»Vielleicht trifft man sich ja morgen früh zufällig.«

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Mein Wecker riss mich erneut um 5:55 Uhr aus dem Schlaf. Murrend hatte ich mich aufgesetzt, mir durch meine Augen gewischt und ihn ausgestellt. Das Ritual. Das morgendliche Ritual mit Basti.

Als ich meine Zahnbürste mit Paste beschmierte und sie mir kurz darauf in den Mund steckte, um den unangenehmen Geschmack aus meinem Mund zu putzen, hielt ich inne. Was tat ich hier eigentlich? Ich war allen Ernstes dabei mich fertig zu machen, um in den nächsten Minuten unten am Strand zu sitzen. Was fiel mir überhaupt ein? Wenige Stunden zuvor hatte ich Basti dafür verurteilt, dass er Rituale mit mir abgemacht hatte und hatte mich gegenüber seiner Freundin schuldig gefühlt und jetzt war ich drauf und dran mein Gesagtes zu durchbrechen. Wahrscheinlich tat mir die Sonne nicht gut oder die Schmerzen von meinem Nacken hatten sich auf mein Gehirn ausgebreitet. Ich wusste es nicht – wie so vieles.

Seufzend putzte ich mir die Zähne zu Ende und ging noch immer in Schlafklamotten zum Fenster, um die Läden zu öffnen. Die Sonne ging gerade auf und man konnte förmlich spüren, dass es schon mindestens 20 Grad waren. Wehmütig starrte ich hinaus auf das Wasser, sah die hohen Wellen rauschen, die nur zum Surfen einluden und blieb an einer Gestalt hängen, die mitten am verlassenen Strand saß und immer wieder seinen Kopf nach links drehte.

Urplötzlich blieb mir der Atem stehen und ich blickte verwirrt zur Uhr. Es war zwei Minuten nach sechs und dieser Mann, der da unten saß, war wirklich Basti. Ich konnte kaum glauben, was ich sah, doch irgendwie ließ es mein Herz höher schlagen. Ich schätzte es, dass er dort saß, immer wieder zurück zu dem kleinen Weg ins Camp schaute und anscheinend darauf hoffte, dass ich wohl doch noch kommen würde. Doch ich stand hier, in meinem Zimmer und nicht am Strand und versuchte, meine Gedanken irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Ich durfte nicht schwach werden und meine gesagten Worte sofort wieder brechen. Ich hatte mir vorgenommen, Abstand zu den Spielern zu bewahren, meine Arbeit gewissenhaft zu erledigen und fühlte mich schon allein bei dem Gedanken an eine Art Ritual schlecht gegenüber seiner Freundin. Ich kannte sie nicht, doch ich wollte nicht unhöflich sein. Irgendwann würde sie im Camp auftauchen, im Stadion in den Reihen stehen und ihrem Freund zujubeln und im Endeffekt hoffentlich all die Siege mit ihm feiern – ich konnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, auch wenn es ich es vielleicht wollte. Für andere schien die Situation nicht den Ausmaß zu haben, wie für mich in diesem Moment, doch das waren meine Gefühle und von denen ließ ich mich mit all den Gedanken, die mir nicht genommen wurden, leiten.

Langsam drehte ich mich vom Fenster weg und zog die Läden wieder zu. Ich bekam trotz meiner Gedanken mehr und mehr ein schlechtes Gewissen und musste irgendetwas dagegen tun. Nachdem ich mich umgezogen und meine Haare zu einem Zopf gebunden hatte, ging ich hinaus ins Freie. Ein letztes Mal blieb ich stehen und sah nach rechts den Weg entlang zum Strand. Ich seufzte und ging nach links, um meinem Vater frühzeitig beim Zubereiten des Frühstücks zu helfen.

»Hallo?«, unbeholfen trat ich in das Haus, in welchem sich die Physio befand und klopfte leicht gegen den Türrahmen. Nachdem Mull, der Mannschaftsarzt, meinen Termin für heute abgesagt hatte, weil er mit Jogi einige Dinge besprechen musste, stand ich ohne ärztliche Untersuchung vor dem Physiotherapeuten des Vertrauens.

»Hi Liv.«, Klaus kam mir lächelnd entgegen. »Wie geht’s dir?«

»Gott sei Dank wieder besser!«, erleichtert atmete ich auf. Irgendwie war ich aufgeregt, weil die Hoffnung, endlich wieder surfen gehen zu dürfen, von Sekunde zu Sekunde und von Schritt zu Schritt immer größer wurde.

»Keine Schmerzen mehr?«, hakte Klaus vorsichtig nach und deutete auf die gleiche Liege, auf der ich vorgestern auch gelegen hatte.

»Na ja, gestern Abend hatte ich noch ein wenig Schmerzen, aber jetzt ist alles soweit weg und den Tag hab ich auch gut überstanden.«, lächelte ich ihn lieb an und erhoffte mir dabei ein Nachsehen. Doch er war Physio der Nationalmannschaft und ich glaubte, dass er penibler auf irgendwelche Dinge achten würde, als mein Physio des Vertrauens um die Ecke von meinem Zuhause in Berlin.

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