Rettung in letzter Sekunde?

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Snape? Ich zog die Brauen dicht zusammen, um seine schmale Gestalt in der Nacht ausmachen zu können. Als er in das Licht der Fackeln trat, die rechts und links das Eingangsportal zierten und von geflügelten Ebern gehalten wurden, bemerkte ich zu meiner Verwunderung, dass sein Gesichtsausdruck nicht hämisch oder spöttisch, sondern wutverzehrt war. Seine schwarzen Augen blickten ungeduldig durch das grünliche Dämmerlicht, wanderten über mein blasses, angsterfülltes Gesicht, mein dunkelrotes Haar.
„Lass' sie los", sagte er ruhig und deutete mit der Spitze seines Zauberstabes auf Rosier. Wie hatte er ihn so schnell ziehen können? Er wirkte beinahe grotesk, mit seiner schmächtigen Statur und dem dünnen Zauberholz in seiner Hand, im Gegensatz zu den Muskelprotzen Rosier und Avery.
„Snape, wo hast du dich rumgetrieben?", blaffte Mulciber.
Scheinbar hatte er Severus' Worte nicht gehört, was eigentlich unmöglich war, da er sich laut und klar ausgedrückt hatte, mit einer Stimme, so eiskalt, dass sich mir die Nackenhaare aufrichteten. Oder aber, er ignorierte sie bewusst. Ich tippte eher auf letzteres.
Ich witterte die Gefahr, wie ein Beutetier im Wald. Warum tat Snape das? Für mich ganz sicherlich nicht. Er hatte mich doch letztens erst beleidigt und sich offensichtlich auf die Seite seiner Kumpels geschlagen. Ob er sich den anderen gegenüber behaupten wollte? Träumte er davon, aufzusteigen in der lächerlichen Bande, voll mit Todesser-Söhnen und anderen schwarzmagisch interessierten Schülern?
Snapes Miene war undurchdringlich.
„Lass' sie los", wiederholte er, diesmal mit leiser und bedrohlicherer Stimme.
Rosier lockerte seinen Griff minimal. Ich atmete erleichtert auf, wagte zu hoffen. Er lugte unsicher hinter mir hervor, und sein Blick huschte zwischen Mulciber und Snape hin und her.
Jetzt hob auch Mulciber wieder seinen Zauberstab. Doch er richtete ihn nicht auf Snape, sondern auf Mary, die zitternd und mucksmäuschenstill von Avery in Schach gehalten wurde. Als sie seinen Zauberstab sah, weiteten sich ihre Augen in jäher Panik. Mulciber lachte. Er schritt auf Avery und Mary zu und vergrub seine Hand in ihrem dichten dunklen Haar. Mary zuckte zusammen und stumme Tränen rannen ihr über die geröteten Wangen. Snape beachtete ihn nicht und nahm auch keine Notiz von Mary. Typisch. Er war nur auf seine eigenen Interessen bedacht.
Er ging nun zu Rosier, der sogleich seltsamer Weise zurückwich. Was für ein Weichei. Körperlich war er Severus um Längen überlegen. Ich wand mich aus seinem laschen Griff heraus und stolperte zu Severus. Der warf mir einen besorgten Blick zu, und wollte mich halten, doch ich scherte mich nicht um ihn. Stattdessen stürzte ich auf Mary zu. Mulcibers Schockzauber ging in jenem Moment los, als ich „Protego „ rief. Der rote Lichtstrahl prallte an meinem magischen Schild ab und traf stattdessen eine der dunklen Gestalten in Nähe der Büsche. Ich wusste nicht, wer es war, doch es war mir in dem auch Moment egal. Jetzt trat Flynn Selwyn* aus dem Schatten, gewandelt in einen teuren dunkelgrünen Umhang. Er gehörte zu einer der ältesten und reichsten Reinblüterfamilien, die je Voldemorts Reihen geziert hatten. Seine schlanken Finger drehten einen ungewöhnlich langen, dunklen Zauberstab in den Händen und er fuhr sich lässig durch das braune Lockenhaar. Irritiert von seinem plötzlichen Erscheinen, ließ ich meinen Zauberstab sinken.
„Lily", schrie Snape.
Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Selwyn packte in überraschender Geschwindigkeit meine beiden Handgelenkte zusammen und drehte meine Arme in einem schmerzhaften Winkel nach hinten auf meinen Rücken. Ich schrie auf vor Qualen. Ein Knacken und ich spürte, dass irgendwas in meinem Arm, ein Knochen vermutlich, nicht da saß, wo er hingehörte, was höllische Schmerzen verursachte.
Snape schaffte es, Mulciber mit „Petrificus Totalus" aus dem Weg zu schaffen und am Tor in der Ferne tauchten vier Gestalten auf, die sich im Eiltempo auf das Schloss zubewegten.
„James", flüsterte ich zum zweiten Mal in dieser Stunde.
Und tatsächlich. In der Nacht konnte man sie kaum erkennen, doch nachdem sie das Tor passiert hatten, machte ich drei der Gestalten aus. Eine große Person, an der Spitze der rennenden Truppe schien nochmal einen Zahn zuzulegen. Das war James. Dicht hinter ihm Sirius und die mir unbekannte Gestalt. Einige Meter hinten ihnen, ihr Haar flatterte in der Nacht, kam Marlene den unebenen Abhang hinabgesaust. Pure Erleichterung durchflutete meinen Körper und der Schmerz in Nähe meiner Schulter schien zu verblassen. Auch Snape hatte die Gestalten bemerkt, denn sein Kopf ruckte in Richtung Schlosstor und seine Züge verfinsterten sich. Die Slytherins schienen kaum etwas mitbekommen zu haben, denn Flynn hielt mich weiterhin gepackt und drückte meinen Arm nur noch weiter nach hinten.
Erneut durchriss mein Schrei die nächtlich Stille. Und dann war er da. Er hatte den Vorteil der Überraschung auf seiner Seite. Sein Fluch traf sie. Es riss zwei der Slytherins von den Füßen. Ich bemerkte, dass er Avery und einen mir unbekannten Jungen, ein Viert- oder Fünftklässler vielleicht, getroffen hatte. Sein heißer Atem streifte über mein Gesicht, als er zuerst mit Gewalt und schließlich mit einem weiteren Fluch versuchte Selwyns Griff zu brechen. Doch Selwyn war stark. James belegte ihn mit Flüchen, doch er blockte sie mit einem lässigen Schlenker seines Zauberstabs ab.
„Und sowas soll Klassenbester in Verteidigung gegen die dunklen Künste sein?"
Selwyn musterte James verächtlich und ein kaltes Grinsen entstellte sein ansonsten hübsches Gesicht für einen Moment.
„Willst du deinen Ruf noch schlechter machen, Potter, indem du dich für dreckige Schlammblüter einsetzt?"
Er drückte meine Arme erneut und noch fester zusammen. Ich wimmerte und hasste mich noch im selben Moment für meine mädchenhafte Schwäche.
James fluchte.
„Sectumsempra", rief er, doch verfehlte Selwyn um Haaresbreite. Wütend warf er seinen Zauberstab weg, der nun achtlos am Boden lag und er stürzte sich, nur mit seinen Fäusten bewaffnet auf ihn. Doch Selwyn war schneller. Er stieß James beiseite und umfasste mit einer Hand meine Handgelenke und mit der anderen zerquetschte er meine Brust. Er grinste.
Jetzt konnte ich nichts mehr tun, außer weinen. Der Schmerz war zu stark. In dem Moment, als er mich anfasste, lockerte sich sein Griff auch sogleich wieder und er sank ohnmächtig zu Boden, getroffen von einem Schockzauber.
Ich sah mich nach meinem Retter um. Snape ließ den Stab sinken und hastete auf mich zu.
„Los, verschwinde hier.", rief er und wollte mich fortzerren. Doch ich sträubte mich. Weiter hinten lieferten sich Sirius und Lupin, er musste also die vierte unbekannte Gestalt gewesen sein, ein erbittertes Duell mit drei der Slytherins. Marlene hatte Mary entdeckt und war mit ihr auf dem Weg zum Eingangsportal. Sie schlüpften durch das Portal. Ich betete inständig, trotz unserer misslichen Lage, dass sie keinen der Lehrer wecken würden. Ich wusste, dass der Gedanke in dem Augenblick lächerlich war, doch ich hatte Angst, dass man mir das Amt der Schulsprecherin entzog. Doch wahrscheinlich würde dieses nächtlich Duell ohnehin nicht unbemerkt bleiben.
Panisch suchte ich den Platz der Duellanten nach James ab. Er kämpfte gegen den nun wieder aufrecht stehenden Mulciber und man konnte nicht behaupten, dass er in Führung lag. Eine langfingrige Hand umschloss die meine und zog mich weg von dem Getümmel. Ich ließ es geschehen, auch wenn ich ab und zu nach James rief.
Severus brachte mich hinter eine Biegung und ich rang, an die kalte Steinmauer des Schlosses gelehnt, nach Luft.
„Ich hatte solche Angst um dich", flüsterte Severus und strich mir eine dunkelrote Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich könnte es nicht ertragen, sollte dir etwas zustoßen."
Sein Blick war zärtlich und warm und ich wusste, dass ich ihm in diesem Moment alles verziehen hatte.




*Selwyn ist ein Todesser, durch J.K.R bestätigt. Doch über ihn ist nur wenig bekannt, weder weiß man, wie alt er ist, also ob er zu der Zeit von Lily und Snape überhaupt nach Hogwarts ging, noch ist sein Vorname bekannt. Ich habe mir lediglich mal den Namen geborgt, der Vorname und sein Aussehen sind frei erfunden.

Mir ist auch bewusst, dass sich nach J.K. Rowling Lily nie mit Snape ausgesöhnt hat und sie ihm seinen "Fehler" bis zu Harrys Geburt nie wirklcih verziehen hat :DD Aber man muss sich ja nicht eins zu eins an das Buch halten, da über Lily, James und co. eh zu wenig bekannt ist. Ich ertrage aber in meiner Story den Gedanken nicht, dass Lily Severus für immer hassen soll :( Dafür mag ich ihn viel zu sehr :D

Du gefällst mir, wenn du so wütend bist, Evans!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt