64

1.8K 82 4
                                    

„Da sind sie."
Das Gebrüll war durch den ganzen Gang zu hören.
Die Männer mit den pechschwarzen Uniformen hatten uns nun erreicht.
Aber keiner von uns schenkte ihnen Aufmerksamkeit.
Jeder von uns starrte nur auf Daniels toten Körper, während Tränen unsere Augen verließen.
Ich hatte alles um mich herum ausgeblendet, als befand ich mich in meiner eigenen Wolke aus Trauer und Verzweiflung.
Mir war die mögliche Gefahr, die von diesen Männern ausging, sehr wohl bewusst, doch es war mir egal.
Es war uns allen egal, was nun mit uns passierte.
Wir hatten die restliche Energie und Hoffnung, die noch geblieben war, mit Daniels Tod verloren und Lucas schien mehr zerbrochen, als jeder von uns zusammen.

Ein Mann, der wohl der Befehlshaber war, kommandierte seine Männer und schrie ihnen irgendetwas zu, das ich nicht wahrnehmen konnte und wollte.
Fremde und starke Hände packten mich an den Schultern und zogen mich nach oben.
Durch meinen Tränenschleier hindurch konnte ich erkennen, wie auch Connor und der andere Soldaten gepackt, entwaffnet und zum Ausgang gezerrt wurden.
Sie setzten mich in Bewegung, doch meine Füße wollten nicht gehorchen, also schleifte mich der fremde Mann hinter sich her.
Ich wollte mich wehren, wollte gegen ihn ankämpfen, ihn von mir stoßen und zu Boden schlagen, aber mir fehlte, verdammt nochmal, die Kraft dazu.

Nun ging einer zu Lucas hin und wollte ihn ebenfalls nach oben zerren, aber er wehrte sich.
Er schlug die Hände des Mannes von sich und blieb in seiner Position neben Daniel verharrt.
Also packte der Uniformierte fester zu und schaffte es schließlich Lucas hochzuhieven.
„Nein, lassen sie mich!" schrie dieser und versuchte dem eisernen Griff zu entrinnen.
Er wollte bei Daniel bleiben und hätte es auch fast geschafft, wenn nicht noch ein Zweiter ihn gepackt hätte.
Die Fremden hatten ihn an jedem Arm fest umschlungen und schleiften ihn uns nach.
Lucas zappelte, strampelte mit den Füßen und schlug um sich, aber er hatte keine Chance und wurde nur, genau wie wir, zum Ausgang geschafft.

„Lassen sie mich hier! Daniel! Sie verdammten Arschlöcher. Sie können ihn nicht hier lassen." brüllte Lucas und warf nur so mit Schimpfwörter um sich.
Doch es brachte alles nichts.
Wir wurden durch den Ausgang nach draußen geschleift.
In einem anderen Moment, wäre ich erst einmal stehen geblieben, um die frische Luft und die wenigen Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne zu genießen.
Ich hätte das Abendrot genau betrachtet, das seine Flügel über dem Himmel ausgebreitet hatte und mit letzter Kraft versuchte, gegen die einbrechende Dunkelheit der Nacht anzukämpfen.
Aber stattdessen starrte ich auf den riesigen Platz vor dem Gebäude, auf dem duzende Panzer und Fahrzeuge das Lager der Terroristen umstellt hatten.
Tausend andere der fremden Männer hatten sich hier versammelt und standen in dem Ring der Maschinen um das Gebäude herum.
Es schien, als warteten sie alle nur auf uns.
Mittlerweile war mir auch bewusst, dass das alles hier ebenfalls Soldaten waren, nur woher kamen sie?
Und was hatten sie mit uns vor?

Sie schleppten uns quer über den ganzen Platz, direkt vor einen großen, stämmigen Mann, der über fünf Orden auf seine viel zu sauberen Uniform gesteckt hatte.
„Sir. Das sind die vier Gesuchten."
Der Soldat ließ mich los und stellte sich im Militärsgruß vor den Ordensmann.
Auch die Anderen reihten sich neben mir auf und wurden dann losgelassen.
„Vier?" fragend streckte er eine seiner buschigen schwarzen Augenbrauen nach oben.
„Die restlichen Überlebenden."
Bei diesen Wort musste ich die Tränen zurückdrängen.
Daniel hätte auch einer davon sein sollen.

Der "Sir" blickte uns alle kritisch an.
„Und der Colonel?"
„Auch tot. Sir. Genau wie Tarek Abdulkadir."
Der Mann nickte kaum merkbar, bevor er seinen nächsten Befehl gab.
„Wegtreten." kam es mit fester Stimme von ihm und die Soldaten marschierten davon.
Wer war Tarek Abdulkadir?
Ein Terrorist? Der Anführer vielleicht?

Jetzt standen wir in Reih und Glied vor dem vermutlichen Colonel dieses Militärs. Von wo auch immer sie kommen mochten und warum zur Hölle wir die "Gesuchten" waren.
Jeder von uns musterte ihn gespannt und etwas ängstlich, bis auf Lucas.
Er blickte bedrückt und verkniffen zu Boden ohne jemandem Beachtung zu schenken.
Nun verweichlichten die ernsten Gesichtszüge des Colonels und er sah uns fast mitfühlend an.
„Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin Direktor J. Howard von der NSB.
Der Präsident hat uns höchstpersönlich aufgetragen euch aus dieser, nun ja, misslichen Lage zu befreien, um es milde auszudrücken."
Er schüttelte jedem von uns die Hand.
Also doch kein Militär.
Der Geheimdienst, zumindest ein Teil davon.
„Der Präsident hat uns sofort kontaktiert, als er von ihrer Niederlage hörte und uns den Auftrag gegeben, so viele von euch da raus zu holen. Zufälligerweise waren wir schon lange hinter dieser Terroristenorganisation und dem Führer Tarek Abdulkadir her und das war unsere Chance sie gleich alle mit auszuschalten. Also sind wir so schnell gekommen, wie wir konnten."
Keiner von uns sagte etwas, aber es wurden nun einige Fragen beantwortet.
„Dann waren sie also die Eindringlinge, die jeden Terroristen abschlachteten und das ganze Gebäude mit Granaten bewarfen, wobei wir fast draufgegangen wären?" schrie Lucas den Direktor  an.
„Das Risiko mussten wir eingehen, um überhaupt zu unserem Ziel zu gelangen. Die Granaten haben großen Schaden verursacht und uns ermöglicht in das Gebäude zu gelangen und ..." wollte der Direktor entgegnen, doch Lucas ließ ihn nicht ausreden.

„Ihre Aufgabe war es uns lebendig rauszuholen und die Terroristen auszuschalten richtig? Warum zum Teufel sind wir dann nur vier Überlebende? Wir hätten viel mehr sein können, hätten sie nicht dieses bescheuerte Gebäude zum Einsturz gebracht und wir ihre Aufgabe erledigen müssen.
Wir waren es, die den Anführer, hinter dem SIE her waren, ausgeschaltet haben." Lucas trat nahe an den Direktor und schlug ihm immer wieder urteilend die Hand gegen dessen Brust.
„Niemand hat sie und ihre naiven, bescheuerten Vorgehensweisen gebraucht. Denn anscheinend waren ihre Leute nicht einmal in der Lage, einen einzigen Terrorist zu töten, bevor er unsere Leute tötete. Sie... sie..."
„Lucas, es reicht." unterbrach Connor ihn mit leiser Stimme und legte sanft eine Hand auf seine Schulter.
Direktor J. Howard hatte sich alles ruhig und ohne jegliche Reaktion angehört.
„Sie haben wohl jemanden sehr wichtiges in diesem Kampf verloren, junger Mann. Sie haben mein herzlichstes Beileid. Sie alle.
Aber ich kann mich jetzt nicht um ihre Anliegen kümmern. Wir sind noch nicht am Ende dieser Mission."

Der Direktor wandte sich von uns ab und gab einem seiner Männer den Befehl die Zünder bereit zu machen und uns in einen ihrer Fahrzeuge zu verfrachten, um diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen.
„Meine Männer haben im ganzen Gebäude Sprengladungen verteilt und jetzt werden wir das Gebäude sprengen, damit nichts, wirklich nichts mehr, von diesem Abschaum an Terroristen übrig ist. Wer weiß wie viele Anhänger sie noch haben, aber wenigstens werden diese hier alle ausgelöscht." weihte er uns in seinen Plan ein, bevor wir wieder abgeführt und jeder von uns in einen großen Humvee gequetscht wurde.
Lucas jedoch weigerte sich in dieses Gefährt einzusteigen.
„Nein, mein Freund ist da drin. Ihr müsst ihn mitnehmen. Hört ihr." schrie er fast schon verzweifelt.
„Ist bereist geschehen." Direktor J. Howart deutete auf eine Trage, auf der Daniels toter Körper lag, die in einen der Humvees verstaut wurde.
Als Lucas ihn sah, wurde sein Körper und seine Willenskraft, sich zu wehren, schlaff und er ließ sich widerstandslos in den Humvee führen.

Ehe ich mich versah, setzte sich das Fahrzeug in Bewegung und zog die anderen Wägen und Panzer mit dem ganzen NSB hinter sich her auf der langen, endlosen und verlassenen Straße durch das Viertel.
Weg von dem Gebäude.
Weg von all dem Grauen, dass uns dort wiederfahren war.
Und als wir endlich weit genug weg waren, ertönte ein lauter Knall, der den Boden erschütterte und den Humvee kurz erzittern ließ.
Ich sah im Rückspiegel das Gebäude in Flammen aufgehen und Einzelteile zerspringen, bis nur noch ein Haufen Schrott übrig war und die Rauchwolken den Himmel zu bedecken schienen.

SurviveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt