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Lieber Connor,

wenn du das hier liest, dann habe ich mein Versprechen eingelöst und bin ohne Widerspruch in den Flieger gestiegen, um nach Europa zu fliegen.
Wahrscheinlich sitze ich gerade im Flieger und starre gelangweilt die grauen Regenwolken an, die an mir vorbeiziehen.
Oder ich kralle mich verkrampft in die Lehne meines Sitzes und versuche mich nicht zu übergeben, je nachdem wie gut die Tabletten gegen Reiseübelkeit wirken.
Ich hoffe du verzeihst mir, dass ich meinen Abschied in Form dieses Briefes verfasse, denn ich bin kein großer Fan von Abschieden.
Wie auch immer, ich wollte dich so in Erinnerung haben, wie ich mich in dich verliebt habe und nicht mit der Trauer in den Augen, die ich bei unserem Abschied gesehen hätte.
Ich hätte das nicht verkraftet.
Also dann komme ich mal zum Punkt.

Connor, ich bin dir unglaublich dankbar für alles. Ohne dich hätte ich nicht überlebt.
Du hast mich beschützt, du hast dein Leben für mich aufs Spiel gesetzt und das war gleichzeitig das Mutigste und Dümmste, was du für mich getan hast.
Du hast dafür gesorgt, dass ich mein eigenes Leben anständig weiterleben kann. Und du hast dich sogar in mich verliebt und mir das gegeben, was mir in meinem ganzen Leben gefehlt hat. Jemand, der mich beschützt und liebt.
Und zum Dank bin ich einfach abgehauen, ohne mich persönlich von dir zu verabschieden.
Glaub mir diese Entscheidung war nicht leicht, aber ich wusste, wenn ich mich noch verabschiedet hätte, wäre ich geblieben.
Und das hätte mich endgültig zerstört.
Ich konnte nicht in Amerika bleiben. Ich konnte nicht da weitermachen, wo ich fast gestorben wäre, wo ich so viel Leid erfuhr und so viele grauenhafte Erinnerungen habe, die mich aufgefressen hätten.
Und das Schlimmste, ich konnte dir nicht dabei zusehen, wie du dein Leben jeden Tag aufs Spiel setzt und letztendlich mit der Angst leben, irgendwann deine Leiche identifizieren zu müssen.
Also musste ich einen Schlussstrich ziehen.
Meine Mutter hatte mir einst gesagt:
Lass deine Liebe ziehen. Wenn sie irgendwann zurückkommt, gehört sie dir. Wenn nicht, hat sie dir nie gehört.

Also Connor, ich lasse dich ziehen.
Du hast eine große Chance bekommen, als Colonel das Militär anzuführen und ich weiß wie viel dir das bedeutet. Es ist dein Zuhause und deshalb lass ich dich ziehen.
Vielleicht, ja, vielleicht kreuzen unsere Wege sich eines Tages wieder, aber bis dahin hoffe ich, dass du mir schreiben wirst.
Ich möchte deine Abenteuer schließlich mitverfolgen und somit ein kleiner Teil davon werden.
Die Adresse meiner Freundin kennst du ja.
Ich liebe dich und werde dich immer lieben.

Deine Adriana

Einige Wochen später

Das schrille Klingeln des Weckers riss mich unsanft aus meinem Schlaf.
Grummelnd tastete ich nach diesem nervtötenden Gerät und schmiss den Wecker, bei dem ungeschickten Versuch auf den Knopf zu drücken, vom Nachttisch auf den Boden.
Aber auch davor schreckte er nicht zurück, sondern klingelte ungehindert weiter.
Dieses verfluchte Teil!

Mühsam öffnte ich meine müden Augen und wälzte mich aus dem warmen, kuscheligen Bett, um diesen verdammten Wecker aufzuheben wobei ich prompt über die Schachtel stolperte, die ich Genie natürlich genau neben das Bett gestellt hatte.
Die ganzen Briefe verteilten sich über den Boden und leisteten dem Wecker Gesellschaft.
„Du mieses, bescheuetes Teil." schimpfte ich und ließ endlich das unerträglich Piepen verstummen.

Erleichtert aufatmend genoss ich die Stille, die mich endlich umgab.
Ich kniete mich auf den Boden, um die ganzen Briefe wieder einzusammeln und in die kleine Kartonschachtel zu stecken, aber einen Brief wollte ich nicht aus der Hand legen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen strich ich über seine kunstvolle Unterschrift.
Dein dich liebender Connor.
Es war Connors Abschiedsbrief an mich.
Er hatte mir von da an wirklich jeden Tag geschrieben und ich ihm.
Klar, hat es immer ein wenig gedauert, bis die Briefe ankamen, aber ich habe jeden Brief mit Sehnsüchten erwartet, um dann wieder zu merken, dass ich ihn Tag für Tag mehr vermisste.
Wir hätten natürlich auch Mailen, Simsen oder anderweitig kommunizieren können, aber da mein Abschied ein Brief war und sein Abschied ebenfalls in Form eines Briefes kam, behielten wir das so bei.
Es war auch irgendwie romantischer.
Und trotzdem verging kein Tag, an dem ich nicht an Connor dachte.

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