Kapitel 13

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Mario's Sicht

Als die Vorlesung vorbei war, hatte ich bloss noch einen Wunsch. Ich wollte nur noch in den Park gehen, eine Rauchen und mit Jonas telefonieren. Aber was nützen einem die Tränen, die fast jeden Tag vergossen werden, wenn der Mensch, für dem diese Tränen bestimmt waren nicht da war?
Mein Herz sehnte sich nach ihm. Ich brauchte ihn endlich bei mir! Hier, in Dortmund!
Ich konnte so nicht weiter machen, nicht wenn ich wusste, dass er weiss nicht wie viele Kilometer von mir entfernt war...

Ich beschloss für heute keinen Trübsal mehr zu blasen und ging in Richtung Park, um meine Zigaretten wieder anzumachen. Doch das stellte sich als äussert schwierig heraus. Mir war heute wirklich nach heulen zumute. Ich hatte hier niemanden. Zu meiner Familie wollte ich nicht, weil sie eben nicht wussten, dass ich schwul war. Den Einzigen, den ich noch brauchte war Jonas. Oh, Gott! Steh mir bei!
Ich wollte nicht mehr so weiterleben. Ich brauchte ihn. Ich brauchte seine Wärme. Ich brauchte seine Liebe!
Mir kamen die Tränen. Sie kullerten nur so meine Wange hinab. Mein Gesicht wurde tomatenrot. Diese Hitze konnte einen, aber auch um den Verstand bringen.

"Brauchst du jemanden, der dich aufmuntert?"
Konnte...das...wirklich sein? Ich kannte diese Stimme nur zu gut. Ich liebte sie über alles und den Menschen, zu die sie gehörte, umso mehr.
"Jonas?", fragte ich und drehte mich mit verheulten Augen langsam um...
"Na ja, fast...", sagte die warme Stimme.
"Wer bist du?"
Ich schaute ihn eingehend an, um dann doch festzustellen, dass ich ihn nicht kannte. Die unbekannte Person setzte sich neben mich auf die Bank und hielt mir die Hand entgegen.
"Ich heisse Timo."
Ich wurde aus dem Gespräch nicht schlau. Was wollte er von mir?
"Ich hab dich in Herr Bubendorfs Vorlesung letztens gesehen. Vor ein paar Tagen..."
"Ok."
"Und glaub mir, ich kenne jeden hier an dieser Schule...nur dich nicht."
"Ok."
Ich war verwirrt. Meinem Gegenüber war das egal, denn er fand das ungemein lustig mich aus dem Konzept zu bringen. Sein Lachen brachte mich trotz dieses komischen Aneinandergeratens zum Lächeln. Der Typ war mir jetzt schon sympathisch.
"Also, ich heisse Timo, bin 21 Jahre alt und komme aus München. Oh, und ich weine nicht. Na ja...sehr selten.", sagte er lächelnd und wischte mir mit seiner Hand die Tränen von der Wange ab. Ich war für einen Moment perplex über diese Kontaktfreudigkeit, die er gezeigt hatte. Ich fasste doch auch niemanden Neues einfach so an...
"Ich bin Mario.", grinste ich.
"Hey, Mario. Bock auf Ablenkung?"
Ich zögerte. Keine Ahnung, was er unter Ablenkung verstand...
Der Fragende hob eine Augenbraue.
"Die Ablenkung wäre ein Basketballspiel. Nur so zur Info.", sagte er und zuckte mit den Schultern. Ich lachte und stimmte seinem Vorhaben zu.
"Klasse! Ich hol den Basketball.", sagte Timo und rannte zur Turnhalle.
Ich hatte ihn hier bis jetzt noch nie gesehen und bei Herr Bubendorf's Vorlesungen erst recht nicht. Andererseits waren wir nicht gerade wenig Vorlesungsteilnehmer...
Ich beschloss mich auf das, was kommen sollte einzulassen. Mal schauen, wie sich das Spiel entwickeln würde. Ich sah, wie Timo zu mir rannte, mit einem orangen Basketball in der Hand. Wir gingen dann gemeinsam zum Basketballplatz und positionierten uns auf unsere Plätze.
"Machen wir ein Spiel daraus, Mario.", sagte Timo herausfordernd.
"Ok.", sagte ich mit fragendem Blick.
"Ich weiss noch überhaupt nichts über dich. Jedes Mal, wenn ich einloche, darf ich dir eine persönliche Frage stellen. Du mir natürlich auch. Nach jedem Wurf wechseln wir uns ab. Biste dabei?"
Ich verstand den Sinn dahinter nicht so, aber was sollte schon schief gehen?
"Bin dabei."
"Ok, du darfst anfangen.", sagte er und gab mir den Ball. Ich positionierte mich an der richtigen Linie und versuchte das Runde in das andere Runde zu kriegen.
Daneben.
"Schade.", sagte Timo und ich passte ihm das Runde zu. Timo positionierte sich an der betreffenden Linie und warf auch den Ball.
Drinnen. Ich hätts eigentlich wissen müssen.
"Spielst du Basketball?", fragte ich ihn. Doch er lachte bloss.
"Gute Frage", sagte er und zeigte mit dem Finger auf mich, "aber frag mich, wenn du getroffen hast."
Ich grinste.
"Na gut, Mario. Ich hab getroffen...Also, fangen wir mit was leichtem an. Wie alt bist du?"
"18."
"So jung?", fragte er verblüfft.
"Interessant.", fügte Timo hinzu und kratzte sich am Kinn.
"Du bist dran."
Ich ging wieder zur Linie und warf. Diesmal war er drinnen.
"Wie heisst du mit vollem Namen?"
"Timo Schweighöfer."
Ich musste lachen.
"Was? Wie der Schauspieler?"
"Jep, aber wir sind nicht verwandt."
Ich gab ihm den Ball und auch der war sauber eingelocht.
"Von wo kommst du?"
"Aus Memmingen."
"Aha, also Bayern. Endlich treff ich mal jemanden, der nicht aus dieser schwarzgelben Stadt kommt."
"Kein Schwein weiss, wo Memmingen liegt."
"Nur wer aus Bayern kommt kennt auch die noch so kleinsten Städte und Dörfer. Machen wir's kurz, Mario. Wenn ich es schaffe den Ball von der Mittellinie aus in den Korb zu befördern, darf ich dich alles fragen, was mich interessiert -"
"Und wenn ich gewinne?"
"Dann spendier ich dir 'ne Cola im teuersten Lokal der Stadt. Na, was sagst du?", sagte Timo und hob eine Augenbraue. Ich fands wirklich amüsant, wie er versuchte mich abzulenken und willigte deshalb ein. Dennoch fand ich dieses plötzliche Interesse an meiner Person und meinem Leben schon seltsam. Der Typ war mir hier bis jetzt noch nie aufgefallen und plötzlich wollte er wissen, wie ich heisse und wer ich war? Komisch...im Normalfall hätte ich Prügel für meine Flennerei beziehen müssen. Er hätte mir Meme zurufen müssen und mich als Schwuchtel bezichtigen sollen.
Timo positionierte sich an der Mittellinie und schlug den Ball mehrmals auf den Boden. Dann streckte er seine Arme aus und warf den Ball, der mehr als nur ein wenig sein Ziel verfehlte. Ich kriegte mich nicht mehr ein vor Lachen. Das war so witzig und Timo hatte keine andere Wahl als miteinzustimmen.
"Na gut, schon kapiert. Du bist dran.", lachte er und gab mir den Ball. Auch ich wärmte mich ein wenig auf und warf den Ball so gerade ich konnte...und er war tatsächlich drin!
"What the fuck!", schrie Timo und hielt sich mit beiden Händen am Hinterkopf fest, als ob er wegrollen würde.
"Geil!"
"Was war das denn?!"
Er kriegte sich gar nicht mehr ein.
"Scheisse, na ja. Ich halte meine Versprechen immer. Wollen wir gehen?", fragte Timo und ich willigte ein.

In seinem Auto sitzend, fuhren wir zum abgemachten Café in der Innenstadt. Wir brauchten nach der Meinung von Timo, 20 Minuten. Also, genoss ich die Fahrt und hätte nie im Leben gedacht, dass sich dieser scheiss Tag, zu etwas Gutem entpuppen würde.
"Da ich verloren habe, möchte ich dich trotzdem bitten, meine noch offenen Fragen zu beantworten."
"Schiess los."
"Du heisst Mario...?"
"Götze.", beendete ich seinen Satz.
"Na gut, Mario Götze. Erzähl mir was von dir."

Götzeus - Es passierte in jener Nacht (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt