Kapitel 19

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Ich habe Jan seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Er scheint wie vom Erdboden verschluckt und der Gedanke breitet sich in mir aus, dass er vielleicht sogar entlassen wurde.
Ich hoffe das zwar nicht, doch verhindern könnte ich es sowieso nicht.

Mit meiner grauen Jogginghose um den Hüften, einem ebenfalls grauen Top oben rum, die Haare bis über meine Brust fallend und meine grünen Augen müde, laufe ich den Gang der dritten Station entlang. Es ist hier leer. Generell ist es immer leer auf diesem Gang. Ich habe noch nie mitbekommen, dass mir hier jemand begegnet ist.

Nicht ein mal in den paar Monaten, seitdem ich hier bin.

Meine Augen gleiten zu der Fensterfront, an der ich vorbei laufe. Draußen regnet es, es schüttet aus Eimern, um genau zu sein. Gewitterwolken ziehen auf, lassen mich mit einer Gänsehaut zurück.
Ich hasste Gewitter, bis ich es lieben lernte. Die Tatsache, dass an einem Gewittertag, dazu noch mein Geburtstag, einige Glühbirnen direkt über meinem Kopf zersprangen, ist ein wohl ausschlaggebender Faktor, der zu meinem Hass beitrug.

Aber jetzt, wo ich nach draußen sehe und meine Hände in einander falte, scheint alles okay zu sein. Ich sehe den dunklen Wolken zu, wie sie über den Himmel ziehen und Blitze stürmen lassen. Wie die Bäume auf dem Gelände hin und her schwanken. Das Gelände draußen ist nicht besonders groß. Blätter wehen über den Boden und durch die Luft.
Der Regen trommelt gegen die Fenster, läuft die Scheiben runter. Damals dachte ich daran, dass die vielen Regentropfen ein Wettrennen machen. Jetzt ist es für mich bloß noch eine alberne Vorstellung, die meine Lippen nach oben wandern lässt.

Andre und ich spielten damals oft dieses eine Spiel. Dass wir so taten, als gehöre ein Tropfen uns, und wir setzten auf unseren Tropfen als Gewinner des Wettrennen.

Und schon verschwindet mein Lachen bei dem Gedanken an jemanden, der wahrscheinlich tot ist. Ich könnte mir sonst keinen Weg erdenken, wie er noch Leben könnte. Er sagte mir damals klar und deutlich, dass er sterben würde, wie sein Vorgänger, wenn er keinen Ausgleich erschaffe. Und er erschuf keinen Ausgleich, da seine eigenen Worte ihm einem Strich durch die Rechnung machten.

Ich lasse meine Finger noch einige Runden über die Fensterbank trommeln, bis ich meine Hand zurück in die Tasche meiner Hose stecke. Die Kälte sitzt einem fast schon in den Knochen, obwohl es hier drinnen warm ist, da die Heizungen überall so weit aufgedreht sind, wie es nur möglich ist. Der Grund, wieso ich keinen Pullover trage. Ich würde sonst schwitzen.

Und ich denke, dass das auch der Grund ist, wieso Jan ein Top trug. So in Gedanken, wie ich war, habe ich die Wärme nicht einmal mehr wahrgenommen.

Ein leichtes Grinsen schleicht sich auf meine trockenen Lippen, lässt mich jedoch sofort wieder in meiner Einsamkeit zurück. Ich möchte nicht lächeln, ich hab keinen Grund, und doch hasse ich es. Ich hasse es, das Gefühl, mich immer wieder zurückhalten zu müssen. Dass lachen verboten und etwas zu lieben eine Schande ist. So kommt es mir vor.

Als Jan mich zum Lachen brachte, da fühlte es sich jedoch nicht wie eine Schande oder wie ein Verbot an. Es fühlte sich ehrlich an. Und als mein Puls stieg und mein Herz raste, fühlte ich mich seit langem wieder am Leben. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein Wrack, für wenige Sekunden, Minuten. Als würde er all das Böse aus meinen Körper saugen.

Kopfschüttelnd gehe ich zum Treppenhaus, lasse die Gedanken an ihn verschwinden. Er wird längst an einem neuen Ort sein. Vielleicht war die Sitzung vor 4 Tagen seine letzte, bevor er entlassen werden würde. Ich würde es ihm gönnen, er schien ziemlich nett und gutherzig zu sein.

Ich hätte nur noch gern gewusst, woher er seine Narben hat. Das hätte mich wirklich interessiert.

Hallo, Susie, grüße ich das nette Mädchen, das mir im Treppenhaus entgegen kommt, mit einem aufgesetzten Lächeln.

Pact with the devil | Andre [COMPLETED]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt