennung damit kämpfen zu müssen, dass Nachrichten, Anrufe oder irgendwelcher Kontakt und irgendwelche Gewohnheiten einfach nicht mehr da waren. Wahrscheinlich musste ich mir selbst, die Ungeduld in Person, einfach viel mehr Zeit lassen, um alles sacken zu lassen. 
Nachdem es am Vortag relativ ruhig gewesen war, da die Spieler mit dem Team im Nachbardorf in einer Schule waren und gegen Abend das Abschlusstraining vor dem Aufbruch nach Salvador für das erste Spiel anstand, war heute umso volleres Haus. Die Spieler waren nicht beim Training, was hieß, dass sie den ganzen Tag über auf dem Gelände waren. Hier und da gaben sie Interviews für RTL und andere Sender oder kamen im fliegenden Wechsel aus dem Physiohaus. Ich war froh über das rege Treiben, auch wenn es mehr Arbeit für mich und meinen Vater hieß. Der Wasserspender im kleinen Restaurant musste öfter neu gefüllt, das Obst immer wieder nachgefüllt und das alte Geschirr gewaschen werden. Ich genoss es fast, in der kühlen Küche zu stehen und das Geschirr zu spülen. Wahrscheinlich, weil ich dabei kaum an Deutschland dachte. 
Als ich am Abend mit meinem Board zum Strand kam, war auch dort reges Treiben. Miro war mit seiner Familie am Strand, Julian, Lukas und Christoph spielten gegen andere Volleyball und Thomas und Basti kabbelten sich in den Wellen. Lachend ging ich ins Wasser und legte mich auf mein Brett, um zu ihnen zu gelangen. Sie hatten mich nicht entdeckt, doch als ich ein lautes »Hallo« zwischen die unerklärlichen Laute der beiden rief, hielten sie sofort inne. 
»So sieht eure trainingsfreie Zeit also aus.«, lachte ich und setzte mich auf, als sie mich mit verdutzten Gesichtern ansahen. 
»Ich werde wieder geärgert.«, jaulte Basti und strich sich Wasser aus dem Gesicht. 
»Und jetzt wieder das Opfer mimen. Das bist so typisch du!«, beschwerte Thomas sich und tauchte Basti noch einmal provokant unter Wasser. 
»Ich geh surfen, Jungs!«, kicherte ich, als ich bemerkte, dass zwischen den beiden eine Diskussion entflammte. 
»Nichts da, du bleibst mit deinem Holzbrett mal schön hier.«, Basti schwamm vor mich, sodass es fast schon unmöglich war, an ihm vorbeizukommen. Wieder setzte ich mich auf meinem Brett auf und musste lachen. 
»Und was soll ich hier?«, das Brett wippte mit mir über die leichten Wellen und ich hielt mir meine Hand als Schutz gegen die Sonne vor die Augen. 
»Das neue Opfer werden.«, so schnell wie Thomas die Worte ausgesprochen hatte, konnte ich gar nicht denken. Sein Gesagtes war erst von meinen Ohren zu meinem Kopf gelangt, als ich längst von meinem Board runter gezogen und unter Wasser gestippt wurde. Automatisch kniff ich meine Augen zusammen und spürte, wie die Brettfessel im Weg war und ich mein Brett immer weiter hinter mir her zog, als ich unter Wasser vor den beiden fliehend wegschwamm. 
»Hier geblieben.«, hörte ich Basti, als ich auftauchte und er mich an meinem Fuß zurückzog. 
»Ey!«, lachte ich. »Das ist gemein, ich hab noch mein Brett an mir dran.«, beschwerte ich mich und deutete auf die Brettfessel. 
»Dann hab ich eine andere Idee.«, Thomas und Basti ließen mich in Ruhe, sodass ich mein Board und mich wieder sortieren konnte. Seufzend setzte ich mich wieder so hin, wie vor meinem Abgang. »Du bringst uns das Surfen bei!«
Basti fing schallend an zu lachen und schielte zu mir herüber, als Thomas seine Idee ausgesprochen hatte. »Dein Ernst, man? Ich wette mit dir, dass du in einer Stunde immer noch nicht auf dem Ding stehen kannst.«
»Willst du lieber mit den Trockenübungen am Strand anfangen?«, überging ich Bastis Aussage, um einer möglichen Diskussion, für die Thomas immer zu haben war, auszuweichen. 
»Trockenübungen brauche ich nicht, ich mach das gleich hier.«, gab er ziemlich selbstsicher von sich und wieder musste ich lachen. Ich dachte daran zurück, wie ich mit knapp dreizehn Jahren das erste Mal auf einem Surfbrett stand und genau die gleiche Selbstsicherheit durch mein Blut lief, wie bei Thomas. Auch ich wollte damals nicht diese Trockenübungen, die doch nur was für Loser waren, und ging sofort über ins Wasser, um das Anpaddeln, das richtige Liegen und im Endeffekt den Take Off zu üben. Mir wurde versichert, dass das nichts werden würde – geglaubt hatte ich es erst, als ich nach unzähligen Versuchen jedes Mal aufs Neue im Wasser landete. 
»Alles klar.«, sagte ich deswegen nur schmunzelnd und hielt weiter mit Basti Blickkontakt. Auch er hielt sich die Hände vor seinen grinsenden Mund und schien absolut gar nicht an seinen Teamkollegen zu glauben. 
»Ihr braucht gar nicht so über mich lachen.«, beschwerte Thomas sich. 
»Machen wir gar nicht. Wir lachen nur mit dir.«, beruhigte ich ihn. »Also, ich mach es dir mal eben vor und du machst es dann nach?«
»Abgemacht.«
Schnell legte ich mich auf mein Brett und paddelte lediglich zwei Meter weiter. Auch wenn Thomas sehr von sich überzeugt war, beließ ich es bei den kleinen Wellen. Wahrscheinlich würde er in den großen Wellen noch ertrinken und Ärger mit Jogi wollte ich mir nun wirklich nicht einheimsen. Als ich an der richtigen Stelle weit genug von den beiden entfernt angekommen war, drehte ich mich mit meinem Brett und blieb gleich liegen. 
»Du musst immer mit dem Rücken zu den Wellen sein. Wenn du siehst, dass eine Welle auf dich zukommt und dich dazu entschließt, die zu reiten, dann gehst du ins Hohlkreuz und fängst an, vor ihr davon zu paddeln.«, erklärte ich nebenbei, was ich machte. Zwar war das Rauschen der Wellen laut, doch da es lediglich ganz kleine waren, konnte man mich trotzdem gut verstehen. »Wenn du merkst, dass das Brett hinten hoch gedrückt wird, dann hörst du auf zu paddeln und drückst dich mit den Händen, die du rechts und links am Rand des Brettes positioniert hast, hoch. Wichtig ist, dass du nach vorne schaust und seitlich stehst.«, ich tat nach, was ich gesagt hatte. »Und dann solltest du eigentlich stehen, leicht angewinkelt aber, den Po raus strecken und mit deinen Händen die Balance halten.«
Ich ritt die kleine Welle so gut es ging und ließ mich auslaufen, als sie vorüber war. Lächelnd sprang ich vom Brett ins Wasser und löste die Brettfessel. »Hier, mach dir die um dein Fußgelenk.«
»Meinst du, dass du das wirklich machen willst?«, lachte Basti und sah seinen Freund und Spielkameraden an. »Ich meine, ich will nicht wissen, wie lange Liv gebraucht hat, um allein diese kleine Welle zu stehen.«
»Lass ihm den Spaß.«, zwinkerte ich Basti zu und beobachtete Thomas dabei, wie er sich konzentriert aufs Brett legte. 
»Ich bin dann mal weg!«, grinste er, als er seine Liegeposition gefunden hat und fing an, weiter raus zu paddeln. 
»Bleib weiter vorne, damit die Wellen nicht zu groß werden.«, warnte ich ihn, als ich mit Basti ein wenig zur Seite und Richtung Strand ging. 
»Wenn er es schafft, auch nur eine Welle zu stehen, fress ich einen Besen!«, versprach Basti, als wir uns im niedrigen Wasser in den Sand setzten und Thomas dabei zusahen, wie er mit dem Rücken zu den Wellen auf dem Brett lag und anfing zu paddeln. 
»Das braucht viel Übung. Wenn er nicht völlig talentiert ist, steht er vielleicht ganz kurz, fliegt aber sofort wieder runter. Er muss erst mal den richtigen Moment für den Take Off finden.«
»Wie lange hast du damals gebraucht?«, interessiert beäugte Basti mich und ich dachte kurz nach. 
»Bis ich wirklich gestanden habe, hat es schon an die Woche gedauert. So richtig auf einer Welle gesurft bin ich nach zwei Wochen. Aber ich habe auch von morgens bis abends geübt, sobald Wellen da waren.«
»Also wirklich ehrgeizig.«, lachte Basti auf. 
»Mehr als das!«
Ich sah, dass Thomas um sein Leben paddelte, nebenbei über seine Schulter sah und bereit war, um den Take Off zu machen. Doch das Brett rutschte ihm unter der Hand weg und er landete im Wasser. 
»Du musst die Hände in Brusthöhe auf dem Brett abstützen!«, rief ich, als Thomas schon wieder dabei war, die nächste Welle zu nutzen. »Hoffentlich tut er sich nichts. Sonst bin ich wohl nicht nur einen Kopf kürzer.«
»Was soll er sich bei den niedrigen Wellen denn großartig tun?«, lachte Basti und beobachtete seinen Freund mit sorgfältigen Blicken. Ich musste schmunzeln. 
»Du hast recht. Lassen wir ihn. Ich bin gespannt, wann er aufgibt!«

»Oh Gott, ich wusste gar nicht, dass das so anstrengend sein kann!«, seufzte Thomas, als er in den Essenssaal kam und mich erblickte.
»Ich hab dich gewarnt!«, lachte ich und stellte den letzten Stapel Teller für den nächsten Morgen bereit. »Was treibt dich her?«
»Ich wollte eigentlich nur einen Apfel.«, lächelte er und schnappte sich einen. »Hast du was gegen Muskelkater?«
»Ich glaube, wir sollten das mit dem Surfen morgen lieber lassen. Wenn Jogi Wind davon bekommt, krieg ich wahrscheinlich noch Ärger und werde dem Camp verwiesen.«
»Wir lassen das mit dem Surfen, weil ich es eh nicht auf die Reihe bekomme. Und noch mehr will ich mich vor Basti nicht blamieren.«, Thomas biss in seinen Apfel und wieder fiel mir auf, was für einen großen Mund er hatte. Er schien den Apfel mit lediglich zwei Bissen verschlingen zu können. 
»Nach dem Finale treffen wir uns heimlich zum Üben und dann zeigst du Basti, wer hier surfen kann.«, zwinkerte ich ihm zu und ging vor in die große Küche.
»Ich nehme dich beim Wort.«, gab er wieder selbstsicher von sich und hob seinen Finger. »Was machst du heute noch?«
Verwundert drehte ich mich zu Thomas um. Irgendwie überraschte seine Frage mich. Wir hatten uns die wenigen Male, die wir uns begegnet waren, zwar gut verstanden, doch dass er mir solch eine Frage stellte, ließ mich fast schon die Nase rümpfen. 
»Ich wollte eigentlich nochmal zum Strand runter.«, antwortete ich und versuchte so sicher wie möglich zu klingen. Ich wollte ihm keinesfalls das Gefühl geben, dass ich seine Frage komisch empfand. »Wieso?«
»Basti und ich wollten mit ein paar anderen, dem Jogi und deinem Vater zusammen sitzen. Wenn du Lust hast, kannst du gleich mitkommen.«, mir fiel fast ein Stein vom Herzen, als er es aussprach. Und wieder einmal schämte ich mich für meine Gedanken, er könnte etwas mit mir unternehmen wollen, so ungemein, dass meine Wangen schon anfingen zu glühen. 
»Da steckt mein Vater also.«, seufzte ich und sah mich noch einmal in der Küche um, um sicher zu gehen, dass ich auch wirklich alles erledigt hatte. »Klar, ich komme mit.«
Als der Name Basti gefallen war, stand für mich meine Entscheidung fest. So gern ich auch surfen wollte und so gut die Wellen von hier oben aus dem Camp auch aussahen – innerhalb weniger Sekunden hatte mich nur ein Name umgestimmt. Ich war gern mit Basti zusammen, weswegen ich mich freute, den restlichen späten Abend mit ihm, meinem Vater und den anderen zu genießen. 
»Da fällt der Name Basti und die Frauen sind umgestimmt.«, lachte Thomas als wir aus dem Gebäude gingen und nebeneinander durch das Camp liefen. Fast blieb ich stehen, mein Herz setzte für einen Moment aus, ich wunderte mich über mich selbst, konnte mich rechtzeitig aber wieder fangen. 
»Kaum fällt der Name Papa und die Tochter ist umgestimmt.«, konterte und ich ließ mir nicht anmerken, dass seine Aussage mich in Verlegenheit gebracht hatte.

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