»Ich war längst wieder vom Protagonisten zum Statisten geschrumpft.«

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Basti sah so unendlich glücklich auf seinen Hochzeitfotos aus. Ich freu mich für ihn und seine Ana. 



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Unter meinen Tränen und dem unaufhaltsamen Schluchzen war ich erschöpft in einen unruhigen Schlaf gefallen. Meine Kopfschmerzen trieben mich in den Wahnsinn, die Hitze verschlimmerte nur alles, meine Lider waren so geschwollen, dass ich kaum die Augen öffnen konnte und mein Herz fühlte sich an, als wäre es zerrissen und längst nicht mehr überlebensfähig. Ich sah Basti in meinen Träumen, wie wir lachend über den Golfplatz rasten, wie wir uns das erste Mal bei der Physio gesehen hatten, unsere Rituale am Morgen am Strand, unsere Rituale nach jedem Sieg, das Schmücken für Miros Geburtstagsparty und all die kleinen wunderbaren Gespräche. All das zerriss mir selbst im Schlaf mein Herz und ließ mich irgendwann aufschrecken.
Der Wecker zeigte 18:45 Uhr als ich meine Augen gegen ihren Willen aufgeschlagen hatte. Mein Herz meldete sich zu Wort und die Leere, die ich in meinem Körper empfand, wurde mir augenblicklich wieder bewusst. Auf meinem Nachtschrank stand ein Teller, daneben eine Nachricht in Paps krickeliger Schrift.

»Du hast das Abendessen verpasst und ich wollte dich nicht wecken. Ein Gang, der nicht auf der Speisekarte zu finden war – selbstgemachte Pizza mit deinem Lieblingsbelag.
Wenn du reden willst, lass es mich wissen, Livi.
Daddy.«

Ich war gerührt als ich den Zettel in meinen zittrigen Händen hielt. Ich wusste, dass er mich in Ruhe lassen würde und es mir überließ, wann und wen ich zum Reden brauchte und wollte. Er meinte es nicht böse, dass er distanziert war. Vielmehr kannte er mich einfach so gut, dass er wusste, dass es genau das richtige war, was er tat. Doch ich wollte gerade nicht reden. Ich konnte es auch nicht. Der Gedanke, dass Sarah hier irgendwo im Camp mit Bastian sprach, ihn berührte oder sogar küsste, schnürte mir die Kehle zu. Ich wollte nicht dran denken, ich wollte nicht drüber reden oder sie gar sehen. Ich wollte einfach meine Ruhe und das Meeresrauschen in den Ohren.
Ich war mir sicher, dass ich heute Abend kaum noch jemandem über den Weg laufen würde und zog mir lediglich meinen Bikini und meinen Surfanzug über, um mit meinem Brett unter dem Arm zum Strand zu gehen. Meine letzte Aktion mit meinem geliebten Board endete zwar fast in einem Desaster, aber jetzt brauchte ich es umso mehr. Mein Board war halt in jeder Lebenslage an meiner Seite. Selbst wenn ich mit verquollenen Augen und total betrunken irgendeinen Schwachsinn trieb.
Die Sonne kitzelte schwach an meiner Nasenspitze als ich über den Sand lief. Erinnerungen kamen in mir hoch. Das Ritual von Basti und mir. Wie wir hier im Sand saßen, immer an der gleichen Stelle, nachdem ich vom Surfen aus dem Wasser kam. Er hatte mir meist mit dem Reißverschluss auf dem Rücken meines Anzuges geholfen und mir immer wieder deutlich gemacht, wie toll er es fand, dass ich surfen konnte. Die Erinnerungen trieben mir Tränen in die Augen, während ich mein Board neben mir in den Sand legte und mich auf genau die Stelle gesetzt hatte, auf der wir immer gesessen hatten. Ich hatte das Gefühl ihm so nah zu sein, dass ich ihn schon fast spüren konnte. Wie er seinen Arm um mich legte, wie er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich oder seine Lippen auf meine nackte Haut drückte.
Mein Herz zog sich zusammen und ich zog automatisch schützend meine Beine an meinen Körper, um sie mit meinen Armen festzuhalten. Es brachte mir augenblicklich Wärme und Schutz und auch wenn es mir meine Schmerzen nicht vollends nehmen konnte, fühlte ich mich beruhigter. Für einen Moment schloss ich die Augen und konzentrierte mich völlig auf mein Gehör. Ich hörte Ruhe und Stille, das Meeresrauschen vor mir, wie die Wellen rechts gegen die Steine peitschten und wie die Palmen im leichten Wind wehten. Das alles war der Soundtrack, der sich hinter mein Leben gelegt hatte und für einen Moment war ich froh darüber, dass es kein trauriges Liebeslied war. Es war die Natur, die mich beruhigte, die mir ein Stück Freiheit gab und für einen Moment vergessen ließ, wie es mir wirklich ging, in welcher Situation ich steckte und wie zerbrochen ich war.
Doch was war das Leben schon, wenn man das gebrochene Herz nicht vollends spürte und warum sollte es auch Realität heißen, wenn man binnen weniger Sekunden nicht wieder genau dort lebte. Es war ihr klares Lachen, das mich aufschrecken ließ. Ein Lachen, das ich zwar noch nie gehört hatte und trotzdem zuordnen konnte, als hätte ich es jahrelang jeden Tag gehört.
Ich konnte mich kaum rühren, wollte es eigentlich auch gar nicht, und trotzdem drehte ich meinen Kopf irgendwann so weit zur Seite, bis ich zum Camp Eingang gucken konnte. Es war Sarahs Lachen, das sich unter die Geräusche der Natur schlich und mir einen Stich im Herzen versetzte. Es war Basti, der neben ihr herging, seinen Arm um sie gelegt hatte und sie dabei ansah, während sie sich ihre Hand an den Bauch hielt und ihren Kopf zum Lachen in den Nacken warf. Ich war in der Realität und konnte kaum fassen, dass das alles, was Basti und ich Tage zuvor erlebt hatten, genauso Realität sein sollte, wie diese Minuten.
Sie schienen mich nicht zu bemerken, wie ich mit Tränen in den Augen am Wasser saß und sie ungläubig anstarrte. Sie schienen mein knacksendes Herz, das Sekunde für Sekunde immer mehr kaputt ging, nicht brechen zu hören. Ich war wie ein unsichtbarer Geist, der sich am Rand der Realität entlang hangelte und versuchte, irgendwie zu überleben. Der unsichtbar war, aber am liebsten den Mittelpunkt eines Lebens darstellen wollte. Ich war längst wieder vom Protagonisten zum Statisten geschrumpft und konnte mir selbst nur dabei zusehen.
Sie sahen so glücklich und unbeschwert aus, dass ich für einen Moment Angst hatte, Basti hatte mit all dem, was er mir über Sarahs und seine Beziehung erzählt hatte, nur gelogen. Irgendetwas erfunden, um mein Vertrauen zu erlangen und mich auszunutzen. Es fing an sich alles falsch anzufühlen was ich getan hatte und das machte mir Angst. Sie waren wirklich glücklich, sie konnten miteinander lachen, waren in ihrer Welt so sehr verschwommen, dass sie andere Mitmenschen nicht wahrnahmen. Sie schlenderten über den Strand, dass man das Gefühl hatte, sie schienen vor Liebe zu schweben.
Und ich saß hier, am Rand des Films und war so klein, dass man mich nicht beachten musste.
»Liv, hey.«, ich nahm die Stimme erst nicht wahr, weil sie mir so fremd schien, doch als sich zwei Hände auf meine Wangen legten, zuckte ich unaufhörlich zusammen. Ich starrte immer noch hinter Sarah und Basti hinterher und hatte nicht mitbekommen, wie Thomas sich vor mich gehockt hatte. Schnell riss ich den Blick von dem perfekten Bild, das sich mir geboten hatte und sah mein Gegenüber an. Ich war wieder vollkommen im Hier und Jetzt und meine Gedanken waren für eine Schrecksekunde verschwunden.
»Was ist?«, ich war völlig durcheinander und dachte gar nicht darüber nach, ob mein Tonfall zu barsch klingen könnte. Es platzte einfach aus meinem Mund heraus, weil ich aus dieser Starre gerissen wurde und nicht darauf gefasst war.
»Komm weg hier.«, Thomas nahm mein Board unter seinen Arm und zog mich mit der anderen Hand in den Stand. Ich war völlig verwirrt, weil ich niemals damit gerechnet hätte, dass ausgerechnet Thomas vor mir stehen würde, wenn ich Sarah das erste Mal mit Basti zusammen sah. »Komm schon.«
Ich spürte Thomas Hand auf meinem Rücken, wie sie mich sanft aber dennoch bestimmend in Richtung Camp Eingang und somit in die genau entgegengesetzte Richtung von Basti schob. Weg von ihm. Weg von Sarah. Weg von den beiden. Aber ich musste noch einen Blick über die Schulter werfen. Mein Kopf zwang mich dazu und brachte mein Herz nur noch mehr dazu, auseinander zu brechen.
Die beiden waren längst stehen geblieben, ich sah wie Sarah Basti was sagte, wie sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen und wie sie ihm im nächsten Moment schon einen Kuss aufdrückte. Sie küssten sich und ich spürte urplötzlich nichts außer Übelkeit.
Ich riss mich von Thomas los und fing an zu laufen. Er rief mir hinterher, so laut, dass Basti und Sarah es hätten hören müssen, doch es war mir egal. Zuvor war ich vor Schmerz gelähmt – jetzt jagte mich die Übelkeit innerhalb weniger Sekunden bis zu meinem Zimmer.
Zusammengekrümmt hing ich über meiner Klobrille, würgte, weinte und wimmerte und konnte mich nur mühevoll an die kalten Fliesenwand hieven. Ich hing schlapp an ihr und merkte, dass ich all den Gefühlen, die sich in mir zusammengebraut hatten, nicht standhalten konnte. Ich wollte stark sein, wollte eine Mauer bauen und ihnen Stärke beweisen, aber das konnte ich nicht. Ich konnte sie nicht verdrängen, weil sie meine Mauern kaputt schlugen.
»Liv?«
Wieder war es Thomas Stimme. Das Geklapper verriet, dass er in mein Zimmer gestolpert kam und mein Board auf den Boden legte, um im nächsten Moment seinen Kopf in das Badezimmer zu stecken. Mit verzogenem und mitleidigem Gesicht sah er mich an. Ich sah aus Augen voller Tränen zurück und brach im nächsten Moment vollkommen zusammen. Schnell kam Thomas zu mir, hockte sich neben mich und hielt meinen bebenden Körper, der zuckte, schluchzte und wimmerte, zu sich. Beschützend legte er seine Arme um mich, wie es Basti in diesem Moment getan hätte und wog mich sanft hin und her. Ich versteckte mein Gesicht in seiner Trainingsjacke. Irgendwie war es mir unangenehm und trotzdem dachte ich nicht unbedingt darüber nach. Mir war es egal, dass es wohl oder übel nach Erbrochenem riechen würde, dass ich es nicht geschafft hatte zu spülen und dass ich Thomas Jacke mit meinen Tränen ruinieren würde. Er ließ es mich gewähren, saß trotz des Geruchs neben mir und hielt mich und dafür war ich ihm unendlich dankbar, dass es mich fast noch mehr zu Tränen rührte.
»Pssscht«, zischte er leise und strich behutsam über meinen Kopf. »Beruhig dich, Liv.«
Leicht hob er mich aus seinen Armen und hielt meinen Kopf zwischen seinen Händen. Sein Blick sah fast erschrocken aus und er schwieg lange, dass ich das Gefühl hatte, er würde nicht die richtigen Worte finden. Wie sollte er auch? Er kannte mich doch gar nicht.
»Was.. was machst du.. du hier?«, schluchzte ich und hatte Probleme, überhaupt Luft zu bekommen. Mein Körper war noch immer in sich zusammengesackt und wenn ich Thomas ansah, wünschte ich mir, in Bastis Gesicht sehen zu können. Kurz schloss ich die Augen um zu testen, ob ich mir vorstellen könnte, dass Bastis Hände mich im Gesicht berührten, aber der Gedanke an ihn ließ mich nur zittern und erneut anfangen zu weinen. Ich konnte nicht glauben, dass ich das gesehen hatte, was er in den letzten Tagen mit mir gemacht hatte. All das, was er gesagt und versprochen hatte, war eine einzige Lüge.
»Ich habe dich am Strand gesehen und wusste, dass das nicht gut enden kann. Du solltest dir das nicht angucken.«, sagte er fürsorglich und rührte mich damit unglaublich. Er war derjenige, der das mit Basti und mir nicht für gut geheißen hatte und trotzdem stand er mir jetzt gerade am meisten bei.
»Du.. du konntest mich nicht ab.«, brachte ich mühsam hervor und sog einmal tief Luft ein, um mich ein wenig zur beruhigen. »Du solltest gehen, Thomas. Basti ist.. ist dein Freund.«
Er lachte leicht auf und ließ mein Gesicht endlich los. Schnell lehnte ich mich vor, um mir ein Stück Klopapier zu nehmen und zu Spülen. Das runter spülen, was ich gesehen hatte.
»Es ist nicht fair, was er abzieht.«, gestand Thomas und beobachtete mich dabei, wie ich mein Gesicht sauber tupfte. Meine Augen brannten, sie fühlten sich so unendlich dick an und ich hatte Mühe, sie auf zu halten.
»Du fandest es nicht fair, was.. was wir mit Sarah gemacht haben.«, widersprach ich ihm und wies ihn auf das Gespräch zwischen Basti, ihm und mir hin. Seine Worte klangen so ungläubig, dass ich nach all den vermeidlichen Lügen von Basti Angst hatte, auch nur ein Wort davon zu glauben.
»Ich habe lange mit Basti geredet.«, fing er an und stand auf, um ein Stück Papier unter den laufenden Hahn zu halten. »Nimm das und leg dir das auf die Augen.«, er hielt es mir unter die Augen und setzte sich zurück neben mich.
»Danke.«, nuschelte ich und tat wie mir geheißen. Ich hatte Angst davor die Augen zu schließen. Aus Angst, ich würde Basti sehen und nur noch diesen Schmerz empfinden. Und tat es doch und hörte einfach nur Thomas zu und beruhigte mich, atmete wieder flacher und genoss, was er sagte. »Er hat mir gesagt, dass er sich sicher ist in dem was er tut und dass er das mit Sarah geregelt hat. Also dass er eben diese Pause mit ihr eingelegt hat, weil er sich seinen Gefühlen nicht sicher war. Er hat mir erzählt, was er vorhat, ist total drin aufgegangen und war so.. so anders glücklich als die Zeit zuvor. Da hat wirklich was nicht gestimmt und du warst genau richtig hier und hast ihm was gegeben, das er gebraucht hat. Dass er jetzt aber mit Sarah umgeht, als wäre nichts passiert – in vielerlei Hinsicht – verschlägt selbst mir die Sprache.«, wir lachten beide leicht auf, weil wir beide wussten, dass Thomas die wohl größte Quasselstrippe der Welt ist. »Er wollte euch eine Chance geben und dass er sich jetzt so unangebracht verhält, geht gegen den Strich.«
»Lieb, dass du das sagst.«, ich nahm das Tuch von meinen Augen und sah ihn an. »Aber ich glaube, du solltest dich eher um ihn kümmern. Ich glaube, er ist durcheinander.«
»Ich finde es unglaublich, dass du hier hockst und dir Gedanken darum machst. Du solltest ihn hasse, rum brüllen, ihn verfluchen und dir sollte es egal sein, wie es ihm geht.«, Thomas sah mich fast fassungslos an. Ich zuckte leicht mit den Schultern und lehnte meinen Kopf zurück an die kalte Wand.
»Ich hab mich in ihn verliebt, da kann es mir nicht egal sein.«, kam es flüsternd aus meinem Mund, während neue Tränen über meine Wangen rannen.

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