Zwiespältige Gespräche

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Ich saß im Gemeinschaftsraum auf einem der kuschligen dunkelroten Sofas und hatte den Kopf auf meine angezogenen Knie gelegt. Im Kamin prasselte ein behagliches Feuer, doch es schien heute Abend keine Wärme spenden zu wollen. Ich fröstelte, trotz der Flammen. Der Tag in der Heulenden Hütte hatte mich seltsam melancholisch und nachdenklich gestimmt.
Zudem hatte ich etwas erfahren, dass mich noch weit mehr geschockt hatte, als die Tatsache, dass James und zwei seiner besten Freunde nicht registrierte Animagi waren. Wie ging man damit um, wenn der eigene Freund ein Animagus war, fragte ich mich im Geheimen.
Doch es war die Tatsache, dass Remus Lupin, dieser stille und doch so lebensfrohe junge Mann, seit seiner Kindheit ein Werwolf war, die mich so nachdenklich stimmte.
Ich hatte es zuerst nicht glauben wollen. Doch als neben James auch noch Sirius mir vergewissert hatte, dass dies die Wahrheit war, hatte ich eine tiefe Verbundenheit zu Remus gespürt.
Erst hatten James, Sirius und Peter mir nicht erklären wollen, wo Remus war, als ich sie gefragt hatte, da sie anscheinend Zweifel gehabt hatten, wie ich reagieren könnte.
Doch ich hatte weder mit Abneigung noch mit Mitleid reagiert, sondern eher mit Anteilnahme und Gewissenhaftigkeit.
Ich seufzte leise, klappte Große Errungenschaften der Zauberkunst zu und legte es auf den riesigen Stapel Bücher vor mir. Sirius und James hatten sich nach dem Hogsmeade-Ausflug aufs Quidditchfeld begeben, denn auch wenn Sirius kein Mitglied in der Quidditchmannschaft von Gryffindor war, so war er doch ein großer Anhänger dieses vermaledeiten Sports. Sie hatten mich gefragt, ob ich sie begleiten wolle, doch mein Kopf war voll wirrer, zusammenhangloser Gedanken und ich hatte irgendwas von „Bibliothek" gemurmelt und mich schnellstmöglich verdrückt.
Jetzt ging es auf den Abend zu und die beiden, Peter mit eingeschlossen, waren immer noch nicht zurückgekehrt. Doch mir war es recht.
Hinter den Turmfenstern des Gemeinschaftsraumes hatte der Himmel bereits eine aschgraue Farbe angenommen und es segelten sanft einzelne Schneefocken am Fenster vorbei. Doch sobald sie den Boden berührten, schmolzen sie.
Der Gemeinschaftsraum war ungewöhnlich leer bis auf ein paar Drittklässlerinnen, die sich tuschelnd und kichernd über die neueste Ausgabe der Hexenwoche beugten. Eine der Schicksalsschwestern hatte ich verlobt. Ich verdrehte leicht genervt die Augen und starrte in die kleiner werdenden Flammen.
Plötzlich hörte ich, wie das Porträt der fetten Dame aufschwang und sah, wie Remus Lupin in den Gemeinschaftsraum geklettert kam. Rasch zog ich eines der Bücher (Peinlicherweise griff ich nach „Zaubern für Dummies" in all der Eile) aus dem Stapel und vergrub mich dahinter. Lupin hatte schon immer leicht schäbig gewirkt, was seine Klamotten betraf und sein Gesicht war stets von Müdigkeit und Erschöpfung gezeichnet. Doch heute sah er besonders mitgenommen aus. Das hellbraune Haar wirkte beinahe grau und er hatte dunkle Schatten unter den Augen. Ich fragte mich, ob heute wohl Vollmond war. Vielleicht war das der Grund, warum auch Sirius und James noch nicht zurückgekehrt waren.
Sie hatten mir den Grund ihrer Verwandlung erklärt. Sie beschützen Remus in seinem verwandelten Zustand und halfen ihm, die furchtbare Nacht zu überstehen, indem sie ihm Gesellschaft leisteten und ihn zur Not in Schach hielten, wenn er nicht mehr Herr seiner Sinne war.
Ich hatte auch erfahren, dass die peitschende Weide in dem Jahr gepflanzt worden war, in dem Remus nach Hogwarts gekommen war. Ich hatte eins und eins zusammenzählen können. Remus verbrachte die Vollmondnächte dort. Dumbledore war wirklich das Beste, was dieser Schule passieren konnte. So jedenfalls pflegten sich viele Gryffindors auszudrücken. Es war allein ihm zu verdanken, dass Remus ein halbwegs normales Leben führen konnte.
Remus hellbraune Augen musterten mich mit wachem Interesse und er kam auf mich zugeschritten. Verflucht.
„Weiß du Lily", sagte er und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich würde dir empfehlen, das Buch richtig rum zu halten, wenn du denn vorhast, es zu lesen."
„Wa-? Oh, jaah...", murmelte ich betreten und ließ das Buch schnell zuschnappen.
„Ich habe nur", ich räusperte mich, „etwas bestimmtes gesucht."
„Schon gut, Lily."
Remus lächelte weiterhin.
„Ich weiß Bescheid. Ich habe James und Sirius heute Nachmittag unten am Quidditchfeld getroffen. Sie haben mir erzählt, dass du..." Er zögerte. „Dass du, nun ja, weißt, dass ich...krank bin. Ich verstehe natürlich, wenn du jetzt...auf Abstand gehen möchtest."
„Oh", machte ich und kam mich unglaublich bescheuert und fehl am Platz vor.
Doch dann fasste ich mir ein Herz und beschloss dieses peinlich lächerliche Gehabe, was sonst eigentlich gar nicht meine Art war (meistens jedenfalls), abzulegen und Remus die Wahrheit zu sagen.
„Remus, glaub ja nicht, dass das irgendwas zwischen uns ändert", flüsterte ich. „Du bist ein wunderbarer Freund und das ändert rein gar nichts an meiner Einstellung zu dir. Du bist unglaublich mutig und stark und ich bewundere dich dafür. Ich weiß nicht, ob ich jemals so wie du in der Lage wäre, mein Leben so zu leben, wie ich es tue. Doch du hast mir gezeigt, dass es möglich ist, wenn man nur Freunde hat, die einem beistehen. Egal wie dunkel die Zeiten auch sein mögen..." Er wusste, dass ich hier mehr als sein „kleines pelziges Problem", wie Sirius es nannte, ansprach, doch ich hatte nicht die Nerven auf weitere Details zu Voldemort einzugehen. „Und die hast du, Remus.", fügte ich stattdessen hinzu. „Und ich hoffe, dass du weißt, dass ich immer für dich da bin."
Verdammt. Warum, bei Merlins frisch gewaschener Unterhose, hatte ich auf einmal Tränen in den Augen?
Ich umarmte Remus, der mich leicht verdattert, aber durchaus liebevoll musterte.
„Schon gut. Du musst nichts sagen.", murmelte ich und strich mir eine dunkelrote Haarsträhne hinters Ohr.
„Danke, Lily. Und das bezüglich der Freundschaft kann ich nur zurückgeben."
Er tippte mir auf die Nase und ich lächelte flüchtig.
„Jetzt muss ich aber los. Ich bin eigentlich schon seit einer viertel Stunde mit James und den anderen unten an der Peitschenden Weide verabredet. Ich wollte eigentlich nur kurz James' Tarnumhang holen."
Er erhob sich und eilte die Treppe zum Jungenschlafsaal empor. Keine zehn Sekunden später tauchte er wieder am Treppenabsatz auf. Sein Umhang sah an einer Stelle merkwürdig ausgebeult aus, als habe er eine Art Bündel dabei, und ich wusste, dass sich dort der Tarnumhang befand. Es war nicht unüblich heutzutage einen zu besitzen, doch hatte ich bis jetzt nicht gewusst, dass James im Besitz eines solchen war. Mary besaß auch einen. Doch es war ein recht einfacher. Ein schlichter Umhang, der mit irgendeinem Unsichtbarkeits- oder Tarnzauber belegt war.
„Gute Nacht", rief ich Remus noch hinterher und hätte mir in der gleichen Sekunde am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen, als er durch das Porträtloch nach draußen kletterte. Ja natürlich, Lily. Man hatte sicher eine angenehme Nacht als Werwolf, eingesperrt in einer modrigen Hütte. Ich schüttelte den Kopf, ob dieser Dummheit, doch mein Herz hatte sich gerade um mehrere Zentner erleichtert.
Ich fühlte mich mit einem Mal seltsam einsam. Marlene und Mary saßen noch in der Bibliothek und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst kurz nach acht Uhr abends war. Wie genau funktionierte eigentlich die Verwandlung in einen Animagus und wie lange dauerte diese? Neugierig zog ich mein Verwandlungsbuch zurate. Ja, tatsächlich. Kapitel 26, Animagi. Ich lächelte und sah mich verstohlen im Gemeinschaftsraum um. Die Drittklässlerinnen waren noch immer in die Hexenwoche vertieft und keiner von ihnen schien mich zu beachten. Ganz langsam schlich ich die Treppe zum Jungenschlafsaal hinauf, das Buch unter den Arm geklemmt. Ich verkroch mich in James' Bett und atmete den vertrauten Geruch ein. Ja, er bildete einen meiner Bestandteile von Amortentia. Ich hatte es mir nie eingestehen wollen, doch ich war mir immer sicher gewesen. Dieser typische Geruch, wenn James in meiner Nähe gewesen war. Amortentia roch für mich nach getrocknetem Gras, den Seiten eines Buches und... nach James. Ja, ich war James Potter verfallen, doch ich hätte niemals ahnen können, wie sehr.
Ich fuhr mit den Fingerspitzen über den dunkelroten Stoff des Lakens und mit einem Mal traf mich die Erkenntnis. Ich wusste nicht, ob meine Gefühle positiv oder negativ waren, denn der vergangene Tag hatte mich zu melancholisch gestimmt. Doch eins wusste ich: Ich hatte mich in James verliebt und war bereit ihm alles zu geben. So oder so.

Du gefällst mir, wenn du so wütend bist, Evans!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt