Kapitel 23

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Marco's Sicht

Ich dachte, ich sah nicht richtig, als ich ins Zimmer gekommen war. Mario sass halbnackt auf Moritz' Bett und Jonas entschuldigte sich gefühlte hundert Mal für eine Sache, bei der ich den Grund nicht kannte. Sätze wie: "Ich hatte mich nicht im Griff" und "Es war lange her" waren gefallen. Und dabei war ich doch bloss eine Flasche Wasser holen gegangen! Was hatte ich bloss verpasst?! Eigentlich hätte ich es mir auch selbst denken können...Dieser Kautz hatte sicher geplant ihn zu vögeln und verlor dann die Beherrschung. In diesem Fall konnte ich ihn verstehen. Wer sähe ihn nicht gerne unter sich im Bett liegen? So nackt und vollkommen...
Sobald man seine weiche Haut berührt hatte, war alles vorbei. Die Beherrschung würde 'nen Abflug machen, genauso wie die Konzentration. Alles würde flöten gehen wegen ihm. Er wusste nur nicht, wie er auf andere Menschen wirkte und darin lag sein Fehler. Er müsste bloss mit dem Finger schnippen und alles läge ihm zu Füssen. Wer konnte auch zu solch einem Sonnenschein "Nein" sagen...?
Ich nicht. Ich könnte es aus Prinzip nicht, weil ich ihn...mochte. Ich hatte den schrecklichen Verdacht, dass Jonas ihn zum Sex genötigt hätte. Doch er versicherte mir, dass es keinen Grund zur Sorge gab.

Rückblick - Gestern:
Ich hielt ihn am Arm fest, als Jonas mit seinem quitschenden Koffer vorausgegangen und ausser Sichtweite war.
"Hat er dir was getan?", fragte ich leise.
Mario starrte mich planlos an.
"Was meinst du denn?", fragte er lächelnd.
"Hat er dich zu irgendetwas gezwungen oder...wollte er dich sogar-", sagte ich hastig.
Mir wurden trotzdem augenblicklich die Lippen verschlossen. Leider nicht durch einen Kuss, sondern durch Mario's Hand.
"Marco...mir geht's gut. Du musst dir keine Sorgen machen..."
Er legte eine kurze Pause ein und musterte mich mit glasklaren Augen.
"Ich weiss das aber zu schätzen.", sagte er zum Schluss.
Ich schaute zu Boden. Natürlich war nichts passiert. Ich kannte doch den eigentlichen Grund und ich wollte ihn nicht wahrhaben. Einen Moment lang dachte ich wirklich, dass es besser wäre, wenn Jonas ihm Schaden zufügen würde, anstatt dass dieser degenerierte Blödmann ihn unten anfasste, aber...ich verwarf den Gedanken sofort wieder, als Mario mich ein wenig zurückdränkte, damit er aus Jonas' Sichtfeld war, und mich umarmte. Eine liebevoll gemeinte Geste, die ich mit voller Sehnsucht erwiderte. Ich schloss meine Arme um den kleinen Körper und genoss Mario's Nähe. War ich ihm sonst irgendwann mal je so nah gewesen?
Er liess mich los.
"...Ich will, das du weisst, dass ich für dich da bin.", sagte ich leise, während der Umarmung.
Er hätte eigentlich lächeln und mich wieder umarmen sollen, doch Mario's Gesicht war gezeichnet von Melancholie und...Erschöpfung. Er war mir noch nie so nah. Ich wollte die letzten Zentimeter noch überbrücken, ich wollte endlich diese betörenden Lippen küssen! Ich legte meine Hände an seinen Wangen.
"Nein.", hörte ich seine schwache Stimme flüstern. Mario hielt meine Hand fest, die auf seiner Wange war. Er schüttelte den Kopf. Er wollte das nicht, er wollte mich nicht...Ich wollte ihn aber und ignorierte seine Warnung, presste ihn gegen die Wand und zog ihn an mich. Doch noch bevor mein Traum in Erfüllung gehen konnte, rief Jonas ihm hinterher und Mario schob mich zur Seite und verabschiedete sich von mir. Zu gerne hätte ich gewusst, wie sich seine Küsse anfühlten, doch Jonas hatte mir diesen Augenblick kaputt gemacht. Er war mir wirklich ein Dorn im Auge. Mit ihm stimmte was nicht. Da war ich mir sicher. Er konnte mir gegenüber noch so nett sein (Was er überhaupt nicht war, zur Information), ich würde auf jeden Fall ein Auge auf ihn haben. Oder beide...man wusste ja nie.

Gestern fand wieder eine Party bei Julian statt. Die Jungs und ich genossen den Abend sehr. So konnte ich mich wenigstens ein bisschen von dem ganzen Stress und meinen besessenen Plänen erholen. Wir sauften, feierten und fickten bis zum Morgengrauen. Das war mit Abstand eine der geilsten Nächte, die ich je gehabt hatte!
Der Morgen sah leider nicht mehr so schön aus... Aufgewacht war ich heute mit einem heftigen Kater. Ich hatte gerade vor ein paar Stunden noch den letzten Rest Alkohol aus mir herausgewürgt. Sah nicht sehr lecker aus. Danach durfte ich noch das Klo sauber machen. Aber nicht nur mir ging es so. Auch den anderen war es kotzübel. Auba rief mich an und erzählte mir, wie geil wir es gestern doch alle hatten und das während er sich übergab! Er war schon immer ein verrückter Vogel, weshalb das wirklich nichts Ungewöhnliches war.
Von Mats und Kevin würde ich bis Morgen gar nichts mehr hören. So lief das bei den beiden nun mal. Sie brauchten ihre Ruhe, weil sie sonst den Verstand verlieren würden und ich meinte das so, wie ich es gesagt hatte. Moritz und Marcel hingegen wachten auf, als ob gar nichts passiert wäre. Sie hätten sich bis zum Tod hin besaufen können, ihnen wäre nichts passiert. Nur Auba und ich hatten in Wirklichkeit die Arschkarte gezogen...Mats und Kevin kotzten wenigstens nicht alles aus sich heraus, waren aber jedes Mal verdammt nah dran es zu tun.

Um mich ein wenig besser zu fühlen, ging ich nach draussen. Ich brauchte unbedingt frische Luft, anders ging es bei mir nicht. Ich hatte es definitiv nötig. Am besten wäre es, wenn ich in den Park ginge. Dort war es doch immer so schön ruhig. Eigentlich ging ich eher selten dorthin. Ich wüsste nicht, was man in Parks sonst noch machen sollte, wenn man keinen Hund hatte. Joggen wär 'ne Möglichkeit gewesen, aber...ich war nunmal nicht in guter Verfassung. Also setzte ich mich auf eine freie Bank und hörte den Vögeln beim Singen zu. Balsam für meine Seele...Es war so schön still. Besonders in solchen Momenten, in denen man hart gefeiert hatte und dann mit pochenden Kopfschmerzen aufwachte, lernte man die Ruhe der Natur erst richtig zu schätzen.
"Wen haben wir denn da? Marco Reus.", spuckte eine amüsierte Stimme meinen Namen heraus, als ob er verdorbene Milch wäre. Ich hob meinen von Kopfschmerzen geplagten Kopf und blickte in stechend hellgrüne Augen. Da wollte man einmal in Ruhe gelassen werden und jetzt das! Timo...
"Was willst du von mir?", fuhr ich ihn an. Ich hatte keinen Bock mit ihm zu sprechen. Konnte dieser Wichser nicht ein anderes Mal auftauchen? Und wie dämlich er grinst. Wenn ich nicht diesen beschissenen Kater hätte, hätte ich ihn alle Zähne aus seinem hässlichen, dauergrinsenden Gesicht herausgeschlagen. Doch ich wurde von letzer Nacht aufgehalten, sodass ich nicht mal mehr die Kraft hatte nach oben zu schauen.
"Warum denn so wütend, hm? Ich war nicht derjenige, der gesagt hat, du sollst dich zu Tode saufen."
"Ich frag dich nicht noch einmal", sagte ich und stand diesmal auf, "Was willst du von mir?"
Jetzt hatte er wieder dieses dämliche Dauergrinsen auf seinen Lippen!
Er setzte sich gespielt langsam auf die Bank und guckte mich an. Dann zeigte er mit dem Finger auf mich.
"...Ich hab gehört, dass du mit Mario befreundet bist."
Ich sagte nichts und tat so, als ob ich nicht wüsste, wen er meinte.
"Mario ist ein sehr gängiger Jungenname, findest du nicht auch? Ich fürchte du musst ein wenig expliziter fragen.", sagte ich gereizt.
"Ach, halt doch die Klappe!", schnauzte er mich an, "Du weisst doch wen ich meine. Und falls es dir entfallen sein soll...beschreib ich ihn dir mal.", sagte Timo und stand auf, um mir direkt in die Augen sehen zu können. Ich hingegen hatte richtig Lust mich hinzusetzen und auf seine Schuhe zu kotzen.
"Kastanienbraune Augen...hellbraunes Haar...samtweiche Haut...Stupsnase...süsses Lächeln..."
Ich schluckte.
"Na, klingelt's?", fragte er süffisant.
"Ich warne dich Timo. Halt dich von ihm fern, oder ich breche dir alle 208 Knochen auf einmal."
"Ts. Wer's glaubt! Du weisst doch, was der Rektor gesagt hat: Wenn du noch ein letztes Mal Scheisse baust, fliegst du. Und ausserdem gefällt er mir. Warum sollte ich also aufhören?"
Mir blieb das Wort im Halse stecken. Er hatte recht. Ich durfte keinen Ärger mehr machen, ansonsten...war ich erledigt.
"Du spielst doch bloss mit ihm, was anderes kennst du ja eh nicht."
"Wenn du auf Erik anspielst: ich fand ihn heiss und er wollte es ebenso."
Ich wollte kotzen. Das wollte ich jetzt tun. Ihm mit aller Genugtuung, die ich für ihn aufbringen konnte, auf die Schuhe kotzen.
"Wie kannst du es wagen so über ihn zu reden! Schäm dich!"
Timo ging einen Schritt zurück.
"Der Autounfall ist nicht meine Schuld. Ich darf über ihn reden, wie und wann ich will! Aber...kommen wir doch zurück zum Eigentlichen: dem Kleinen.", sagte Timo beherrscht.
"Daraus wird nichts Timo. Er ist schon vergeben."
Jetzt machte dieses Drecksschwein es schon wieder!
Grinsend sah er mir ins Gesicht und sagte: "Denkst du, dass es mich je gekümmert hat? Spätestens bis zur Mitternachtsparty im Oktober, wird er mindestens einmal mit mir das Bett geteilt haben.", sagte er und verschwand, so wie er gekommen war; ganz plötzlich. Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung mehr, was ich wollte und was nicht...Timo war ein richtiges Arschloch und anscheinend, so wie ich ihn kannte, hatten sie mindestens einmal miteinander geredet. Somit war es meine Pflicht Mario auf ihn aufmerksam zu machen und ihm zu zeigen, dass Timo kein Engel war, sondern ein hinterlistiges Arschloch!
Trotz des Hasses, den wir beide in uns trugen, hatten wir doch noch eine kleine Gemeinsamkeit: wir beide wollten mit dem kastanienbraunen Augen und hellbraunen Haaren verfügenden, eine Stupsnase habenden, samtweiche Haut und ein süsses Lächeln besitzenden, 18-jährigen Jungen schlafen.

Götzeus - Es passierte in jener Nacht (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt