Allmählich löste ich meine Lippen von James' und ich schien langsam aber sicher zurück in die Realität zu gleiten. Meine Gedanken überschlugen sich. James Potter. Sein Name war James Potter und ich, Lily Evans, hatte ihn gerade geküsst. Moment. Stopp. Zurück auf Anfang. Erstens: Er hatte mich geküsst, nicht ich ihn... Oder? Noch während sich meine Gedanken wie die Ringelwürmer wanden, die in schaurigen Gläsern aneinander gereiht in Professor Slughorns Klassenzimmer vorzufinden waren, blickte ich panisch nach hinten, um mich zu vergewissern, dass wir allein waren. Merlin ich hatte mir ja gedacht, dass jemand wie Potter gut küssen konnte, aber so...? Hinter der Wegbiegung schien das Gekicher und Getuschel lauter zu werden. Meine Augen weiteten sich in Panik und mein Blick fiel auf James. Schief grinsend, den Arm lässig um meine Taille gelegt stand er da mit einem goldenen Glühen in den braunen Augen, das mich an den satt goldfarbenen Zaubertrank Felix Felicis erinnerte. Ich war schon drauf und dran seine Hand wegzuschieben, als ich Mary als erste um die Ecke biegen sah.
Ihr Blick fiel sofort auf unsere ineinander verschlungenen Hände und augenblicklich schien sich ihr Gemüt zu verfinstern. Ich hatte gerade zum Sprechen angesetzt, um zu fragen, was los war, als ich die Ursache für Marys Launenumschwung sogleich bemerkte. Keine fünf Meter hinter ihr kamen Marlene und Sirius, Arm in Arm, um die Wegbiegung geschlendert. Sirius Grinsen hätte nicht selbstgefälliger sein können. Arme Mary. Ich löste mich von James und hakte mich bei ihr unter. Die Stimme in meinem Hinterkopf rief mir leise zu, dass ich zurück zu James, ihn weiterküssen und in seinen Armen sein wollte, doch mein gesunder Mädchenverstand siegte und ich wusste, dass Mary mich jetzt brauchte. Als ich ihr, in dem spärlichen Licht, das eine Straßenlaterne am Wegrand spendete, in die Augen sah, bemerkte ich zu meiner eigenen Überraschung, dass Tränen darin glitzerten.
„Lumos", flüsterte ich und an der Spitze meines Zauberstabes flammte ein Licht auf, gerade hell genug um den Weg ausreichend zu erleuchten.
„Ich glaube, wir sollten jetzt besser zurück zum Schloss gehen", sagte ich schweren Herzens an James gewandt.
Er sah mich fassungslos an.
„Aber du kannst doch nicht...Jetzt..."
Er sah Hilfe suchend zu Sirius, doch der schien mehr damit beschäftigt zu sein, Marlene zu betrachten, als James' Worte für voll zu nehmen.
Ich lächelte James entschuldigend zu und hauchte ihm, zur Überraschung aller Anwesenden, einen Kuss auf die Lippen.
„Astronomieturm, heute Nacht, Punkte zwölf", hauchte ich ihm zu und ein verschmitztes Grinsen huschte über sein Gesicht.
„Alright, Evans."
Er zwinkerte mir zu, setzte eine wenig überzeugende Trauermiene auf und seufzte theatralisch. Merlin, Potter war wirklich ein miserabler Schauspieler.
„Dabei hatten wir euch heute wirkliches etwas Besonderes zeigen wollen. Moony ist schon dort."
Meine Neugierde war geweckt, doch ich zwang mich meine Rolle als Freundin zu erfüllen, da ich wusste, dass Mary für mich dasselbe getan hätte.
Marlene einen letzten Blick zuwerfend, die es partout ablehnte mich anzusehen, trat ich mit Mary den kurzen Rückweg an. Sie drückte dankbar meine Hand.
Als wir das Schulgelände betraten, schien alles genau so ruhig und verlassen, wie zuvor. Ich hatte schon fast erwartet, dass unser Verschwinden bemerkt worden war. Ich schob mir ziemlich schnell Paras, was sowas wie Regelbrüche und Schule anging.
Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Am Eichenportal angelangt, bemerkte ich ein Rascheln der Büsche zu meiner Linken und ich wollte blitzschnell meinen Zauberstab hervorziehen. Doch ich war zu langsam. Noch ehe sich meine Hand ganz um meinen Zauberstab schließen konnte, drückte sich eine große Hand auf meinen Mund und nahm mir die Fähigkeit zu sprechen. Mein Zauberstab, den ich in den Bund meines Rockes gesteckt hatte, rutschte ein Stück nach unten, doch blieb ansonsten dort wo er war. Ich betete, dass ich ihn nicht verlor. Ich atmete panisch durch die Nase.
„Wie ein gehetztes Tier", vernahm ich eine tiefe Stimme hinter mir. „Und so unschuldig, wie ein Reh."
„Ob sie wirklich noch so unschuldig ist? Was meinst du, Rosier?", schnarrte eine mir bekannte Stimme und ich nahm den Geruch von einem teuren Rasierwasser wahr, wie man es in der Winkelgasse kaum finden konnte. Mulciber. Also war es wohl Evan Rosier, der mir die Luft abschnürte und seine kalte Hand auf meinen Mund presste. Evan Rosier war ein großer, blonder Slytherin aus den oberen Klassen. Ich kannte ihn nur flüchtig vom Sehen auf den Korridoren. Soweit ich mich erinnern konnte, war er ein oder zwei Klassen unter mir, doch für sein Alter schon erstaunlich groß und breit gebaut.
„Und was ist mit der anderen?", sagte Avery, dessen Stimme ich sogleich erkannte, weil er ziemlich oft mit Severus abhing.
„Um die kümmere ich mich später", murmelte Mulciber und ich nahm einen grausig freudigen Unterton in seinen Worten wahr. Ich erinnerte mich an unser fünftes Jahr, als er Mary angegriffen hatte.
Mulcibers Worte weckten mich aus meiner Trance und ich begann wie wild um mich zu treten. Jemand drückte mir einen Zauberstab gegen den Hals und ein ängstliches Fiepen meinerseits drang hinter Rosiers Hand hervor.
„Evans", Mulciber leckte sich genüsslich über die Lippen.
Ich sah ihn angewidert an und realisierte erst in eben jenem Moment, wie viele es waren. Mindestens ein halbes Dutzend hatte sich vor dem Schlossportal postiert und nochmal drei von ihnen lauerten im Schatten hinter den Büschen. Selbst wenn ich an meinen Zauberstab gekommen wäre, hätten wir sie dennoch nicht besiegen können. Zwei gegen ein Dutzend Slytherin-Jungs?
„Nehmt ihnen die Zauberstäbe ab und bringt sie in die Kerker." Eine Hand riss an meinem Rock und machte sich meinen Zauberstab zu Eigen. Ich hielt die Luft an und mit einem Mal breitete sich panische Angst in mir aus. „James", dachte ich. „Komm und hilf mir." Doch es war nicht James, der kam. Es war auch nicht Sirius. Es war Snape.
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Du gefällst mir, wenn du so wütend bist, Evans!
FanfictionRumtreiberzeit. Eigentlich hätte Lily Evans' Abschlussjahr als Schulsprecherin glänzend beginnen können, wäre da nicht ein gewisser jemand mit zerstrubbeltem schwarzem Haar und haselnussbraunen Augen gewesen. Der Schulstress, die Rumtreiber und auch...