»Der Weltmeister-Kuss gehört dir.«

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Das letzte Kapitel. Ein Epilog wird folgen. Habt ihr Lust auf eine Fortsetzung? :)


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 Meine Hände zitterten, die Sonne knallte mir auf Haut, die Menge um mich herum jubelte, einige schwiegen und weinten, andere umarmten und küssten sich. Das Finale war gewonnen, Mario Götze hatte uns in der 113. Minute den Titel nach Hause geholt. Das Spiel war spannend, die Nerven bei den Spielern lagen blank und auch ich musste ab und an meine Luft anhalten – nicht zuletzt als Basti mit einer Platzwunde vom Feld ging, sich trotzdem nicht geschlagen gab und bis zum Abpfiff kämpfte. Er kämpfte so unendlich doll, dass der Stolz in meiner Brust fast dazu führte, dass ich platzte. Ganz Deutschland war stolz auf die Mannschaft und der Jubel, das Hüpfen und Weinen zeigte, wie stolz. Die Tribüne bebte und kurze Zeit später sah sie fast wie leergefegt aus. Die Frauen der Spieler, Kinder, Freunde oder Familienmitglieder waren auf das Feld gestürmt, hatten sich beglückwünscht und in diesem Moment lag jeder jedem in dem Arm. Die Emotionen waren übergekocht, alle freuten sich und die Frauen hielten ihre Männer. Sie hielten sie und halfen dabei, dass sie realisierten was um sie herum geschah und waren in den wichtigsten und womöglich schönsten Minuten ihres Lebens an ihrer Seite.
Mein Blick lag ununterbrochen auf Basti. Ich sah ihm dabei zu, wie er lief, wie er hinter den Ball trat, wie er sich aufregte, wie er Spieler auseinander hielt, wie er fiel und aufstand und wie er mehr und mehr die Kraft verlor und trotzdem weiterkämpfte. Ich versuchte die blonde Frau ein paar Reihen vor mir in ihrem schwarzen perfekten Outfit und diesen blonden perfekt sitzenden Haaren zu ignorieren. Ich wollte nicht daran erinnert werden, dass sie es sein würde, die auf das Spielfeld lief um mit Basti den Moment zu teilen, den ich mit ihm teilen wollte. Er wollte ihre Chance nicht und würde sie trotzdem nehmen.
Und es war so. Sie taumelte zwischen Jogi, Oli, den anderen Frauen und Spielern umher, drückte hier und da jemanden an sich und ging trotzdem schnellen Schrittes auf Basti zu. Sie standen sich gegenüber, zögerten kurz und fielen sich um den Hals. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, drückte ihn so fest an sich, während er seine Augen schloss. Er weinte, er klammerte sich fast an ihr fest und ich war mir sicher, dass er nicht nur wegen des Erfolges, sondern auch wegen des Verlustes, den er in den letzten Stunden gemacht hatte, weinte. Sie standen lange dort und hielten sich, drückten sich zu dritt mit Jogi und freuten sich, dass das Team es geschafft hatte. Ich hingegen stand einfach nur da, zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub und presste meine Lippen aufeinander um nicht laut aufzuschreien. Ich freute mich, ich ärgerte mich, ich war glücklich, ich war wütend... ich wusste nicht, was ich fühlte oder was ich fühlen sollte und durfte.
»Liv! Weltmeister!«, mein Dad rief es mir noch einmal von der Seite ins Gesicht und schien kaum zu bemerken, dass ich nicht ganz dem Jubel verfallen war. Ich nahm es ihm nicht übel und wollte die Feierei in diesem Moment nicht unterbrechen oder irgendwie stören.
»Dad, ich hau mal ein bisschen ab.«, ich deutete auf den ganzen Trubel und weil er wusste, dass ich das alles im Moment nicht mochte, nickte er mir für einen Moment verständnisvoll zu und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
Ich drehte mich nicht mehr zu Spielfeld um, als ich aus der Reihe trat und die wenigen Stufen des Ranges hinauf stieg. Ich wollte nicht sehen was Sarah und Basti taten und ich wollte mir nicht ansehen, wie sie den Weltmeister-Kuss bekam. Die Leute um mich herum jubelten und feierten, stießen an und lachten und mir rammte sich jede Sekunde ein Messer tiefer in meine Brust. Ich wollte das alles nicht, ich wollte ihn umarmen, an mich drücken und ihm tausend Mal sagen, wie gern ich ihn hatte und wie stolz ich auf ihn war. Ich wollte ihm sagen, dass ich immer an ihn geglaubt hatte und mit ihm zusammen sein wollte, egal was die Presse sagen würde und egal, was für Steine uns in den Weg gelegt werden würden. Ich wollte von ihm geliebt werden und ihn mit jeder Faser meines Körpers lieben. Doch es wurde mir verwehrt. Die Situation verwehrte es mir, andere Herzen verwehrten es mir, die Zeit verwehrte es mir. Alles, was ich wahr nahm, war mittlerweile die Stille, die sich um mich gelegt hatte, als ich die Schwingtür hinter mir zugestoßen und das Jubeln und all die Menschen hinter mir ausgesperrt hatte. Ich war alleine, lediglich ein paar wichtige Menschen mit Anzügen, die breit gebaut waren und einen respektvollen Eindruck auf mich machten, schielten mich an, ließen mich aber meinen Weg, von dem ich selbst nicht so recht wusste wo er enden würde, laufen.
Ich vergrub meine Hände in den Hosentaschen meiner Lieblingsjeans mit den großen Rissen an den Knien und schielte auf die Spitzen meiner weißen low Chucks. Meine Haare fielen mir rechts und links aufgrund meines gesenkten Kopfes ins Gesicht und kitzelten fast meine Nasenspitze. Wieder wurde mir klar, dass ich nichts Besonderes war. Ich war kein Model mit den langen unglaublich schlanken Beinen, das bauchfrei durch die Öffentlichkeit laufen konnte, weil der Bauch so flach wie ein Surfbrett war. Ich hatte nicht die perfekt sitzenden Haare, die wahrscheinlich erst nach mehreren Tagen wieder gewaschen werden mussten, weil sie einfach immer gut und frisch aussehen. Meine Haut war nicht so schön wie Porzellan, meine Lippen nicht so rot wie die schönsten Rosen. Ich war einfach nur der langweilige Durchschnitt, den anscheinend niemand haben wollte.
Mit gesenktem Kopf ging ich Treppen hinunter, ließ provokant auffallend meinen VIP-Pass an meiner Hose baumeln, damit mich bloß keiner Ansprach und meine Gedanken störte. Ich konnte Trubel wahrnehmen und hatte augenblicklich die Angst, dass ich auf meinem nicht durchdachten Weg, der kein wirkliches Ziel hatte, bei den Kabinen der Spieler angelangt war. Ich war mir nicht sicher wie lange ich herumgelaufen war und ob die Spieler ihre Medaille schon überreicht bekommen hatten, doch als ich Jogi und Manuel lachen hörte, wusste ich, dass ich mindestens über eine halbe Stunde herumgeirrt war. Herumgeirrt mit Gedanken, die keiner denkt. Die mich festhielten, die ich festhielt und die ich nicht einfach so abschütteln konnte, weil sie mittlerweile ein viel zu großer Teil von mir waren.
Die Spieler trudelten ein, ich hörte immer mehr, wie sie mit ihren Fußballschuhen durch die Katakomben liefen und in der Kabine verschwanden. Die Tür knallte zu, damit sie im nächsten Moment wieder geöffnet wurde, man hörte Korken knallen, Glas zusammenstoßen und Gesänge der Spieler. Ich musste leicht grinsen und blieb stehen. Langsam schloss ich meine Augen, lehnte mich an die Wand des Ganges und lauschte den Stimmen. Mein Wunsch war es, auf sie zuzugehen, allesamt in den Arm zu nehmen, sie zu beglückwünschen. Doch ich gehörte nicht mehr dazu. Ich war weg, das Kapitel war beendet, das Buch abgeschlossen. Sie lebten ihr Fußballleben und nach verlassen des Stadions lebte ich mein Leben, mit meinen Problemen, mit meinen Zukunftsängsten, mit meiner Verzweiflung und meinem gebrochenen Herzen.
»Nein, ich brauche eben eine Minute!«
Ich zuckte zusammen und traute mich nicht, meine Augen zu öffnen, als ich Bastis Stimme hörte. Ich krampfte urplötzlich zusammen und drückte meine Handflächen gegen die kalte Wand rechts und links neben meinem Körper. Es war wieder dieser Faustschlag der Realität, der mich überraschte. Ich dachte, ich würde ihm nicht wieder begegnen, doch anscheinend hatte unser Epilog einen zweiten Teil verdient.
Zuerst nahm er mich nicht wahr, als er mit seiner Medaille um den Hals über den Flur trottete und eine Nische anstrebte, die mir zuvor auch schon ins Auge gefallen war, doch es war fast wie Magie, die sich zwischen uns ausbreitete, als ich meine Augen öffnete und er in genau dem gleichen Moment seinen Kopf hob, zur Seite und direkt in meine Augen sah. Ich wusste nicht was ich tun sollte, wäre am liebsten weg gerannt, doch mein Herz klammerte sich an die Wand und zwang mich zum Bleiben, dass mir keine andere Wahl blieb, als mich seinem Blick zu stellen. Es vergingen Sekunden, sie kamen mir vor wie Minuten und es passierte nichts. Zwischen uns schien die Welt still zu stehen, doch um uns herum drehte sie sich glücklich weiter. Wir fesselten uns für einen Moment gegenseitig.
»Liv.. «, es war Basti, der die Worte wiederfand und langsam auf mich zukam. Ich ging automatisch einen Schritt zurück, spürte aber sofort die Wand gegen meinen Fuß stoßen. Ich konnte hier nicht weg.
»Ich bin stolz auf dich.«, platzte es aus mir heraus. Ich dachte nicht nach, hatte meinen Kopf abgeschaltet und ließ mein Herz ein letztes Mal sprechen.
»Danke, dass du da warst.«, seine Augen glitzerten während er das sagte und ich sah, wie kurz darauf eine Träne über seinen Cut unter dem Auge rann und sich mit dem trockenen Blut vermischte.
»Warum bist du nicht bei den anderen?«, fragte ich leise nach und brach unseren Augenkontakt um in die Richtung zu sehen aus der er gekommen war.
»Ich brauchte Zeit für mich.«
»Dann geh ich besser.«
»Bleib!«, Basti berührte mich an meinem Handgelenk, als ich kurz davor war an ihm vorbei zustürmen und hielt mich fest. Sofort wanderte mein Blick zu seiner Hand, wie seine Haut meine Haut berührte und ich konnte es fast prickeln sehen. Es tat gut und für einen Moment schloss ich die Augen, um diesen letzten Moment in mir aufzusaugen.
»Du solltest feiern gehen und den Moment genießen. Außerdem.. außerdem denke ich nicht, dass ich jetzt bei dir sein sollte.«, ich sah zu ihm auf und sah, wie immer mehr Tränen aus seinen Augen rinnen. Er freute sich nicht mehr über den Titel, das waren keine Freudentränen. Und genau das verletzte mich noch mehr. Ich konnte ihn so nicht sehen, auch wenn er in gewisser Weise selbst Schuld hatte, und trotzdem behielt ich den Abstand und schloss mich ihm einfach an, indem ich anfing stumm zu weinen.
»Genau du solltest bei mir sein.«, widersprach er mir und ich dachte sofort zurück an Sarah.
»Sarah war auf dem Feld. Sie hat deine Umarmung bekommen, deinen Weltmeister-Kuss, und du solltest das alles mit ihr feiern.«, meine Stimme fing an zu zittern, weil mir meine eigenen Worte so unendlich weh taten.
»Sie hat keinen Kuss bekommen, Liv.«, Bastis Stimme war bestimmend und es erschreckte mich. Nicht nur der Ton, sondern auch das, was er sagte. Ich konnte nichts sagen und sah ihn einfach an. Beobachtete seine Tränen dabei, wie sie die Wange hinunter liefen und sah auf seine Hand, als sie von meinem Handgelenk zu meiner Wange wanderte und dort liegen blieb. Langsam schmiegte ich mich an seine Handinnenfläche und schloss wieder die Augen, während die Tränen über meine Wangen liefen. Wir waren hier zusammen und wenn ich an nichts dachte, hatte ich das Gefühl, dass es nur uns beide gab. Nur ihn und mich. Keinen Weltmeister-Titel, keine Sarah, sondern nur unsere Gefühle. Nur seine Lippen, die sich wenig später auf meine legten und mein Inneres zum Explodieren brachte, mein Herz für einen Sekundenbruchteil flickte und mich schweben ließen. Es fühlte sich so gut an, so sicher und so vertraut und trotzdem endete es und ich war zurück in der Realität. Dort, wo ein Kuss zwischen uns kein Platz mehr hatte.
»Der Weltmeister-Kuss gehört dir.«, hauchte er und strich mir leicht über meine Wange und Lippen, ehe er seine Hand zurücknahm. Ich sah kurz um mich, hatte Panik, dass uns wer gesehen haben könnte, doch die Gänge schienen wie ausgestorben.
»Das war ein Abschiedskuss, Basti.«, flüsterte ich und legte meine Finger automatisch auf seine Lippen. Ich musste sicher sein, dass es echt war und dass er echt war. »Du hast dich für Sarah entschieden.«
»Ich habe mich für dich entschieden.«, sagte er verzweifelt und ich sah ihm an, dass er Angst vor dem Ende hatte. Aber es musste sein, ich konnte nicht anders.
»Sarah ist hier, du hast dich für sie entschieden. Und ich habe mich gegen dich entschieden.«, ich klang so standhaft und auch wenn wir beide wussten, dass es reine Fassade war und mein Inneres wieder einmal wegbrechen würde sobald ich hier raus war, hatten wir beide Respekt vor dem, was ich sagte.
»Aber.. «
»Nein, Basti.«, unterbrach ich ihn. »Es war der richtige Ort für uns beide, aber wir haben uns zur falschen Zeit getroffen. Das alles hätte schön werden können, aber es ist hier zu Ende.«
Ich strich ihm ein letztes Mal mit schief gelegtem Kopf über seine Wange, berührte sein Gesicht, prägte mir seine Augen ein, ging einen Schritt auf ihn zu um seinen Sieger-Geruch einzuatmen, ehe ich mich von ihm abwendete und ging.
Ich ließ ihn zurück. Es war zu Ende. Es gab kein Wir, kein Uns mehr. Wir waren wieder er und ich. Bastian und Olivia. Sein Herz und mein Herz. Sein Leben und mein Leben. Zwei gebrochene Herzen und zwei gebrochene Leben.
Es war der richtige Ort zur falschen Zeit, gefüllt mit so viel Liebe und Hoffnung, von der am Ende doch zu wenig für die Geschichte übrig war.  

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