Marco's Sicht
MontagIch sah Mario nervös auf seiner Unterlippe kauend, direkt ins Gesicht. Wir hatten diese beschissene Projektwoche ab heute und deshalb sass Mario auf meinem Mahagonistuhl in meinem Zimmer, direkt gegenüber mir. Irgendwie fand ich es amüsant ihn dabei zuzusehen, wie er ins Schwitzen kam, wenn er merkte, dass ich ihn beobachtete. Aber ich sollte es ja auch nicht übertreiben, ich hatte ja erst vor kurzem alles mit ihm geklärt und lenkte somit meinen Blick in irgendeine andere Richtung. Wir grübelten gerade, was wir in unserem Vortrag sagen wollten und was nicht. Es stellte sich wohl doch als schwierig heraus, etwas zu finden, was für den einen als auch für den anderen akzeptabel war.
"Ich komm nicht weiter.", sagte ich aufgebend und schmiss meinen Stift auf den Tisch. Mario seufzte und stützte seinen Kopf mit den Händen ab.
"Geht es in unserer Arbeit nicht darum, wie Kinder gezeugt werden?"
"Ja, wieso fragst du?", sagte ich und setzte mich wieder hin.
"Na ja, könnten wir der Klasse dann nicht einfach erläutern, wie ein solcher Prozess abläuft?"
Ich zuckte mit den Schultern.
"Schon...aber ist es dann nicht ein wenig langweilig?"
"Hast du 'ne bessere Idee?"
"Wie wär's mit 'ner Umfrage?"
Mario lachte bitter.
"Ja, klar! Als ob dir jemand sagen will, wie oft am Tag er Sex hat. Das wird nicht funktionieren, Marco."
"Dann weiss ich selber nicht, was wir machen sollten...was ich jedenfalls sicher weiss ist, dass wir eine Idee brauchen. Ansonsten werden wir durchfallen. Wir können von mir aus auch gar nichts machen."
Mario stand schnaubend auf. Er schaute mich wütend an und fing dann lauthals an mir seine Meinung zu sagen: "Ist das dein Engagement, das du zeigst?! Ist es wirklich das, was du vorschlagen willst?!
Hör mal gut zu, Marco! Herr Bubendorf hat gesagt, dass er uns nicht als Gruppe benoten wird. Das heisst, dass du arbeiten musst. Ich werde sicher nicht deine Arbeit machen!"
"Beruhige dich mal.", sagte ich lachend, "das war doch nicht ernst gemeint. Wenn ich gewusst hätte, dass du so reagieren wirst, hätte ich meine Klappe gehalten."
Jetzt guckte er bloss noch dumm aus der Wäsche...
"...Ein Witz?"
"Ja, ein Witz."
"Lass das. Mach das nie wieder mit mir, hast du verstanden?!", fauchte er mich an.
"Ach, und was denn bitte? Spässe machen? Was bist du denn für einer, der keinen Spass versteht?", fragte ich. Mario drehte sich einfach genervt von mir um und ignorierte meine Frage.
"Ich muss rauchen, sonst rast ich hier noch aus, ej!"
"Dann mach doch! Rauch doch deine beschissenen Zigaretten!", schrie ich ihn an.
Mario öffnete schnell die Eingangstür und machte sie mit einem starken, lauten Stoss auch wieder zu.
"Schöne Scheisse!", flüsterte ich und rieb mir die Augen mit beiden Händen.
So hatte ich mir das definitiv nicht vorgestellt...Mario's Sicht
Dieser verdammte Idiot! Warum musste er mich immer aus der Fassung bringen, wenn ich bei ihm war?! Da waren mir die anderen Idioten aber lieber...
Ich ging schnurstracks in den Park, um mich zu beruhigen. Meine Zigarette war mit einem Fingerschnipp schon angezündet und rauchbereit. Ich wusste, dass ich total überreagiert hatte, aber...er hatte mich dazu angestiftet so auszurasten!
...
Nein...mich selber zu belügen brachte mir doch auch nichts. Es war seine Nähe, die meine Sicherungen zum Schmelzen brachten. Anders konnte ich es mir doch auch nicht erklären! Wie sollte ich mich jetzt bloss nach dem ganzen Affentheater, das ich veranstaltet hatte, alles wieder gut machen? Keine Ahnung...ich würde sagen, sich einfach mal zu entschuldigen, wäre das Beste...aber dafür war mein Stolz leider viel zu gross. Und ausserdem hatte ich null Bock wieder in dieses beschissene Zimmer zu gehen und darauf zu warten, eine Eingebung für unser Projektthema zu bekommen. Ich rauchte meine Zigarette fertig und stand auf. Unter der Bank war ein oranger Basketball zu sehen. Ich holte ihn hervor. Ein paar Körbe zu werfen, würde mir jetzt sicher gut tun. Ich positionierte mich wieder an der markierten Linie, wie letztes Mal, als ich mit Timo gewettet hatte. Ich hatte seither nichts mehr von ihm gehört...also schon seit einer Woche nicht mehr. Wie die Zeit verging...in einer Woche würde Jonas wieder bei mir sein und nur Gott wusste für wie lange. Denn gefragt hatte ich ihn nicht. Dazu hatte ich viel zu viel Angst. Klang komisch, aber ich hoffte einfach, dass er mindestens einen Monat lang bei mir sein würde, wenn's geht noch länger. Ich liebte ihn so sehr und dieser Schmerz frass mich von innen auf. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum ich bei Marco's Bemerkung überreagiert hatte. Ich war zu streng mit ihm und das wurde mir jetzt bewusst. Am besten, ich würde wieder zu ihm gehen und mich dann ordentlich bei ihm entschuldigen.
"Mario, es tut mir leid..."
Ich drehte mich um. Woher wusste er, dass ich hier war?
"Ich hab's übertrieben..."
"Nein, Marco. Wenn sich jemand entschuldigen muss dann ich. Ich hab überreagiert, nicht du. Diese...ganze Sache mit Jonas belastet mich sehr. Es will nichts nach Plan laufen", sagte ich und fing dann an zu flüstern, "auch nicht mit dir...also bin ich ausgerastet..."
"...Was meinst du mit "auch nicht mit mir"?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Nichts...Ist egal...", sagte ich und versuchte mich wieder auf den Ball zu konzentrieren, indem ich ihn einen Stoss versetzte und er auf dem Boden aufschlug. Ich wiederholte dies einige Male, doch meine wahren Gefühle, weckten leider Marco's Neugier, dem mein Gesagtes überhaupt nicht egal war.
"Was meinst du damit, hm?", hakte er nochmals nach.
Ich schaute in die Ferne und wünschte wieder mein Leben wiederzuhaben, dieses unkomplizierte, schwerelose, leichtzulebende Leben, das schon lange nicht mehr ist. Keine Probleme mit der Uni (auch wenn ich welche hätte, hätte ich sie geliebt), ich hätte meine Freunde um mich herum, ich hätte meine Familie um mich herum. Ich müsste nicht auf dem Campus schlafen, sondern Daheim. Daheim in meinen kuscheligen vier Wänden. Ich hätte keine Beziehungsprobleme, ich würde Jonas jeden Tag sehen und diese grässliche Entfernung, die zwischen uns existierte, würde uns nicht mehr die Luft zu schnüren. Gott weiss, ob er mich nicht schon betrogen hatte...und...ich hätte Marco niemals kennengelernt...
Dieses gewisse etwas, das manchmal, aber sehr wahrscheinlich jetzt öfters meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
Ich schaute ihn mit meinen müden Augen an und flüsterte die Worte, die ich zu glauben wagte, sie niemals ausprechen zu müssen.
"Ich mag dich."
Marco sagte nichts also sprach ich lauter. Ich wollte heulen. Diese Erkenntnis brach mir das Herz.
"Ich mag dich, Marco."
Er sagte wieder nichts. Wie denn auch? Wie sollte man in solch einer Situation denn bloss richtig reagieren? Wie hätte ich reagiert?
"...Du...magst mich?", fragte er vorsichtig, weil er mir logischerweise nicht glaubte. Wir hatten uns doch vorher gestritten, warum sollte ich ihm jetzt gestehen, dass ich ihn mochte?
"Ja...und das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut..."
Ich musste meine Tränen unterdrücken. In meinem ganzen Leben, seit ich Jonas kannte, hatte es keiner geschafft - es bloss zu versuchen! - sich in mein Herz zu schleichen...ausser Marco...und er hatte es fast geschafft.
"Warum ist das schlecht? Ich mag dich doch auch!"
"Ich versteh das nicht... Warum solltest du mich denn überhaupt mögen? Guck mich doch an! Ich bin nichts Besonderes!"
Marco kam mir näher, was ich in diesem Moment überhaupt nicht wollte, weil es nur noch das entscheidende kleine Etwas brauchte...um mich fallen zu lassen.
"Sprechen wir hier immer noch von mögen...oder sind wir schon einen Schritt weiter?"
Eine einzelne Träne kullerte meine Wange herab und schlug auf dem nassen Betonboden auf. Marco wischte mir die zweite Träne mit seiner Hand weg und schaute mir in meine glasigen Augen.
"Was meinst du wirklich mit "ich mag dich"?"
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Götzeus - Es passierte in jener Nacht (Pausiert)
FanfictionNachdem Mario's Eltern, Jürgen und Astrid, zusammen beschlossen haben umzuziehen, bricht für Mario seine Welt zusammen. In Dortmund soll der 18-jährige sein Studium vortsetzen und später seinen Abschluss machen. Marco, mit 21 einer der beliebtesten...