Realer Albtraum

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Tropfen perlten langsam an der Autoscheibe ab, vermischten sich und trafen erneut auf andere. Dieses Spiel beobachtete ich jetzt schon seit einigen Stunden. Jene Stunden, die wir durch die triste Landschaft fuhren, und das Wetter seine schönste Seite in den verschiedensten Graunuancen zeigte. Mittlerweile hatte es zumindest aufgehört zu regnen und das war hier in England schließlich schon fast wie Sonnenschein. Schon längst hatten wir die einzelnen kleinen Dörfer durchquert und auch die laute Innenstadt Londons und ihr Verkehr lagen wie in einer anderen Welt hinter mir. Über die holprige Straße schlängelte sich unser Wagen weiter und die doch recht schöne Landschaft zog nur so an mir vorbei.

Ich konnte mich jedoch nicht an ihr erfreuen und so nahm ich die saftigen, grünen Wiesen und das Meer im Hintergrund gar nicht wahr. Braune Strähnen fielen in mein blasses Gesicht und verbargen meine eigentliche Traurigkeit. Tief in Gedanken versunken, schaute ich mit leeren Augen aus dem Fenster. Mir war schon schlecht, seitdem wir losgefahren waren. Nicht die Straßen voller Schlaglöcher waren schuld, nein, dunkle Gedanken quälten mich.

Noch vor zwei Wochen war alles gut gewesen, aber dann...

Ich versuchte ein Schluchzten zu unterdrücken, doch dazu fehlte mir die Kraft.

Meine Gedanken wurden von der sanften Stimme meiner Tante durchbrochen.

„Alles okay mein Schatz?"

Schnell wischte ich mir die Tränen aus den Augen und entfloh dieser schrecklichen Erinnerung. Ich musste dieses furchtbare Erlebnis einfach vergessen! Etwas anderes blieb mir nicht übrig. Das ausgebrannte, in Trümmern liegende Haus und den ganzen Schutt. Das Feuer und die Explosion. Und meine Eltern, die dort drinnen gewesen waren.....

„Es ist alles einfach ein bisschen viel zurzeit."

Das war mit Abstand die Untertreibung des Jahrhunderts, aber ich konnte es halt wirklich nicht ändern.

Meine Tante nickte verständnisvoll und ihre Haare fielen in ihr Gesicht. Sie hatten den gleichen warmen, braunen Farbton, wie die meiner Mutter. „Deswegen habe ich einen Ort für dich gefunden, wo du neu anfangen kannst." Ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, zu tief saß der Schmerz und die Erinnerungen. Mein Blick wanderte zu den weiten Wiesen im Hintergrund. Meine Tante Susan hatte Recht, ich musste neu anfangen. Ich zwang mich, die Landschaft genauer zu betrachten. Eigentlich war es doch ganz nett hier.

Auf einmal entdeckte ich auf einer Anhöhe, weit vor mir, ein altes Herrenhaus. Interessiert kniff ich meine Augen zusammen, um mehr Details erkennen zu können. Grob erkannte ich vier Türme an den Seiten des Hauses und daneben noch ein kleineres Gebäude.

„Weißt du, was das für ein Haus dahinten ist?", fragte ich nach vorne.

Tante Susan lächelte mich geheimnisvoll durch den Rückspiegel an. „Das Nina, wird deine neue Schule sein. Die Fort Element Akademie."

Das große gusseiserne Tor schwang elegant auf und gab den Blick auf das große, mit Efeu bewachsene Herrenhaus frei. Der weiße Kies knirschte unter den Reifen als wir weiterfuhren. Beeindruckt betrachtete ich das alte Gebäude mit den vier eckigen Türmen, je zwei vorne und hinten am Gebäude. Umgeben war das Anwesen von weitläufigen Wiesen, auf denen bei diesem Wetter Teenager in meinem Alter saßen und sich die Zeit vertrieben.

Ich entdeckte zwischen zwei Mädchen ein Schachbrett. Das Spiel hatte mich von klein auf fasziniert, obwohl ich keine gute Spielerin war. Mein Vater hatte mir Schachspielen beigebracht...sanft glitten die Figuren über das Feld und wechselten rasch ihre Plätze. Verwirrt kniff ich die Augen zusammen, warum bewegten sich die Figuren von alleine? Schnell schaute ich nochmal hin, doch die Figuren rührten sich nicht mehr. Sicher war meine angeschlagene Psyche dafür verantwortlich.

Das Auto hielt an und ich war froh, endlich aussteigen zu können.

Neugierig betrachtete ich das Gebäude, während meine Tante die kleine Reisetasche aus dem Auto holte und neben mir abstellte.

„Es wird bestimmt schön werden", beruhigte sie mich.

Ich blieb dennoch skeptisch, sagte es ihr aber nicht. Sie war einfach zu nett in den letzten Wochen gewesen und so nickte ich einfach nur.

Mein ganzes Leben war zerstört, was sollte denn jetzt noch kommen?

Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende geführt, öffnete sich einer der beiden mächtigen Eingangsflügel aus dunklem Eichenholz und zwei Personen traten heraus.

Die Frau, Mitte vierzig, war adrett gekleidet und trug ihre Haare zu einem strengen Dutt gebunden. Ihre Miene war undurchdringlich und ihr spitzes Kinn ließ sie streng und bestimmt wirken. Sie war das genaue Gegenteil von dem Mann an ihrer Seite. Er trug eine zerschlissene Jeans und über einem schlichten Designerhemd eine moderne Lederjacke. Seine braunen Haare waren zerzaust und ungekämmt, so als hätte er bis eben noch geschlafen. Um seine Augen hatten sich unzählige Lachfalten gebildet und er war mir sofort sympathisch.

Zügigen Schrittes erreichten die beiden uns und blieben stehen.

„Hallo du musst Nina sein. Herzlich Willkommen an der Fort Element Akademie" , begrüßte uns der Mann höflich und die Frau fuhr fort „Mein Name ist Lady Bentley und ich leite zusammen mit meinem jüngeren Bruder Sir Bentley die Akademie."

Ihre Stimme passte gar nicht zu ihrem autoritären Aussehen. Sie war erstaunlich warmherzig. Lady Bentley schüttelte mir die Hand ergänzte: „Du wirst dich hier sicherlich bald wie zuhause fühlen."

Ihr Lächeln war freundlich und aufrichtig und ich antwortete: „Wie Zuhause bestimmt nicht, aber es wird sicherlich gut werden." Ich merkte sofort wie unhöflich das gerade klang. Etwas hilflos ergänzte ich noch: „Ist ja ein schöner Ort hier."

„Wir werden alles tun, damit du dich hier wohlfühlst", befreite Sir Bentley mich aus der unangenehmen Situation und fuhr fort: „Wenn Sie wollen, werde ich sie zuerst über das Anwesen führen, bevor sie sich verabschieden müssen."

Ich schaute meine Tante fragend an, doch sie antwortete entschuldigend: „Vielen Dank für ihr Angebot, doch meine Familie wartet schon und ich möchte vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Ich will mich nicht unnötig in ihr neues Leben einmischen, es wäre glaube ich leichter für sie." Sie wandte sich an mich „Nina, wenn du willst, bleibe ich selbstverständlich, das weißt du."

Meine Tante hatte Recht, hier begann ein neues Leben für mich und das musste ich alleine beginnen. „Nein, nein, schon in Ordnung", sagte ich bestimmt. Sie sollten nicht merken, wie schlecht ich mich fühlte.

„Nehmen sie sich so viel Zeit wie Sie brauchen", sagte Sir Bentley und zog sich mit seiner Schwester in den Hintergrund zurück.

Meine Tante umarmte mich fest und flüsterte mir in Ohr „Du wirst merken, dass das Leben noch sehr viel mehr für dich bereit hält. Es ist nicht zu Ende, sondern fängt grade erst an."

Sie lächelte mich an, doch es war eher ein trauriges Lächeln. Dann ließ sie mich wieder los und sagte mit brüchiger Stimme: „Na dann wollen wir mal." Sie versuchte fröhlich zu klingen, aber es gelang ihr nicht wirklich. Sanft strich sie mir nochmal durch meine gleichen langen braunen Haare, bevor sie sich umdrehte und zum Auto zurückging. Ich bemerkte noch, wie sie leise schluchzte. Ich schluckte heftig, damit ich nicht auch anfing zu weinen. Schnell drehte ich mich zu Sir und Lady Bentley um und blickte in Gedanken zum Anwesen. Meine Tante war so nett gewesen und sie hatte ihre Schwester verloren...

„Wenn du mir dann bitte folgen würdest", riss mich Lady Bentley aus meinen Gedanken. „Wir behalten uns vor, deine Tasche nach oben bringen zu lassen." „Du kannst sie also stehen lassen", ergänzte Sir Bentley. Ich nickte und Lady Bentley übernahm wieder „Ich glaube, du würdest dich lieber etwas ausruhen, das Anwesen kann dir sicherlich später jemand zeigen. Mein Bruder und ich werden dich nur kurz einführen, bevor er dich zu deinem Zimmer bringt." Er zwinkerte mir zu „Fangen wir mit der Eingangshalle an, die ist am beeindruckensten..."

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