2

5.6K 198 11
                                    

Ich wollte nach seiner Wunde sehen, ob sie noch blutete, doch gerade als ich seine Tarnjacke beiseiteschieben wollte, nahm er meine Hand.
„Es ist alles gut. Der Schmerz lässt nach."
An seinem Gesichtsausdruck merkte ich ihm an, dass das nicht ganz stimmte, allerdings wollte ich ihm nicht widersprechen und nickte nur. Sorgen machte ich mir aber trotzdem.
Ich blickte zu den anderen Soldaten. Einen schien es ziemlich schlimm erwischt zu haben.
Ihm fehlte fast das halbe Bein und er stöhnte bei jedem Holpern des Lasters auf. Mir wurde richtig übel, als ich sein Bein sah.
Deshalb wendete ich meinen Blick gleich wieder davon ab. Sie mussten alle dringend versorgt werden.

Aus den Funkgeräten der Soldaten kamen immer wieder Stimmen, die etwas Unverständliches brüllten. Mir kam es wie eine halbe Ewigkeit vor, bis der Wagen endlich stehen blieb. Von draußen waren laute Stimmen zu hören und nun öffnete sich endlich unsere Ladeklappe.
Licht blendete mich und die frische Luft, die herein strömte, tat gut. In dem stickigen Geruch nach Schweiß und Blut hätte ich es keine fünf Minuten mehr ausgehalten. Zusammen mit den anderen Soldaten krabbelten wir aus dem Laster. Zwei hievten den Mann mit dem halben Bein heraus und stützen in links und rechts.
Er war kaum noch bei Bewusstsein. Die Sonne brannte auf uns herab und überall war verbrannte Erde.
Ich sah mich um und weiter entfernt konnte man die Skyline der zerstörten Stadt sehen.

Große Rauchwolken stiegen in den Himmel und kein einziges Gebäude schien heil geblieben zu sein. Um uns herum war das reinste Chaos. Soldaten rannten umher und holten Tragen auf denen sie die Schwerverletzten wegtrugen.
„Bringt alle Verletzten und Nichtsoldaten in den Versorgungsraum!", schrie der Colonel durch die Menge.
Vor uns erstreckte sich eine riesige Halle, in die ständig Soldaten rein und raus liefen.

„Würden sie bitte mitkommen, Mam." Ein Soldat blickte mich auffordernd an.
Ich sah unsicher zu Connor, der mir leicht zunickte.
Der Soldat wies mich darauf hin, ihm zu folgen und wir gingen in Richtung der riesigen Halle.
Als wir sie betraten, stockte mir der Atem.
Ich befand mich in einem großen Raum, der vollgestopft war mit Soldatengruppen, die hintereinander geordnet marschierten. Zwischendurch liefen immer wieder Männer mit Tragen vorbei, die Verletzte in verschiedene Räume brachten.
Auch ich wurde in einen dieser Räume gebracht.
Viele andere Menschen befanden sich hier drin. Sie mussten, genau wie ich, Überlebende sein. Einige wurden von Ärzten untersucht und andere lagen wie tot auf ihren Krankenbetten.

„Hier setze dich auf ein freies Bett und warte, bis jemand kommt, um dich zu untersuchen.", riet mir der Soldat und verschwand gleich wieder.
Unsicher ging ich durch den Raum. Mein Ziel war das letzte freie Bett ganz hinten. Eigentlich wollte ich die ganzen Menschen hier nicht ansehen, doch ich konnte nicht anders.
Meine Augen wanderten von einem zum anderen. Bis sie an einem kleinen Jungen hängen blieben.
Er saß auf der Bettkante und musterte mich. In seinen kleinen blauen Augen konnte ich Angst und Verzweiflung sehen. Er hatte einen Fuß verbunden und in der rechten Hand einen Teddybären.
Ich wollte ihn anlächeln, doch ich brachte es nicht zustande.
Der Anblick dieses kleinen Kindes machte mich traurig und erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, wo wir hier steckten. Draußen herrschte Krieg und niemand wusste, wie lange dieser andauern wird. Der Junge hat wahrscheinlich seine ganze Familie verloren und ich hatte so viel Glück heil hier rausgekommen zu sein.

Ich war ein Adoptivkind und hatte meine Eltern schon vor Jahren verloren. Über meine leiblichen Eltern wusste ich nichts und wollte es auch nicht.
Plötzlich begann ich stark zu zittern und musste meinen Blick vom dem Jungen lassen, sonst hätte ich zu weinen begonnen. Aber ich durfte nicht die Fassung verlieren.
Langsam sank ich auf die Liege und etwas später kam auch ein Arzt vorbei. Ich würdigte keinem dieser Patienten einen Blick, sondern sah einfach auf den Boden. Ich konnte sie nicht ansehen, sonst wäre ich zusammengebrochen.

SurviveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt