Ständig stellte er mir dieselben belanglosen Fragen.
Wie geht es dir?
Wie fühlst du dich heute?
Hast du heute schon an deine Eltern gedacht?
Was fühlst du, wenn...?Ich konnte diese ganzen Fragen nicht mehr hören. Ich wollte sie nicht mehr hören. Ich hatte alles so satt.
Dr. Vernicke war der einzige, den ich besuchte, wenn ich das Heim verließ. Und das Café. Für mehr wollte ich meine Zeit niemals hingeben. Und für mehr war ich auch nicht im Stande. Ich lebte ein kleines Leben, das für mich reichte, doch wollte ich niemals vergessen, für was mich die Leute hier hielten.
Wo ich lebte kannte jeder beinahe jeden. Ein kleines Dorf, ein unbedeutender Name und ein Gerücht, das sich seit 7 Jahren, fast 8, um mich drehte.
Ich hätte meine Eltern umgebracht. Mit nur 10 Jahren.
Welcher Mensch denkt sich sowas aus?
Ich habe sie nicht umgebracht.
Ein Feuer entstand in unserem Haus, ich war die einzige, die überleben konnte. Wie durch ein Wunder. Ich erinnere mich nicht einmal mehr daran, wie ich überhaupt aus dem Haus kam.Ich erinnere mich an nichts mehr, nur an die lodernden, gelben Flammen, die so heiß waren, dass ich dachte, ich stünde in Flammen.
Kein Foto, kein Schmuck oder Geld, irgendeine Erinnerung, überlebte. Alle Erinnerungen an meine Familie starben mit ihnen im Feuer. Als hätten sie niemals existiert.
Als wäre ich nur ein Fehlschlag im System. Ein gescheiterter Versuch, der nach einer Familie suchte.
Meine Finger umschlungen einsam die kalten Seiten des Buches vor mir. Der gute Geruch von Kaffee in meiner Nase ließ mich für einen Moment wieder lebendig fühlen, da der sonstige Tod permanent in meinen Knochen saß. Ich brauchte nie jemanden, der bei mir saß, mir vielleicht Geschichten von irgendwelchen Reisen erzählte oder einen Witz aussprach, über den ich eh nicht gelacht hätte, da Witze seit 7, fast 8 Jahren nicht mehr mein Ding waren. Ich hatte nur mich, und das war genug.
Ich streite nicht ab, dass ich mir an manchen Tagen schon jemanden wünschte, der sich um mich kümmerte. Und nicht nur kümmern, sondern auch verstehen, sich sorgen, interessieren und reden. Ja, an manchen Tagen wünschte ich mir sogar einen Freund oder eine Freundin. Jemand, der mir zuhörte, wenn ich was erzählte, wenn ich überhaupt mal etwas erzählen wollte, da mir nicht mehr nach Reden zumute war.
Doch ich saß ganz alleine dort, hörte Gesprächen von Leuten zu, die mich vielleicht kannten, ohne mich wirklich zu kennen, und über mich sprachen, ohne jemals ein Wort aus meinem Mund gehört zu haben.
Denn ich sprach nicht viel, das tat ich seit dem Brand nicht mehr. Irgendwas verschlug mir dauerhaft die Sprache.
Der warme Kaffee lief meinen Hals angenehm herunter. Ich liebte dieses Gefühl, da mir überall warm wurde. Ich fühlte nicht mehr die Kälte, obwohl es draußen warm und Sommer war. Ich meine jedoch die Kälte, die sich in mir befand. Die mein Ich umschlung und nicht los ließ.
"Sie hat ihre Familie umgebracht, habe ich gehört...", hörte ich eine alte Frau sagen, die mit irgendwem redete, den ich nicht sah. Ich sah die Frau auch nicht, doch ich nahm ihr das Geschwatze nicht übel, da ich selbst bestimmt auch so reden würde, wenn ich älter und normaler wäre. Wenn mein Leben nicht so zerstreut wäre. "Sie ist eine Mörderin."
Ich stand nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich den sinnlosen Gerüchten um meine Person zuhören musste, auf und ging. Meine leere Tasse Kaffee ließ ich zurück, so tat ich es immer. So war es üblich. Und ich machte mir nichts mehr daraus, dass diese alte Frau glaubte, ich habe meine Familie getötet. Sie wusste ja die Wahrheit nicht. Sie hatte keine Ahnung.
Und um ehrlich zu sein, die hatte ich selber auch nicht. Mein Gedächtnis erinnerte sich eifach an nichts, als daran, dass ich plötzlich noch die Flammen sah, die meine Erinnerungen in Asche setzten, und im nächsten Moment draußen vor dem Haus stand. Ich hatte nie das Bedürfnis verspürt den Menschen zu finden, der meine Zukunft ruinierte, doch an manchen Tagen interessierte es mich brennender als sonst, wer sich sowas erlaubte.
Wer einem Kind die Familie nahm.
Wenn ich es herausfinden würde, würde mein Leben sich ändern? Nein.
Würde ich glücklicher sein? Nein, wahrscheinlich nicht.
Würde ich daraus Gewinn schöpfen? Nein, ich würde wahrscheinlich noch mehr Dinge hassen, als jetzt.Ich würde mich damit nur weiter zerstören. Und dann würden die schlechten Tage zu schlechten Wochen und die Wochen zu Monaten werden, und das wollte ich nicht. Mir reichten die Tage, die mich runterzogen.
Meine Jacke hing ich wieder an die Garderobe. Trotz Sommer, ja, trug ich eine Jacke. Sie gab mir das Gefühl nicht alleine zu sein. Ich weiß nicht warum. Sie tat es einfach. Ich fühlte mich nicht ganz so bloßgestellt.
"Schon zurück?", fragte mich eine der Betreuerinnen, Grace, als ich die Treppe zu meinem Zimmer rauf laufen wollte. Ihre roten Haaren stachen überall heraus, wo sie sich aufhielt. Doch ihr nettes Aussehen konnte täuschen.
"Ja", antwortete ich nur knapp und sah ihr für einige Sekunden in die dunklen Augen, bevor ich weitere Stufen hinauf ging.
"Komm zum Essen gleich bitte runter!", rief sie mir nach, als wüsste ich nicht, wann es Essen gäbe.
Das Ding war eigentlich, dass ich nicht gerne aß. Ich aß, wenn ich musste und keine Wahl hatte. Ich verspürte keinen Hunger und keinen Durst. Alles war mir gleichgültig.
"Ist okay", antwortete ich nur noch leise für mich, verkroch mich in meinem Zimmer und setzte mich auf den Boden.
Ich weiß nicht, ich saß oft auf dem Boden. Irgendwie mochte ich ihn lieber als das alte Bett. Meine Gedanken schweiften nach und nach wieder zu dem Brand, nachdem ich für eine Weile auf den Zeitungsartikel starrte, den ich einst an meinen Spiegel hing. Er ist vor 7 Jahren in der Zeitung erschienen.
Mit dem Titel: 'Hausbrand Familie Wales - Eltern tot, das Kind überlebte'
Ein weiterer Artikel klebte darunter. Ich hing ihn etwas später auf. Er erschien ein halbes Jahr nach dem ersten.
Titel: 'Kind zündet Feuer im eigenen Familienhaus - der Fall der Familie Wales'
Und nichts davon stimmte. In den Artikeln standen nichts als Lügen. Falsche Behauptungen. Falsche Aussagen.
"Kind zündet Feuer. Bringt ihre Familie um. 10 Jahre alt. Einzig Überlebende. Riesige Flammen...", wiederhole ich vereinzelt einige Schlagwörter, "Mysterium, der Fall der Familie Wales. Kein Überbleibsel der Erbstücke..."
Meine Augen verharrten eine weitere Zeitspanne in meinem Spiegelbild. Ich schämte mich, mich anzusehen, doch tat es trotzdem hin und wieder. Meine grünen Augen längst nicht mehr so voller Farbe und meine Haare in derselben Farbe wie die Schatten unter meinen Augen.
Ich schloss meine Augen. Atmete. Wiederholte Worte wie: "Feuer, Haus brennt nieder, Eltern sterben...Kind überlebte...doch das Kind befand sich im obersten Stockwerk und hatte keine Gelegenheit irgendwie zu fliehen...wie also kommt das Kind aus dem brennenden Haus.."
Und als ich meine Augen erneut aufschlug erschrak ich so sehr, dass ich mich voller Schock umdrehte und die Gestalt, die ich im Spiegel hinter mir erblickte, direkt vor meiner Nase stehen hatte.
"Ein ungelöstes Rätsel, was?", sagte seine Stimme bitterlich und die stechendgrünen Augen sahen in meine.
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Pact with the devil | Andre [COMPLETED]
FanfictionEr ist der Teufel, sie das einsame Mädchen. Er sucht sie auf, sie klebt an ihrer Vergangenheit. Er macht mit ihr einen Deal, sie ahnt nicht, dass dieser sie in ein neues Leben reißt. Doch selbst der Pakt mit dem Teufel hält manchmal nicht das ein, w...