Kapitel 27

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Mario's Sicht
Samstag

Mir tat der Kopf so weh. Nach dem ich aufgewacht war, hatte ich bloss noch diese Schmerzen in Erinnerung. Ansonsten nichts. Jonas hielt meine Hand und ich war sehr froh ihn an meiner Seite zu haben. Trotz des Streites, der auch der Auslöser für diese Scheisse war, liebte ich ihn und ich wusste, dass er mich niemals verletzen würde. Ich wusste zu anfangs nicht wo ich war, aber eines war glasklar; ich lag nicht in meinem Bett. Dieses hier war tausend Mal bequemer, als das alte Ding in Zimmer 19. Ein stechender Schmerz durchfuhr mich. Meine rechte Schläfe tat mir ungewöhnlich weh. Erst jetzt fühlte ich, dass mir ein Verband am Kopf angelegt worden war, um die Blutung zu stoppen? Hatte ich geblutet?
Ich war im Krankenhaus...
Nach meiner Erkenntnis öffnete sich wieder die Tür und Marco trat herein. Er musterte mich besorgt und setzte sich auf den gleichen Stuhl auf den Jonas vor ein paar Stunden noch gesessen hatte. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung.
"Hast du Schmerzen?", fragte er. Ich nickte geschwächt. Mir fielen immer wieder die Augen zu. Ich konnte sie nicht aufrechterhalten.
"Der Arzt wird gleich nach dir sehen."
"W-wo ist Jonas?"
"...Er ist nach Hause gegangen. Er wird aber bald wieder kommen."
Für's Erste gab ich mich mit der Antwort zufrieden. Die Schmerzen kehrten wieder zurück.
"Marco...", sagte ich schmerzerfüllt.
"Ich bin da.", sagte Marco und nahm meine Hand das zweite Mal in dieser Woche.
"Was machen wir...mit unserem Proj-"
"Shhh. Ist egal.", brachte er mich zum Schweigen.
"Wir finden schon 'ne Lösung."
Ich genoss diese Stille. Nicht nur, weil es gut für meine Nerven war, sondern auch weil ich mich besser auf meinen Gegenüber konzentrieren konnte. Trotz der Schmerzen musste ich unwillkürlich lächeln.
"E-es tut gut...", sagte ich leise.
"Was tut gut?"
Ich versuchte ihm ein warmes Lächeln zu schenken, doch ich scheiterte. Also sagte ich es ihm ohne mein geplantes Grinsen: "Du tust mir gut."
Ich blickte in seine schönen grünen Augen. Solange konnte ich den Blickkontakt aber nicht aufrecht erhalten, also senkte ich meinen Blick und schloss meine Augen. Von Marco jedoch keine Reaktion. Dann...er bückte sich vor und streichelte meine Wange. Er kauerte genau über mir und durchbohrte mich mit seinen Blicken.

Marco's Sicht

"Du tust mir gut.", murmelte Mario wieder und ich konnte meine Finger nicht mehr von ihm lassen. Ich wusste ganz genau, dass ich diese Situation schamlos ausnutzte, weil er total unter Drogen stand. Sie hatten ihn mit Schmerzmitteln nur so vollgepumpt. Nur Gott wusste, ob er das was er sagte, auch Ernst meinte. Doch ihm mit der Hand über's Gesicht zu fahren war wahrlich eine Genugtuung. Ihn zu berühren, ihm nah zu sein...es war ein solch schönes Gefühl, dass ich gar nicht mitbekam, wie Mario von meiner Streichelei schliesslich wieder einschlief. Mein Herz setzte bei diesem herzerwärmenden Anblick aus und ich konnte nicht anders, als einfach meine Lippen auf seine zu legen. Dieses Gefühl...In mir kribbelte alles, mein ganzer Körper stand unter Strom und ich hatte mich nicht mehr im Griff. Ich küsste ihn immer wieder. Es waren kleine, zärtliche Küsse. Ich wollte es nicht zugeben, aber ich hatte mich tatsächlich in ihn verliebt. Ich hörte ein kleines Stöhnen. Wir lösten unseren Kuss mit einem kleinen Schmatzer. Mario war wieder aufgewacht. Er war ein wenig rot um die Wangen.
"Entschuldige...ich...hatte mich nicht im Griff.", sagte ich. Ich hatte das eigentlich nicht geplant. Ihn zu küssen...konnte ich überhaupt noch von mir behaupten Hetero zu sein? Denn, ich erkannte mich schon seit langem selbst nicht mehr wieder, wenn ich mich im Spiegel ansah. Ich sah bloss noch einen Menschen, der täglich seine Gefühle und Sehnsüchte verbarg, um bei dem Menschen Eindruck zu schinden, den er so abgöttisch liebte...War also die Frage, ob ich ihn liebte gerade beantwortet worden?
Ich dachte schon...Meine Pläne legte ich schon vor ein paar Tag auf Eis. Keine neuen Pläne, keine Versuche oder Tricks ihn ins Bett zu bekommen. Ich wollte ihn an meiner Seite haben. Ich wollte bei ihm sein. Ich wollte, dass er bei mir war.
Kommen wir zurück zu meiner eigentlichen Frage; was tat man in Situationen, in der ein Freund dich küsste?
Mario sagte nichts. Er tat nichts. Er schaute mich mit seinen müden Augen an. Genauso fühlte ich mich. Ich war es mir Leid ständig One-Night-Stands zu haben, das war doch alles scheisse! Ich war müde von den langen Nächten, ich war müde von diesen nervenden Hühnern, die mich jedes Mal am frühen Morgen aufweckten, weil sie nicht neben mir aufwachen wollten, ich war müde von Männern, die mich beschuldigten, mit ihren vergebenen Freundinnen ins Bett zu steigen, obgleich ich es gewusst hatte oder nicht, ja, sogar war ich müde von Menschen, die nicht mit dem Finger auf mich zeigten...! Dieses ganze Leben...ich war müde von allem, und genauso sah Mario aus. Ich dachte, dass er auch so fühlte wie ich. Wir konnten uns nicht fallen lassen, wir waren gefangen in Käfigen, wir waren nicht frei. Mario musste seit seiner Jugend damit rechnen, aufzufliegen. Auf ihm lastete seit seinem 15. Lebenjahr die Last und die Angst, seine Eltern könnten erfahren, dass ihr zweiter Sohn schwul wäre. In was für eine Welt lebten wir hier eigentlich...?
"Magst du mich?", fragte Mario und wartete auf meine Antwort, dabei war sein Mund einen spalt breit offen. Ich nahm seine Hand in meine und zog sie zu meiner Brust. Ich sagte nichts. Ich liess ihn nur meinen Herzschlag fühlen. Etwas veränderte sich in Mario's Gesichtszügen. Sie wurden weicher.
"Marco...", wieder sagte er meinen Namen. Ich war hin und weg. Ich sagte nichts. Seine Hand glitt herauf zu meiner Wange. Sie zog mich hinunter zu seinen weichen Lippen. Nur wenige Sekunden vergingen, als sich unsere Lippen wieder vereinten. Diesmal war der Kuss wilder, leidenschaftlicher...
Ich traute mich nicht meine Zunge mit ins Spiel zu nehmen, weil ich Angst vor einer Ablehnung hatte. Also liess ich es sein. Es schien so als ob Mario nicht genug von mir kriegen konnte, denn seine Hand, die vorher noch auf meiner Wange lag, erkundete neugierig meine unteren Körperregionen und schob seine Hand unter mein schwarzes T-Shirt. Träumte ich bloss, oder war das die Wirklichkeit? Da konnte 'was nicht stimmen...Spielte er mir einen Streich? Er mochte es überhaupt nicht, wenn ich ihn anfasste. Warum also jetzt plötzlich? So stark waren die Medikamente ja auch nicht!
Unsere Lippen lösten sich mit einem lauten Schmatzen. Ich guckte ihn verwirrt an.
"Tu das nie wieder."
Ich verstand nicht.
"Fass mich nie wieder an. Hast du das verstanden?", sagte er mit gedämpfter Stimme.
"Ich liebe dich nicht. Ich werde dich niemals lieben. Der einzige Mensch, den ich jemals lieben werde, ist bei sich Zuhause."

Götzeus - Es passierte in jener Nacht (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt