Mario's Sicht
In der Innenstadt gab es nichts Spezielles, sowie ich festgestellt hatte und fuhr nach einer knappen Stunde wieder nach Hause. Mich ärgerte es immer noch, dass ich hier sein musste. Wieso waren meine Eltern nicht ohne mich hierhergezogen? Wieso konnten sie mich nicht fragen? Und wieso hatten sie mir nicht einfach eine Wohnung gesucht, damit ich in Memmingen hätte bleiben können? Felix ist 12, dann war es logisch, dass er mitumziehen musste. Aber ich war verdammte 18 Jahre alt! Ok...Fabian war 20 und lebte auch immer noch bei Mama und Papa, aber nur weil er sich momentan eine Auszeit gönnte. Er studierte Jura in München. Nein, er musste nicht sein Studium abbrechen, aber ich schon, oder was?! Und das nur weil meine Eltern und Felix mich in ihre Nähe haben wollten. Toll.
Ich parkierte den Wagen und schaltete den Motor aus. Schweren Schrittes ging ich Richtung neue Behausung und drückte auf die Klingel. Fabian machte mir auf und grüsste mich anschliessend. Als ich eintrat sah ich noch einige leere, аufeinandergestapelte und volle Pakete herumliegen. Anscheinend waren sie nicht fertiggeworden alles auszupacken. Von Mama und Papa nicht die geringste Spur.
"Und, wie siehts aus?", fragte Fabian.
"Was?"
"Die Innenstadt?"
"Ach so. Nichts Spezielles.", gab ich als Antwort zurück und hoffte mit dem Thema in Ruhe gelassen zu werden.
"Wo sind Mama und Papa?", fragte ich Fabian.
"Sie sind mit Felix einkaufen gefahren.", sagte er.
Ich schaute mich ein wenig um. Grosse, moderne Küche. Grosses, schönes Wohnzimmer, das schwarze Ecksofa, die schwarz-weissen Dekorationen und Accesoires. Es sah alles wie immer aus. Dann im ersten Stock unsere Zimmer und das Badezimmer. Üblicherweise hatte jeder sein eigenes Zimmer. Obwohl Fabian hier bloss Ferien machte, kriegte auch er ein Zimmer für sich allein...Auch hier sah alles unserem alten Haus ähnlich. Das Badezimmer, wie erwartet, mit weissen Keramik-Fliesen und einer geräumigen Badewanne und zusätzlichen Dusche. Wie, als ob wir nie umgezogen wären. Ich war wirklich überrascht. Ich hätte nicht erwartet, dass alles dem alten Haus so ähnlich sehen würde. Chapeau Mama und Papa!
Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir zu. Dann legte ich mich auf mein Bett und starrte die Decke an.
Was die Zukunft bringen würde? Keine Ahnung... Jedenfalls wusste ich ganz genau, dass ich all meine Freunde nie wieder sehen würde. Wie traurig sie aussahen, als ich ihnen gesagt hatte, dass ich nach Dortmund ziehen würde. Leila, Jonas und Stephanie hiessen sie. Meine besten Freunde. Wenn ich mich recht entsinne war Stephanie immer für ihre Aussprache bekannt gewesen, weil sie die Dinge so, wie sie nun mal waren betonte und sie alles auf dem Punkt gebracht hatte. Ich hatte sie stehts dafür gelobt, wie Recht sie doch immer hatte und das wir auf sie hören sollten. Tja...Leila war die Kreative von uns allen. Mal abgesehen davon war sie eigentlich etwas ganz besonderes für mich. Als Kind hatte sie mich vor dem Ersticken bewahrt, als ich im Liegen Äpfel gegessen hatte. Sie steckte mir ihren Finger in den Hals, sodass ich alles wieder rausgekotzt hatte. Ich war damals sieben Jahre alt. Und Jonas war mir von all meinen Freunden am Liebsten eigentlich. Ich hatte ihn immer für seine Entschlossenheit und Kühnheit geliebt, sodass es schliesslich irgendwann über mich gekommen war und ich mich in ihn verliebte. Mit 13 küssten wir uns das erste Mal bei einem Klassenausflug in einem naheliegenden Wald in Memmingen. Wir fanden es allgemein lustig in der Dunkelheit durch Wälder zu streifen. Es gab uns irgendwie immer den richtigen Kick, wenn ihr versteht, was ich meine. Irgendwann hielt Jonas an und packte mich am Arm. Es hatte für ihn schon mehrere Gelegenheiten gegeben mich zu küssen, hatte er mir mal gesagt, doch er hatte immer auf den richtigen Moment gewartet. Dann sah er mir in die Augen und zog mich noch enger an sich, sodass ich seinen Atem spüren konnte, ganz nah an meinem. Dann küsste er mich.
Ich vermisste ihn sehr. Als er gehört hatte, dass ich gehen würde, brach für ihn eine Welt zusammen. Und für mich ebenfalls. Ich sollte ihn jetzt anrufen. Ich musste seine Stimme hören. Ich brauchte ihn jetzt.
Ich tippte seine Nummer ein und mein Telefon fing an zu piepen. Er nahm beim vierten Piepen ab: "Hallo?", hörte ich es aus der anderen Leitung kommen.
"Hallo, Jonas.", sagte ich schwach.
"Mario?", er wurde etwas wacher.
"Ja, ich bin's.", lachte ich traurig, "Ich vermisse dich..."
"Ich dich auch.", seufzte er, "Wie lange haben wir uns jetzt schon nicht gesehen? Ich habe bei 10 aufgehört zu zählen."
Mir kullerte eine Träne die Wange hinab.
"Zwei Wochen. Was mussten deine Eltern dich bei diesem Familienausflug mitnehmen...", sagte ich.
"...Du bist einfach weg...ich kann's immer noch nicht fassen.", sagte er.
Eine weitere Träne bahnte sich den Weg nach draussen. Dann sagten wir beide eine Zeit lang gar nichts.
"Mario?"
"Ja.", sagte ich schwach.
"Ich liebe dich. Vergiss das nie. Ich...ich muss Schluss machen, meine Eltern rufen mich...pass auf dich auf."
"Mach ich. Ich liebe dich auch."
Er legte auf und ich wischte mir stumm die Tränen weg. Ich legte mich erneut hin und starrte wieder diese weisse, beschissene Decke an.Ein paar Stunden später war ich mir sicher, dass ich mich beruhigt hatte und wollte gerade aufstehen, als meine Eltern ins Zimmer kamen.
"Hey, Spatz! Wie wir sehen hast du dich eingefunden.", sagte meine Mutter.
"Kann man sagen..."
Ich hoffte inständig, dass sie nicht bemerkt hatten, dass ich vor zwei Stunden noch geheult hatte.
"Wir haben Neuigkeiten für dich.", fuhr mein Vater fort, "Und zwar bekamen wir einen Anruf von der Dortmunder Universität, dass du aufgenommen wurdest und dort weiter dein Studium fortsetzen kannst!"
"Was gibts zu Essen?"
"Mario, hörst du uns überhaupt zu? Das sind doch tolle Nachrichten, warum bist du so misepetrig?", fragte meine Mutter ernst.
"Die Wahrheit?"
"Wenn's geht, ja.", sagte Dad.
"Ich hasse es hier! Ich hasse es hier zu sein, ich hasse es zukünftig auf diese beschissene Uni zu gehen, ich hasse dieses Haus, ich hasse diese Stadt, verdammt nochmal!!!", schrie ich, "Ich will zurück, zurück zu meinen Freunden, ich will nach Hause gehen!!!"
Meinen Eltern stand der Schock in den Augen. Sie dachten ich bräuchte bloss Zeit mich einzugewöhnen, aber mit solch einer Ansage hatten sie nicht gerechnet.
"Mario, wir können nicht ändern, was passiert ist. Dein Vater ist hierher versetzt worden, es hätte auch so gut Köln oder Berlin sein können. Aber er konnte es sich nun mal nicht einfach so aussuchen...es tut mir leid, aber nun ist das dein Zuhause.", sagte sie.
"Und was ist mit Fussball?! Ich hab kein echt Bock für diese gelben Pussies zu spielen!", schnaubte ich wütend. Meine Mutter hielt sich die Hand vor dem Mund und stützte sich mit der anderen Hand an ihrer Hüfte ab. Ihr war die ganze Situation unangenehm. Das wusste ich. Dann sprach mein Vater auf mich ein.
"Mario, Fussball ist Fussball. Wenn du diesen Sport weiterhin betreiben willst, musst du eben mit diesen gelben Pussies zusammenspielen und Punkt! Du bist kein kleines Kind mehr. Du bist 18, also benimm dich auch so, Junge!", sagte er. Ich sah meinen Vater mit verengten Augen an.
"Und wenn ich damit nicht klar kommen kann?"
"Dann hast du in Memmingen, wohl oder übel, dein letztes Spiel beschritten.", sagte er und verschwand mit meiner Mutter nach Draussen.
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Götzeus - Es passierte in jener Nacht (Pausiert)
Hayran KurguNachdem Mario's Eltern, Jürgen und Astrid, zusammen beschlossen haben umzuziehen, bricht für Mario seine Welt zusammen. In Dortmund soll der 18-jährige sein Studium vortsetzen und später seinen Abschluss machen. Marco, mit 21 einer der beliebtesten...