Regentag

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Fast drei Monate lebte ich schon in der Akademie und langsam fühlte es sich wirklich an als wäre es mein neues Zuhause geworden. Meine Freunde waren nun wie eine Familie für mich und ich war sehr froh, dass sie mich so herzlich in ihren Kreis aufgenommen hatten.

Ich konnte jetzt schon ganz gut mit Wasser umgehen und mein Einzelunterricht und im Yoga war ich nun auch schon seit 2 Wochenim Gruppenkurs. Im Wasserunterricht lernte ich mit Abstand am schnellsten. Ich war ständig darauf aus so viel wie möglich zu lernen.

Mir ging es auch besser und ich fühlte mich nicht mehr so oft traurig. Nur noch selten riss ich Cara mit meinen Schreien nachts aus dem Schlaf und wenn doch nahm sie mich in den Arm und erzählte mir von sich etwas. Und falls es mir trotzdem mal nicht so gut ging, lief ich einfach ans Meer und das Wasser half mir, mich wieder zu beruhigen. Oder meine Freunde heiterten mich wieder auf. Es war einfach verdammt schön hier.

Ich seufzte und hörte auf, meine Gedanken schweifen zu lassen. Ich musste mich auf so ein blödes Buch konzentrieren.

Es regnete schon seit Stunden, während ich meinen Gedanken nachhing und so tat, als läse ich das Buch. Die Bücherei war ein toller Ort, um zu lernen, oder sich in seinen Gedanken zu verlieren. Die hohen Regale und gemütlichen Sitzecken schufen die Atmosphäre eines großen Wohnzimmers. Man musste sich einfach hier Wohlfühlen.

Ich saß in einer der vielen ausgepolsterten Fensternischen und starrte nach draußen in das trübe Wetter. Ich seufzte nochmal. Lang und tief. Mir war langweilig. An den Wochenenden waren die meisten Schüler Zuhause bei ihren Familien, doch ich konnte nirgendwo hin. Ich saß hier fest. Gelangweilt und deprimiert.

Bekümmert nahm ich meine Teetasse und einen Schluck des süßen Früchtepunschs. Mit verzogenem Gesicht spuckte ich ihn schnell wieder in die Tasse. Der war viel zu heiß! Die Zunge hatte ich mir trotzdem verbrannt.

Mist!

Schon breitete sich ein taubes Gefühl auf meiner Zunge aus und meine Stimmung kippte. Verärgert stellte ich die Tasse zurück, stieß mit meinem Ellbogen aber meine Unterlage, ein Buch, zur Seite und es fiel dumpf zu Boden. Ich schaute verzweifelt zur Decke, aber das nützte nichts. Schlecht gelaunt platzierte ich die Tasse auf dem Polster neben mir, zumindest kippte sie nicht um.

Vorsichtig angelte ich nach dem Lehrbuch „Wassermagie in ihrer Anwendung" und lehnte mich nach vorne. Zu viel, denn die Tasse schwankte gefährlich und bevor ich nach ihr fassen konnte, kippte sie um. Das süße Getränk ergoss sich über das Polster und durchtränke das Kissen. Sofort schnappte ich mir die Tasse, doch das machte es nur noch schlimmer und der Punsch schwappte mit Schwung auf das Buch.

Augenblicklich quollen die Seiten auf mir war klar, dass es verloren war. Gemocht hatte ich die Pflichtlektüre eh nicht. Verzweifelt tupfte ich mit meinem Kuschelpullover über das Cover und das Polster, aber das brachte gar nichts. Resigniert stand ich auf und stellte die Tasse auf den Tisch gegenüber der Nische. Das Buch legte ich daneben, setzte mich auf den Stuhl und schaute mir an, wie das Wasser aus den Seiten tropfte. Okay, das war vielleicht etwas übertrieben, aber hin war es auf alle Fälle.

„Was hast du denn gemacht?" fragte auf einmal jemand hinter mir.

Erschrocken fuhr ich rum und blickte auf Fly, der mit einem belustigten Lächeln auf mich runter sah. Er hatte einen Stapel Bücher auf dem Arm und legte den Kopf überlegend schief, als er das Buch genauer betrachtete.

„Was wohl?" fuhr ich ihn gereizt an. „Und überhaupt, was ist daran so komisch?"

Er seufzte: „Ich glaube, du kannst ein bisschen Hilfe gebrauchen"

Er legte kurzentschlossen seine Bücher ab und nahm den durchtränkten Papierhaufen in seine Hände. Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass es tatsächlich nur noch ein Haufen matschiges Papier war. Fly schien das nicht zu stören und hielt den Haufen vor sich. Kurz konzentrierte er sich und eine leichte Brise kam auf...

Innerhalb weniger Minuten war das Papier wieder trocken. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so angeschnauzt hatte und murmelte schnell: „Danke."

Fly lächelte. Irgendwie wirkte es sympathisch und charmant. Ich blinzelte, warum ging ich ihm eigentlich aus dem Weg, bei unserer ersten Begegnung war er auch ganz nett gewesen.

„Habe ich doch gerne gemacht" sagte er und wandte sich wieder seinem Bücherstapel zu. Ich biss mir auf die Lippe. Ach was soll's!

„Hey..." Fly drehte sich wieder um. „...was liest du denn so?" fragte ich zögernd und hätte mich Ohrfeigen können. Auf jedem seiner Bücher stand Fett und wunderbar lesbar „Luft".

„Lektüre über Luft...", erklärte er überflüssigerweise. „...Ich bin an den Wochenenden oft hier und nutze Zeit, um mich zu verbessern"

„Ah." Mehr fiel mir nicht ein. Echt dämlich – ihn erst aufgehalten und jetzt zu doof, um zu reden. Fly redete weiter: „Ich haben dich hier letztes Wochenende auch gesehen. Warum fährst du nicht nach Hause?"

Weil ich keins mehr habe – hätte ich fast gesagt, doch stattdessen fragte ich: „Warum fährst du nicht nach Hause?"

Fly musterte mich einen Moment intensiv, zuckte dann aber nur mit den Schultern „Weil meine Eltern viel unterwegs sind und wenig Zeit für mich haben." Er grinste

„Ich finde schon noch raus, was dein Geheimnis ist." Unwohl schaute ich auf den Boden, doch Fly lachte nur. „Komm mit, wir machen eine Pause." Er packte meine Hand und zog mich hoch. Er schleifte mich durch die Bücherei, die Gänge, die Wendeltreppe und Doppeltreppe runter, bis wir vor der Tür zur Küche standen. Von außen betrachtet war es die Tür zum hinteren rechten Turm der Schule im Erdgeschoss. Fly klopfte leise an und öffnete die Tür. Schnell schlüpften wir beide rein und schlossen sie wieder.

An einem der vielen Herde stand eine ältere Frau und rührte in einem Topf.

„Hallo ihr beiden. Ihr kommt genau richtig. Ich habe Kakao und Waffeln mit Kirschen gemacht."

Sie schöpfte mit einer Kelle zwei Tassen voll und wir beide nahmen sie entgegen. Sie ging voran und wir folgten ihr durch eine kleinere Türe in eine Art Wohnzimmer. Alles war verwinkelt und ich sah auf den zweiten Blick, dass der kleine Raum alles einer Wohnung hatte: Wohnzimmer, Essbereich, ein Schlafzimmer, welches ich durch eine offene Türe erkennen konnte und eine geschlossene Türe, hinter der ich ein Badezimmer vermutete.

Es war Urgemütlich. „Setzt euch doch", sagte sie freundlich und wir nahmen in der Sitzecke Platz. Es war noch für vier weitere Personen gedeckt und ich fragte mich, wer noch kam.

Wenige Minuten später aß ich die besten Waffeln, die ich je gegessen hatte.

„Was ist das hier?" fragte ich die alte Frau. Sie saß neben uns und trank einen Kräutertee.

„Am Wochenende bin ich der Ort, wo die Kinder hinkommen können, die nie nach Hause fahren. Für sie bin ich ihr Zuhause." Ihr Lächeln war sanft und ich fühlte mich sofort wohl.

„Fly, sagst du bitte den anderen Bescheid, dass sie zum Essen kommen sollen"

„Ja klar." Sofort stand er auf und wir blieben alleine zurück.

„Weiß du, ich habe Fly gebeten, dich herzubringen."

„Das ist aber nett", sagte ich etwas hilflos.

„Du bist immer willkommen und ich bin für viele wie eine Oma, die sich ihre Sorgen anhört."

Ich nickte.

„Wenn du etwas auf dem Herzen hast, höre ich dir gerne zu."

Ich nickte erneut. „So und jetzt hole ich die Waffeln. Die anderen sind jeden Moment da."

Sie stand auf und ging zurück in die Küche. Kurz vor der Tür blieb sie nochmal stehen und drehte sich um.„Ach und diese Treffen sind ein kleines Geheimnis unter uns Wochenendleuten." Sie zwinkerte mir zu und verließ das Wohnzimmer.

Wenig später lernte ich die anderen kennen und wir spielten den restlichen Nachmittag Karten und unterhielten uns über alles Mögliche.

Von da an freute ich mich auf die Wochenenden.

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