Ich würde das Meer vermissen, die Weite und Ferne, die Freiheit, die sich sofort unter meine Haut schlich wenn ich hinaus sah. Ich würde die Wärme vermissen, das Rauschen des Meeres und das Benutzen meines Boards. Das Surfen würde mir fehlen und die schmerzfreie Zeit, die ich damit verband. Ich verband Brasilien längst nicht mehr mit meiner Selbstfindungsphase oder gar damit glücklich zu sein. Der Schmerz war zu frisch, die Auseinandersetzung mit Sarah erst einen Tag her und ich wusste, dass Basti mir in den nächsten Tagen noch einmal nah sein würde, bevor ich nach Hause fahren würde. Zwar würden wir uns lediglich im gleichen Stadion befinden, doch die Tatsache, dass ich ihn nach dem Spiel nicht küssen konnte und Sarah jubelnd ein paar Ränge vor mir stehen würde, wenn Deutschland vorne lag, brach mir schon jetzt mein Herz. Ich wusste, dass ich nicht ohne ihn konnte, weil ich ihn schon jetzt unheimlich vermisste und ich wusste auch, dass ich seine Nähe im Moment nur schwer aushalten konnte. Das war alles so tief und so kaputt, dass es mir die Luft nahm.
»Liv.. «, ich zuckte zusammen als eine Stimme hinter mir ertönte. Die Redewendung »Wenn man vom Teufel spricht« hätte zu hundert Prozent gepasst. Es war Basti, der sich neben mich in den Sand fallen ließ.
»Solltest du nicht in Rio sein?«, hauchte ich in die morgendliche Luft ohne ihn anzusehen. Wir saßen hier wie jeden Morgen um sechs Uhr. Man hätte meinen können, dass wir uns trafen um normal miteinander zu reden, weil wir uns mochten und weil es eben unser Ritual war. Doch so war es nicht mehr. Wir hatten kein Ritual mehr – unsere Zeit hier in Brasilien war vorbei und die Zeit in Deutschland würde es nicht mehr geben. Die Tatsache, dass das alles Fakt war, zerriss mir augenblicklich erneut mein Herz. Wieso war alles so gekommen? Wieso hätte ich mich nicht einfach in ein einsames Herz verlieben können, das eine Umarmung und einen Kuss, Nähe und Zärtlichkeiten womöglich mehr gebraucht und verdient hätte als Bastis Herz?
»Wir fahren gleich zur Fähre und dann geht's mit dem Flugzeug los.«, erklärte er mit leiser Stimme. Ich spürte, dass er mich mittlerweile ansah und trotzdem erwiderte ich seinen Blick nicht. Ich konnte nicht, weil ich schwach werden und die Schmerzwolke über mir zusammenbrechen würde.
»Und was machst du dann noch hier? Musst du dich nicht um.. um andere Sachen kümmern?«, ich stoppte kurz als ich merkte, dass er hätte denken können, dass ich Sarah meinte. Auch wenn man es mir wahrscheinlich nicht übel genommen hätte – sie war in meinen Gedanken beim Aussprechen des Satzes ausnahmsweise nicht in den Sinn gekommen. Ich war so fixiert darauf, dass Basti in zwei Tagen das Finale spielen und zu fünfzig Prozent den Titel mit nach Hause nehmen würde. Es war unglaublich aufregend und spannend und für einen Moment hatte ich all die Gefühle hinten angestellt und für mich zählte nur noch, dass er sich gut auf die Tage vorbereitet hatte. Ich dachte für einen Moment erwachsen und längst nicht mehr verletzt, naiv, enttäuscht und mit dem Hauch von Kindlichkeit.
»Ich brauchte noch mal die Sicherheit, die ich in der letzten Zeit hier am Strand um diese Uhrzeit am Morgen hatte.«, gab er zu. Seine Stimme klang noch immer so leise und fast heiser und für einen Moment hatte ich Angst, dass sie komplett brechen und er in Tränen ausbrechen würde. Ich wusste, dass ich nicht die einzige war, die verzweifelt war. Ich wusste, dass Basti wahrscheinlich genauso traurig war, doch ich sah es immer noch so, dass er es sich selbst zuzuschreiben hatte, dass wir zwei Tage vor dem Finale so unendlich distanziert zueinander waren. Wir hätten uns freuen und zusammen fiebern können, uns auf Deutschland, ein neues und anderes Leben, den neuen Start einer möglichen Beziehung freuen können – aber nein, das war Geschichte. Die Distanz und Kälte, das Gebrochene und Traurige war Realität. Zwei Leben, zwei Herzen, und ab heute wieder zwei verschiedene Geschichten.
»Okay.«, sagte ich genauso leise, weil ich nicht wusste, was ich auf seine Aussage erwidern sollte. Ich hätte ihm am liebsten gesagt, dass er verschwinden sollte, doch ich wollte ihm den Platz nicht nehmen. Er hatte genauso seine Erinnerungen an ihn wie ich. Wahrscheinlich schrieben wir genau in diesen Momenten den Epilog zu unserer Geschichte.
»Ich bin erleichtert, dass du Sarah gestern alles gesagt hast.«
Als ich ihren Namen hörte, zuckte ich unaufhörlich zusammen. Und als ich realisierte, was er da gerade gesagt hatte, drehte mein Kopf sich doch wie von selbst zur Seite um ihn anzusehen. Ich konnte es kaum fassen.
»Ich denke, ich habe dein Leben zerstört?«, es klang fast wie ein Vorwurf.
»Ich war überfordert. Ich wollte mir dir reden, bin absolut nicht an dich ran gekommen, dann kam.. dann kam sie halt dazu und ich wusste gar nicht mehr wohin mit meinen Emotionen. Für mich ist das alles auch nicht leicht, Liv.«, auch er sah mich an. Er hatte keine Sonnenbrille auf und seine Augen glänzten durch die Strahlen der Sonne. Das Meer spiegelte sich in ihnen wider und für einen Moment verlor ich mich in ihnen wie an dem Tag, als ich ihn das erste Mal angesehen hatte. Sie zeigten wie es in ihm aussah. Seine Augen spiegelten seine Seele wider und als ich mich fast in ihnen verlor, glaubte ich ihm, dass es ihm nicht leicht fiel.
»Warum hast du mir so viel versprochen und mir so viel gesagt, was jetzt einfach nicht mehr von Bedeutung ist, Basti?«, die Distanz schrumpfte, wir nannten uns beide bei den Spitznamen und trotzdem lag immer noch dieses Gefühl in der Luft, dass etwas vorgefallen war und wir längst nicht mehr am Anfang, sondern am Ende standen. Es war fast so erdrückend wie Aufbruchstimmung, wie Abschied kurz bevor man den anderen ewige Zeiten nicht wiedersehen würde. Nur, dass es bei uns ein Abschied für immer sein würde.
»Ich habe jedes einzelne Wort so gemeint. Ich habe dir nie irgendetwas vor geheuchelt um dich irgendwie rum zu kriegen. Das alles.. das war echt.«, seine Stimme war brüchig und ich wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis wir beide mit Tränen in den Augen im Sand sitzen würden und uns wünschten, den anderen in den Arm nehmen zu können.
»Es kommt alles trotzdem so verlogen rüber.. «, ich konnte ihn dabei nicht mehr ansehen und nahm meinen Blick von ihm.
»Ich habe heute Nacht lange drüber nachgedacht was passiert ist. Ich habe versucht mich in dich hineinzuversetzen und.. und ich verstehe dich. Wahrscheinlich würde ich mich genauso fühlen.«, er zog seine Beine an den Körper und zog rasch meinen Blick wieder auf sich. Ich hatte Angst, dass er mich berühren würde, dabei berührte er sich selbst – und dabei berührte er mich mit seinen Worten längst.
»Was ist jetzt mit ihr? Habt ihr wenigstens eine Chance?«, fragte ich aus Neugierde nach. Ich wollte wissen, ob ich sein Leben wirklich zerstört hatte oder ob Sarah ihm alles verzieh. Ich wollte wissen, ob sie ihm glücklich um den Hals fallen würde wenn er den Titel mit nach Hause nehmen würde. Und ob sie den Weltmeister-Kuss bekam oder gar keine Frau.
»Ich will keine Chance von ihr.«, Basti sah mich durchdringend an. Wieder waren seine Augen ein Spiegel seiner Seele und wieder wusste ich, dass er es ernst meinte. Und trotzdem konnte ich es nicht so annehmen. Ich war zu verletzt, zu durcheinander. Mein Herz war rastlos, die ganze Zeit. »Die einzige Chance, die ich will, ist die von dir.«
»Die kann ich dir nicht geben, Basti.«, sagte ich klar und deutlich. »Das müsstest du eigentlich wissen.«
Er seufzte tief und machte sich bereit, um aufzustehen. »Ja, Liv. Ja, ich weiß.«, er holte Luft und sah ein letztes Mal hinaus aufs Meer. »Ich muss gehen. Der Bus fährt sonst ohne mich.«
»Okay.«, sagte ich wieder nur, weil der letzte Satz unseres Epilog angefangen war und das Ende bevorstand. Doch ich wusste nicht, wohin ich ihn führen sollte und wusste auch nicht, wie ich jetzt auf Basti zugehen sollte. Aufstehen oder sitzen bleiben? Einfach umdrehen oder weiter ansehen? Tschüss sagen oder schweigen? Umarmen oder winken? Ich hatte keine Ahnung und spürte, dass es Basti genauso erging.
»Bis bald, Liv.«, sagte er und berührte für einen kurzen Moment meine Hand, die auf meinem Oberschenkel lag. Ein Blitz zuckte durch meinen Körper, Tränen schossen mir in die Augen, weil seine Berührung seine Anwesenheit so real machte und das Lebewohl genau jetzt geschrieben wurde.
»Auf bald, Basti.«, flüsterte ich mit Tränen in den Augen zurück und spürte, dass meine Stimme bei dem nächsten Wort brechen würde. Basti stand auf, ging ein paar Schritte rückwärts und sah mich an, ehe er sich umdrehte und davon lief. Er lief den Weg, den wir morgens zusammen gelaufen waren, alleine und er sah dabei so unendlich verloren aus.
»Ich glaub an dich.«, flüsterte ich leise hinterher. Meine Worte wurden von den Wellen verschluckt und kamen nicht bei ihm an. Aber er wusste es. Ich hatte es ihm so oft gesagt und gezeigt und er wusste, dass meine Worte mehr als ernst gemeint waren. Das alles, was da war, war echt, es war nichts gelogen. Es war echt, dass ich mich in die Nummer sieben der deutschen Nationalmannschaft verknallt und jeden Tag ein kleines Stück verliebt hatte. Da waren Gefühle, die mein Herz hüpfen ließen und die mich zum Leben erweckten. Sie waren da und ich konnte sie wahrscheinlich nicht so schnell abstellen – egal, wie sehr ich das auch wollte.
Das laute Klopfen an meiner Zimmertür ließ mich zusammenschrecken und in meinem Gewusel innehalten. Mein Koffer lag offen auf meinem Bett, all meine Klamotten waren um ihn herum verteilt, mein Board stand eingepackt an der Wand und Kleinigkeiten wie Kamera, iPod, Bücher und Laptop warteten noch darauf verstaut zu werden.
»Ja?«, rief ich und prüfte, ob mein Koffer überhaupt noch zuging. Es war jedes Mal eine Tortour alles wieder so gepackt zu bekommen, dass man es auch wirklich wieder mit nach Hause bekommen würde.
»Hi Livi.«, mein Vater streckte seinen Kopf zur Tür herein und lächelte mich leicht an. »Wie kommst du voran?«
»Habe bald alles zusammen. Morgen kann es also losgehen.«, ich lächelte matt und dachte automatisch an Basti. Er war längst in Rio angekommen, und ich würde in wenigen Stunden, am Morgen des 12.07. mit meinem Vater und dem Rest der Truppe aufbrechen. Wir wollten uns die Stadt ansehen, gutes Essen genießen und einfach nur Zeit gemeinsam verbringen, ehe wir am 13.07. um 16 Uhr Ortszeit im Stadion stehen und dem Sieg entgegenfiebern würden. Wahrscheinlich würde es mir den letzten Rest geben ihn dort zu sehen, doch es war mir wichtig, dass ich dabei war. Ich tat es für ihn und ich tat es für mich. Als ganzen Abschluss, um in der Nacht zurück nach Deutschland zu fliegen.
»Ich bin auch schon soweit.«, mein Vater setzte sich auf eine freie Stelle meines Bettes und klopfte mit seiner Hand leicht neben sich auf die Matratze. »Komm mal her.«
Ich seufzte und zwängte mir ein Lächeln auf die Lippen als ich mich neben ihn fallen ließ und meinen Kopf schon auf seine Schulter bettete. Seine Nähe und das nicht Aussprechen seines Wissens, dass es mir nicht gut ging, berührte mich so unglaublich, dass ich gar nicht anders konnte als zu weinen. Ich schluchzte leicht, ließ Tränen laufen und sackte leicht in mir zusammen. Sofort schlang mein Vater seine Arme um mich und hielt meinen Körper während er bebte und sich vor Emotionen zusammenkrümmte.
»Es ist so.. scheiße.«, schniefte ich als mein Tränenausbruch so schnell gestoppt wurde wie er gekommen war.
»Ich weiß, Livi.«, Daddy hob mich behutsam aus seiner Umarmung und drückte mich mit dem Kopf in seinen Schoß. Sofort legte ich mich hin und ließ mich von ihm über den Kopf streicheln. »Sarah hat nicht bei ihm geschlafen. Sie hat sofort das Camp verlassen nachdem Basti fünf Minuten bei ihr war.«, erklärte er mir. Er schien beobachtete zu haben was nach der Wahrheit, die ich Sarah ins Gesicht geschrien hatte, passiert war. Und auch wenn ich wusste, dass es wahrscheinlich genauso abgelaufen war, weil Basti mir klar gemacht hatte, dass er keine Chance von Sarah wollte, überraschte es mich ein wenig.
»Sie wird übermorgen trotzdem da sein und ich glaube nicht, dass sie auf der Tribüne bleiben wird, wenn alle anderen Frauen auf dem Spielfeld rum hopsen wenn wir gewinnen sollten.«, gab ich meinem Zweifel Luft. Sarah und Basti würde wahrscheinlich Arm in Arm auf dem Feld stehen. Sie würde ihn genauso drücken wie all die anderen Frauen es bei ihren Männern machen würden. Basti und Sarah waren offiziell nicht getrennt und die Tatsache, dass ich Basti klar gemacht hatte, dass er die Chance von mir nicht bekommen würde, würde Basti wahrscheinlich wieder näher zu Sarah gehen. Er würde sich ihr wieder nähern, irgendwie wusste ich es. Und wenn die beiden nach dem Spiel glücklich auf dem Feld stehen würden, wusste ich, dass sein Herz immer ihr gehört hatte und die Worte von heute morgen genauso gelogen waren wie all die anderen zuvor.
»Du hast ihn abserviert, er wird irgendetwas zum Festhalten brauchen. Er steckt im Moment in einer Zeit, die aus der Reihe tanzt. Alles ist anders, Liv und ausgerechnet dann steckt er auch noch in solch einer Krise. Es ist klar, dass – wenn er übermorgen das Ding gewinnen wird – Emotionen überkochen werden und er Dinge tun wird, die er normal nicht tun würde.«, mein Vater hörte nicht auf mich zu streicheln und dass er so gute Worte und Erklärungen für Basti übrig hatte, enttäuschte mich ein wenig.
»Du stehst auf seiner Seite.«, nuschelte ich und hatte mir einfach mehr liebe Worte von ihm gewünscht als dass er Basti in Schutz nahm.
»Tu ich nicht, Liv, das ist Quatsch und das weißt du!«, er stupste mich leicht an und drehte meinen Kopf, dass ich ihn von unten herab ansah. »Ich erkläre dir, in welcher Situation er gerade steckt. Und dass du daran nicht Schuld bist, das weiß ich. Ich weiß, dass er sich selbst viel zu zu schreiben hat. Aber du musst auch versuchen, dich ein wenig in ihn hineinzuversetzen.«
»Ich versuche ihn die ganze Zeit zu verstehen, aber es funktioniert nicht. Ich kriege das nicht in meinen Kopf rein. Zumindest nicht so, wie ich es sollte.«, sagte ich.
»Du brauchst ganz einfach Zeit. Du kannst nicht von jetzt auf gleich von dir selbst verlangen alles zu verstehen.«, Paps beugte sich zu mir herunter und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
»Ich bin her gekommen, damit ich mich selbst wieder neu kennenlerne und endlich wieder weiß, was ich bin. Ich wollte meine Grenzen kennenlernen, damit ich für mich sagen kann, wann etwas zu viel für mich wird. Und ich habe versagt.«, eine weitere Träne lief mir bei der Feststellung über die Wange.
»Nein, du hast nicht versagt. Ich bin mir absolut sicher, dass du so unendlich viel gelernt hast. Auch wenn du erst in ein paar Tagen oder Wochen bemerken wirst was.«
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Fanfiction»Ich habe keine Lust darüber nachzudenken, Liv. Ich weiß nicht, ob ich sie sofort anrufen oder drauf warten soll, bis sie Wind davon bekommt. Eigentlich wäre ich ihr eine Erklärung schuldig, aber ich habe einfach keine Lust, mich zu erklären. Eigent...