Kapitel 33

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Der Mann schrie laut auf. Schock, Schreck, Schmerz, all das war in diesem einem Schrei zu erkennen. Er konnte aber nur Bruchteile von Sekunden gelitten haben, denn danach war er sofort tot.

Er fiel nur noch wie ein schwerer Mehlsack nach hinten um und blieb regungslos liegen. Dabei muss man sagen, dass er wie ein äußerst zerfleischter Mehlsack aussah. Der Schrot hatte ihn ordentlich zerfetzt. Sein linker Arm fehlte, lag als blutiger Fleischklumpen neben ihm. Aus dem Loch, wo der Arm eigentlich hätte sein sollen, schoss eine Menge Blut. Färbte den so weißen Schnee in einem dreckigen dunkelrot.
Viele Menschen glauben, Blut sei hellrot oder habe die Farbe von Rosen, aber das hier war wirklich nicht schön!
Den Unterleib hatte es komplett zerfetzt. Einen Mann, der er vor zwei Sekunden noch gewesen war, hätte man nicht mehr erkannt.

Nach diesen drei Schocksekunden realisierte Tess, was gerade geschehen war. Sie hatte einen Mann erschossen.
Sie hatte vor allen Augen einen echten, lebenden, gesunden Mann erschossen!!
Die Schrotflinte, an der sich ihre Finger wie von allein festklammerten, schien von Sekunde zu Sekunde schwerer zu werden.
Ihr kam jetzt alles wie in Zeitlupe vor, als sie sich umdrehte, in geschockte Gesichter starrte und die Schreie hörte.
Die zwei ihr Fremden wichen sofort vor ihr zurück.
„Bleib weg!!", eine panische Frauenstimme.
Lautes Hundegebell von Hakon.
Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, zog der junge Mann, der vorhin noch so ruhig geschlafen hatte, jetzt auch noch ein Messer hervor.
„Leg das sofort hin! Ich schieße wieder!" Tess Stimme klang heiser und eine Oktave zu hoch.
„Komm jetzt, die schießt wirklich!", flüsterte die Frau und zog den Anderen am Ärmel. Dieser starrte Tess für ein paar Sekunden direkt in die Augen. Seine waren zu Schlitzen zusammen gepresst und voller Hass. Etwas Gefährliches lag in der Luft.
„Wir finden dich!! So kommst du nicht davon! Das gibt noch Rache...!", damit drehte er sich ruckartig um und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon. Seine Partnerin folgte ihm schnell.

Virgie wirkte immer noch wie versteinert und war gerade nicht ansprechbar. Deshalb wandte sich Tess gleich an Daven.
„Wir müssen weiter! Jetzt hier zu bleiben wäre fatal! Bereit?"
„Nein."
„Dann nichts wie los!"
Natürlich hatte Tess auch ein schlechtes Gewissen, die Leiche einfach so liegen zu lassen. Immerhin war der Mann wegen ihr gestorben... Aber ihnen fehlte es auch einfach an Allem, um ihn ordentlich zu begraben: Sie hatten keine Schaufeln, um im Schnee ein Loch zu graben, sie waren alle völlig ausgelaugt und fühlten sich wie einmal durch den Fleischwolf gedreht und wieder ausgespuckt. Außerdem mussten sie hier weg.

"Kommt!"

Sie liefen den Berg auf der Seite herunter, auf der Tess vor ein paar Minuten noch zu ihnen hochgekommen war.
Allerdings waren nach diesem Ereignis alle etwas durcheinander und so stolperten und rutschten sie eher auf dem Po herunter als zu laufen. So bemerkte Tess auch nicht, dass sie schräg kamen und nicht mehr in die richtige Richtung liefen/rutschten. Sie stolperten etwas ziellos herum und sahen durch den Schnee auch nicht besonders viel, sodass auf einmal...

"Aaaaahh!" Ein Schrei, der aus dem Boden zu kommen schien.

Daven war verschwunden. Gerade lief er noch neben ihnen, dann war er einfach weg.

"Daven?! Hey, wo bist du? Das ist nicht lustig!!"
Die Antwort kam gedämpft.
"Ich bin hier unten, irgendwo."

Ah ja. Jetzt wussten sie natürlich bestens Bescheid. Als Virgie Tess fragend ansah, antwortete diese nur: "Na, er ist da unten, irgendwo."

"Da müsste doch ein Loch im Boden sein. Da bin ich durch den Schnee gefalle..Hey! Das ist ja ein Flugzeug, krass!", jetzt klang er fast begeistert.
Tess schüttelte nur den Kopf und sah sich nach Löchern im Boden um.

"Hier ist etwaaaaaaa!!"

Damit war Virgie auch weg. Jetzt stand Tess mit Hakon allein im Schnee. Schnell eilte sie zu der Stelle, an der gerade noch ihre Schwester gestanden hatte. Wirklich, da war jetzt ein Loch.
Tief ging es nicht hinunter, vielleicht drei Meter. Von unten drangen Stimmen zu ihr hoch.

"Okay, ich komm dann auch mal runter. Hakon?"
Der sprang schon seiner Virgie hinterher.
"Hey, lasst mich nicht allein hier oben!", damit rutschte sie auch mit dem Schnee hinab.

Es war dämmrig hier unten, ganz klar, aber auch nicht mehr so kalt. Sie befanden sich wirklich im vorderen Teil eines abgestürzten und eingeschneiten Flugzeugs. Vor Tess befand sich das Cockpit für die Piloten, dass bereits von Daven untersucht wurde. Neben und hinter ihr waren die Sitzreihen für die Passagiere. Und dann endete alles in einer Schneewand.

"Das ist nur ein Teil des Fliegers, wahrscheinlich ist er beim Absturz in zwei Hälften gerissen worden.", erklärte Daven, der voll in seinem Element zu sein schien.

"Ah." Tess fand das nicht so begeisternd, sie war nur froh, das es hier nicht so zog.

"Wir können doch hier übernachten, oder? Es ist nicht so kalt und von draußen sieht uns auch keiner. Bitte, ich kann nicht mehr!", jammerte Virgie.
Keiner hatte etwas dagegen, jedenfalls Tess nicht und Daven hörte wahrscheinlich nicht mal richtig zu.

Also blieben sie, setzten und legten sich auf die leicht schrägen Sitze und genossen es, mal nicht vor jemandem oder etwas davon zulaufen.
Die Sitze waren zwar kalt, aber trocken und bequem. Insgesamt hatten sie Glück gehabt, das Wrack war soweit noch in ganz gutem Zustand. Die Fenster waren alle noch intakt, zwar presste der Schnee von außen dagegen, aber sie hielten. Auch lagen keine menschlichen Körperteile der Passagiere herum, worüber alle extrem erleichtert waren. Aber eigenartig war es trotzdem...

"Ach Virgie, ich hab hier ja noch etwas für dich!", meinte Tess plötzlich und zog sie aus ihrer Tasche einen kleinen grünen und runden Gegenstand.
"Ein Flummi!! Dankeschön Schwesterchen, bist die Beste!"
"Weiß ich doch", lachte Tess und gab ihr den Flummi.

Dann wurde es ruhig im Wrack.
Ruhig und dunkel. Alle außer Virgie schliefen, oder versuchten es zumindest.
Aber Virgie konnte nach diesem Tag nicht so tun als wäre nichts passiert und lag noch wach. In der Hand hielt sie ihr neues Spielzeug. Er war kühl und glatt, aber so etwas war ja normal für einen Flummi.

Nicht normal war es allerdings, als er auf einmal zu leuchten begann. Virgie hatte schon vorher bemerkt, dass er sich erwärmt hatte. Nun leuchtete er neongrün, wie eine Taschenlampe. Je wärmer er wurde, desto heller leuchtete er.

"Was...?"

In The EndWo Geschichten leben. Entdecke jetzt