»Nein, du hast gar nichts. Das alles war schon kaputt.«

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Ich wusste, dass ich den warmen Sand unter meinen nackten Füßen mit am meisten vermissen würde, sobald ich zurück nach Deutschland fliegen würde. Das Gefühl von Freiheit, das dadurch ausgestrahlt wurde, die Wärme, die sich einfach in jedem einzelnen Knochen breitmachte und die die Angst vor der Zukunft wettmachte. Ich würde vermissen, dass meine Gedanken nicht ununterbrochen darum kreisten, wo ich in zwei Jahren stehen würde. Ich würde alles vermissen, das die Zeit hier auf diesem anderen Kontinent mit sich gebracht hatte. Meine erwachsenere Art, meine geordneten Gefühle hinsichtlich Felix, die neuen Gefühle hinsichtlich Basti und vor allen Dingen die Zeit, die ich mit Letzterem verbringen durfte.
»Näher dich ihm bloß nicht!«, ich zuckte zusammen, hob meinen Blick und sah, dass Thomas über den Strand entlang wanderte und kurz vor mir langsamer wurde. Verunsichert und absolut überfordert, runzelte ich meine Stirn und sah über seine Schulter zu Basti. Er saß zwar weit weg, doch trotzdem konnte ich erkennen, dass seine Stirn in Falten gelegt war und all die anderen Züge in seinem Gesicht alles andere als glücklich aussahen.
»Was ist denn mit ihm?«, konnte ich noch herausbringen, als Thomas mit ähnlichem Gesichtsausdruck an mir vorbei huschte und mich lediglich mit einer abwinkenden Handbewegung über seine Schulter am Strand stehen ließ. Ich sah ihm nach bis er aus meinem Sichtfeld verschwand und drehte mich um.
Basti hatte seine Beine leicht angewinkelt aufgestellt und hielt ein Handy am Ohr. Eine Hand hatte er in seinen kurzen Haaren vergraben und sein Gesichtsausdruck schien noch verzweifelter als zuvor. Ich wusste nicht recht, was ich mit mir anfangen sollte. Ob ich gehen oder bleiben sollte. Ob ich auf mich aufmerksam machen oder still und heimlich dastehen sollte. Ich traute mich kaum zu atmen, weil ich Angst hatte, dass er mich erwischte und das, obwohl er soweit weg war. Doch ich war viel zu neugierig, viel zu angezogen von ihm und hatte viel zu stark das Bedürfnis, wissen zu wollen, um was es in seinem Telefonat ging. Er sah nicht glücklich aus und ich wollte für ihn da sein, wenn es schlechte Neuigkeiten für ihn gab. Ich wollte so viel und bewegte mich doch nur langsam über den Sand, so leise wie nur möglich, und ließ mich in sicherer Entfernung fallen. Die Beine zog ich an meinen Körper und stützte mein Kinn auf den Knien ab. Die Wellen verschluckten so manches Wort, das Bastis Mund verließ und trotzdem konnte ich verstehen, dass er mit Sarah telefonierte. Augenblicklich war da dieses dumpfe Gefühl in meiner Brust, in meinem Körper, in meinem Kopf, in meinen Armen und Beinen. Augenblicklich fühlte ich mich unwohl, zweifelte jeden Kuss, jedes Wort und jede Berührung so unglaublich an, dass ich am liebsten weinend los gebrüllt hätte. Gegen den Wind brüllen, so laut und so weit, dass der Horizont, dieses Ungewisse, meine Worte weit von mir wegtragen würde. Und mit meinen Worten, meine Taten und mit meinen Taten auch alle Folgen.
»Deswegen wollte ich mir dir reden... Nein, Sarah. Hör mir zu.«, ich hörte, wie Basti laut ausatmete und wusste, dass jeden Augenblick die Worte fallen würden, die mindestens drei Leben verändern würden.
»Sarah, hör zu... ich weiß, dass das scheiße war mit dem Foto... Nein, ich habe das sicher nicht gemacht, um dir eins auszuwischen... Warum dann?«, er stoppte wieder kurz und als er zum Reden ansetzte, veränderte sich seine Stimme, dass ich Angst davor bekam, in Tränen auszubrechen.
»Ich war einsam, ich... ich habe dich halt vermisst und... Sarah! Hör mir zu... es tut mir leid... wirklich. Aber du bist einfach nicht da und ich... ich brauche das grade. Und ja... ja, ich liebe dich.«
Ich schnappte nach Luft, mein Herz blieb stehen und auch wenn es womöglich einfach die Realität und die Wahrheit war, die immer präsent war, schmerzte es nach all dem, was zwischen uns passiert war, einfach umso mehr. Ich wäre am liebsten aufgesprungen, hätte ihn am liebsten geschlagen, ihn angeschrien und gefragt, was er mit mir tat. Doch ich saß nur da. Starrte aufs Wasser. Starrte auf Bastis Rücken. Hatte seine Stimme im Ohr. Seine Worte. Seine Entschuldigungen. Seine Abschiedsworte. Seine Worte an mich gerichtet.
»Aufwachen!«
Ich konnte nicht ordnen, was Gedanken und was Realität war. Ich konnte nicht unterschieden, welche Worte an mich oder welche an Sarah gerichtet waren. Aber ich spürte seine Hände auf meiner Schulter, auf meinem Oberschenkel und schreckte so schnell auf, dass mir selbst die Realität so unendlich fern vorkam.
»Was denn?«, platzte es völlig unüberlegt aus mir heraus.
»Alles okay?«, Basti ließ sich neben mich fallen und folgte meinem Blick in die Ferne.
»Klar.«, ich seufzte und riss mich zusammen, kam vollends zurück in die Realität und hoffte, dass er nicht merkte, dass ich log. »Und bei dir? Wer war das?«
»Sarah.«, er war wahrscheinlich viel zu sehr in seinen Gedanken gefangen als dass er sich auf mich, meine Stimmung und meine Worte hätte konzentrieren und achten können.
»Hat sie von dem Foto Wind bekommen?«, brachte ich monoton raus und war nicht in der Lage, ihn dabei anzusehen. Ich war so eingeengt von meinen eigenen Gefühlen, dass es mir so schwer fiel, überhaupt irgendwie in der Lage sein zu können, irgendetwas herauszubringen.
»Ja, ich hab es ihr erklärt.«
»Hast du ihr auch all das andere erklärt?«, entgegnete ich nur und richtete meinen Blick das erste Mal in Bastis Gesicht. Seine Augen wanderten hin und her, sahen mich an, entwichen meinem Blick, um im nächsten Moment wieder auf ihnen zu ruhen.
»Ich... ich konnte das so nicht, Liv.«, sprach er das aus, was ich mir längst gedacht hatte. Irgendwie enttäuschte es mich, weil ich wollte, dass er ehrlich war. Vielleicht, weil ich mir insgeheim eine Zukunft mit ihm wünschte, vielleicht auch einfach, weil ich mich dann nicht so benutzt gefühlt hätte. Und trotzdem war ich auch froh. Froh, dass ich noch nicht diese Beziehung kaputt gemacht hatte. Dass ich mich noch nicht dem Fakt stellen musste, dass ich Schuld war. Denn noch war anscheinend alles heile.
»Ok.«, sagte ich nur. »Was hast du ihr denn gesagt?«, hakte ich weiter neugierig nach, um mir den nächsten Stich ins Herz zu verpassen lassen. Es glich fast schon der Selbstverletzung, dem Masochismus, was ich mit mir selbst tat und trotzdem konnte ich nichts dagegen tun.
»Ich habe ihr gesagt, dass du... du mir das gegeben hast, was ich brauchte in dem Moment. Also Nähe. Und... «
» ...und dass du sie liebst und vermisst.«, beendete ich seinen Satz als er stecken blieb und sich leicht räusperte.
»Mhm.«, machte er nur bestätigend und schon spürte ich den Zacken, der sich in mein Herz bohrte. Immer fester, immer tiefer. Immer schmerzhafter.
»Ich weiß nicht, was du grade mit mir machst, Basti.«, hauchte ich gegen das Rauschen der Wellen an. Auch wenn meine Worte fast verschluckt wurden, wusste ich, dass er mich genau verstanden hatte.
»Und ich weiß nicht, was ich hier gerade veranstalte.«, sagte er. Seine Hand wanderte von seinem Knie auf meine Hand, die ich auf meinem Bein abgelegt hatte. Sofort durchschoss mich eine Gänsehaut und dass er mir so nah und trotzdem so unglaublich fern war, tat umso mehr weh.
»Ich gehe besser.«, sagte ich nur, entriss ihm meine Hand und stand langsam auf.
»Liv, warte.«, Basti stellte sich vor mich und versperrte mir schon fast den Weg.
»Ich will alleine sein, Basti.«, ich verlieh meiner Stimme Nachdruck, doch er bewegte sich trotzdem keinen Zentimeter von der Stelle. Als ich ihn umging, hielt er mich an meinem Handgelenk fest. »Wirklich. Ich will wirklich alleine sein. Ich komme vielleicht später zu dir.«
»Aber Thomas... «, fing er verzweifelt an.
»Das ist mir egal.«, ich entriss mich von ihm und ging an ihm vorbei den Weg zum Camp entlang. Meinen Kopf streckte ich gen Himmel und zwinkerte die Tränen, die sich in meinen Augen gesammelt hatten, weg. Ich konnte jetzt nicht weinen. Ich durfte jetzt nicht weinen. Ich durfte das alles nicht zulassen. Was passierte hier überhaupt grade?

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