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Adrianas Sicht

Das Quietschen einer aufgehenden Tür und der Duft nach Essen ließen mich erwachen.
Wobei es doch mehr der herrliche Geruch von einer warmen Mahlzeit war, der mich geweckt hatte.

Connor spazierte herein mit der Quelle dieses Duftes.
Er hatte ein Tablet mit Fleisch und Kartoffelbrei in der Hand, bei dessen Anblick mir das Wasser im Munde zusammenlief.
Lächelnd kam er auf mich zu, stellte das Tablett neben mir ab und setzte sich dann auf sein Bett.
Ich richtete mich auf und betrachtete diese Köstlichkeit.
Sofort fing mein Magen an zu Knurren.

„Das ist gut, wenn du schon wach bist. Dann ist dein Essen noch warm."
Sofort schnappte ich mir das Besteck, legte das Tablett auf meinen Schoß und stürzte mich auf die Mahlzeit.
Es schmeckte herrlich und das Gefühl endlich wieder etwas Anständiges im Magen zu haben, ist unbeschreiblich.
„Hast du schon gegessen?" fragte ich Connor, der mich die ganze Zeit lächelnd ansah.
Eigentlich hasste ich es, wenn mir jemand beim Essen zusah, aber im Moment störte es mich kaum.
„Ja, allerdings hast du da schon so schön geschlafen und deshalb hab ich dir etwas mitgebracht, denn du warst sichtlich genauso am Verhungern wie ich."
Er sah lachend auf meinen mittlerweile fast leeren Teller und auch ich musste lachen.

„Danke. Allerdings hättest du mich auch einfach wecken können und wir wären zusammen essen gegangen." ich grinste ihn an. Mit ihm zusammen zu essen, wäre mir irgendwie lieber gewesen.
„Ja, das stimmt, aber wenn ich an deiner Stelle wäre, hätte ich denjenigen umgebracht, der mich wecken wollte."
Ich musste lachen, weil ich das  wahrscheinlich genauso getan hätte, wenn ich recht darüber nachdachte.

„Dann war es also dein reiner Überlebensinstinkt, der mich schlafen ließ?" neckte ich ihn weiter, während ich von der kühlen Cola trank, die er mir ebenfalls dazu gestellt hatte.
Dieser Mann ist der reinste Schatz.
„Möglich." er grinste schelmisch und wir mussten beide Lachen.

Zum ersten Mal fühlte ich mich wieder gut.
Ich wünschte dieses Gefühl würde immer bleiben.
Es war so befreiend, sich sicher zu fühlen und mit Connor zu Lachen und einfach für ein paar Stunden, wieder wie ein normaler Mensch zu Leben.
Doch ich hab das Gefühl, dass das nicht lange andauern würde.
Ich spürte, dass noch einiges auf uns zu kommt und wir ums nackte Überleben kämpfen mussten.
Vielleicht fühlte ich mich deswegen jetzt so gut.

Ich überspielte, nein, wir überspielten den Ernst unserer Lage.
Wir lachten, obwohl uns eigentlich nicht zu Lachen war.
Wir genossen diese paar Stunden, als wäre es unser normaler Alltag.
Doch wenn wir das nicht täten, würden wir sicher verrückt werden.
Ich würde verrückt werden.
Ich zeigte es vielleicht nicht immer, aber ich hatte große Angst.
Angst vor den kommenden Stunden, Tagen oder Wochen.
Wie lange auch immer dieser Krieg andauern mochte, die Chancen ihn zu Überleben waren gering.
Und der Gedanke, dass wir in den nächsten Stunden schon tot sein konnten, machte mich wahnsinnig.
Es fraß mich wortwörtlich von innen auf.
Deshalb musste ich diese Momente mit Connor in meiner Nähe genießen und mir erlauben, mal kurz wieder normal leben zu können. Wenn man das schon so nennen konnte.

„Über was denkst du nach?" riss Connor mich aus meinen Gedanken.
Anscheinend hatte ich eine Weile nachdenklich vor mich hingestarrt.
Ich stellte das leere Tablett auf den Boden und wickelte mir die Decke um.
„Wie hält man so etwas aus?" fragte ich Connor.
„Was meinst du?" er sah mich besorgt an.
„Das Gefühl, jede Minute mit dem Tod zu rechnen. Ich weiß nicht, wie lang du schon Soldat bist oder wie oft du schon in so einer Situation gesteckt hast, aber mich macht es wahnsinnig. Wie hältst du das aus?"
Ich musste mir meine Tränen unterdrücken.
Irgendwie fühlte ich mich plötzlich so leer und von Angst zerfressen. Ich will das, was wir in den letzten zwei Tagen durchleben mussten, nicht nochmal erleben.
Sofort setzte sich Connor auf und kam zu mir herüber.
Er sah, dass ich zitterte und mich darum wand, nicht in Tränen auszubrechen.
Wo kam plötzlich diese ganze Bedrücktheit und Angst her?
Wieso werde ich gerade jetzt schwach?
Connor nahm mich in den Arm und ich lehnte meinen Kopf gegen seine starke Brust.

„Weißt du, dass ich mir die gleichen Fragen stelle. Ich fühle genauso wie du, doch ich habe gelernt damit zu leben. Wir wurden nun mal so ausgebildet. Es ist eben mein Beruf, meine Pflicht, ein Soldat zu sein."
„Wie kannst du nur so leben?"
Er schwieg eine Weile, als würde er die Antwort selbst nicht wissen.
„Das kann ich dir nicht beantworten. Für mich war das Militär der einzige Ort, an dem ich bleiben konnte. Irgendwie ist es, als würde ich hierher gehören. Ich konnte sonst nirgendwo hin und der Colonel nahm mich herzlich bei sich auf. Er bildete mich sogar persönlich aus und gab mir wieder Halt und irgendwie auch eine Bestimmung in meinem Leben."
Ich konnte leider keines dieser Worte nachvollziehen.
Aber wer weiß, wie Connor vorher war.
Was hat ihn wohl bewegt zum Militär zu gehen?
Irgendwie fiel mir erst jetzt auf, dass ich eigentlich gar nichts von ihm wusste.
Ich wusste nichts über seine Familie, falls er überhaupt eine hatte.
Ich wusste nichts über sein Leben.
Ich wollte so gern mehr von ihm erfahren.
Am liebsten würde ich ihn alles fragen, doch ich beschloss es nicht zu tun.
Wer weiß welche Wunden ich dadurch wieder aufreißen würde.

„Am besten du ruhst dich jetzt aus. Versuch wieder zu schlafen." er strich mir sanft über meinen Kopf und ich sah ihn mit großen Augen an.
„Und was ist mit dir? Du solltest auch endlich mal schlafen."
Er musste ja noch müder sein, als ich.
„Ich muss noch etwas erledigen. Ich muss für Bill sorgen. Wir haben ihm ein Versprechen gegeben und das muss ich halten."
Mit fest entschlossenen Blick erhob er sich wieder und machte Anstalten zu gehen.
Sicher wollte er zum Colonel und alles wegen Bill regeln. Er hatte Recht. Wir müssen dafür sorgen, dass er bekommt was ihm zusteht, aber konnte er das nicht später machen?
Schließlich brauchte er auch dringend Schlaf.

Bevor Connor zur Tür hinaus verschwand, drehte er sich nochmal zu mir um und lächelte mich an.
„Schlaf gut, Adriana."
Mit diesen Worten schloss er die Türe hinter sich und es kehrte wieder Stille in den Raum zurück.

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