Eins

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Es ist schon Nacht und der Vollmond strahlt auf das kleine Dorf Marwood herab. Er erleuchtet die Dächer und Schornsteine, die Fenster und die Zimmer dahinter. Außer in einem Haus. Es steht fast am Ende (oder am Anfang, alles eine Frage der Perspektive) des Dorfes, nah am Wald. Es ist das einzige Haus, in dem noch Licht brennt. Das Haus der Lupins.

"Wir haben Nein gesagt, June!", ruft ein Herr mit ergrautem Haar und haut mit der Faust auf den Küchentisch vor ihm. Es ist Mr. Lupin, der mit seiner Tochter und seiner Frau diskutiert. "Aber Remus darf es auch! Warum ich nicht? Warum?", fragt seine Tochter, June Lupin, aufgebracht und stampft mit dem Fuß auf. "Seit Jahren haltet ihr mich hier fest! Seit Jahren muss ich mit ansehen wie mein Zwillingsbruder hier ein und aus geht, aber ich muss natürlich immer hier bleiben! Es reicht mir, verdammt!", fügt sie schreiend hinzu und Tränen treten ihr in die Augen.
Sie versteht es nicht, sie versteht ihre Eltern einfach nicht.

"June, wir wollen nicht, dass dir etwas passiert!", versucht ihre Mutter sie zu beruhigen, doch das macht June nur noch wütender. "Ihr wollt nicht, dass MIR etwas passiert, aber Remus ist euch egal? Was seid ihr nur für Eltern?!", zischt sie und stürmt aus dem Raum.

Geht es denn nicht in ihre Köpfe rein? Sie sind ungerecht, so unglaublich ungerecht! June will frei sein, so wie ihr Bruder es ist. Er scheint sich immer so zu freuen, wenn für ihn die Sommerferien vorbei sind und er endlich wieder auf seine Schule und zu seinen Freunden kann. Er erzählt June oft davon. Erst dann scheint er wirklich glücklich zu sein. June hört ihm immer so gerne zu, denn sie selbst hat keine Freunde und Privatunterricht.

Immer, wenn sie ihn fragt, ob sie irgendwann mal mitkommen kann, weicht er dem Thema aus und redet einfach weiter. So wie ihre Eltern. Doch heute hatte sie nicht nachgelassen, bis ihre Eltern sie nichtmehr ignorieren konnten. June will sich durchsetzen und stürmt in das Zimmer ihres Bruders, um ihn als moralische Unterstützung dabei zu haben. Doch Remus ist nicht da, wie so oft. June flucht leise und schließt die Tür wieder. Ihr Bruder ist mal wieder auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge. Jedes Mal, wenn sie ihn fragt, warum er in der tiefsten Nacht raus geht, sagt er, dass er es auf Hogwarts nicht machen darf, weil sie Ausgangssperre haben und er so seine freie Zeit genießen kann. Und immer, wenn sie versucht ihm zu folgen, halten sie ihre Eltern auf oder er entdeckt sie und schickt sie nach Hause.

Sie ist noch nie alleine draußen gewesen, niemals in ihren ganzen sechzehn Jahren. Und seit zehn Jahren ist sie nichtmehr außer Haus gewesen. Auch nicht mit ihren Eltern, geschweige denn ihrem Bruder. Sie kann sich nichtmehr daran erinnern, wie es im Wald ist, auf den Straßen, selbst ihr Fenster darf sie nur einklappem. Damals, vor zehn Jahren, muss etwas Schreckliches passiert sein und seit dem sind ihre Eltern ängstlich. Ängstlich um ihre Tochter, doch nicht um ihren Sohn? June's Eltern wollen es ihr einfach nicht erklären, doch warum? Was ist damals passiert? Wenn sie ihr doch einfach eine klare Antwort geben würden, anstatt sie ihr ganzes Leben lang einzusperren!

June kann ihre verzweifelten Tränen nichtmehr zurückhalten. Wie in Bächen laufen sie ihr über die Wangen und tropfen auf ihr T-shirt. Es ist so ungerecht! So so so ungerecht. Traurig geht sie in ihr Zimmer und zieht sich ihre Bettdecke über den Kopf. June schwört sich eines; sie wird nicht aufgeben, bis sie ihr Ziel erreicht hat.

Bei ihren Eltern ist derweil eine hitzige Diskussion ausgebrochen. Mr.Lupin sitzt immernoch am Küchentisch und hat die Hände an die Schläfen gelegt. Seine Frau, Mrs.Lupin, steht vor ihm.

"Vielleicht sollten wir sie wirklich nach Hogwarts schicken, Hope", murmelt Mr.Lupin und sieht vorsichtig zu seiner Frau. "Auf keinen Fall, Lyal!", ruft Mrs.Lupin sofort aufgebracht und sieht ihn erschrocken an. "Aber-" "Willst du etwa, dass deine Tochter genauso wird, wie dein Sohn? Es gibt einen Grund, warum wir sie all die Jahre hierbehalten haben!"
Mrs.Lupin sieht ihrem Mann fordernd in die Augen, während er seufzt.

"Schatz, das ist zehn Jahre her! Wer weiß ob es nicht sicherer geworden ist? Schon seit Jahren sind keine neuen Angriffe gemeldet worden", versucht Mr.Lupin sie zu beruhigen und nimmt ihre Hand in die Seine. Wütend zieht Mrs.Lupim ihre Hand weg. "Das heißt nicht, dass es nicht wieder passieren kann! Du weißt genau, dass er hinter ihr her ist!", giftet sie und stemmt die Hände in die Hüfte.
"Du redest dir wieder nur was ein. Wieso sollte er hinter ihr her sein? Er hat sich doch schon längst gerächt. Warum denn auch noch bei June?", wendet er müde ein und reibt sich die Augen.

Mrs. Lupin entgegnet nichts, sondern runzelt nur die Stirn und betrachtet den Boden. "Hope, sie ist jung und in ihr brodelt Etwas, was rausgelassen werden will. Es wird ihr gut tun, unter andere Menschen zu kommen und mit anderen Menschen ihres Alters zu lernen. Hogwarts ist sicher, ihr wird nichts passieren", sagt Mr.Lupin und steht auf und nimmt das Gesicht seiner Frau in seine Hände, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Mrs.Lupins Augen sind glasig und ihre Unterlippe zittert.

"Aber sie ist doch meine kleine Tochter - mein Goldschatz. Ihr- ihr darf nichts passieren", schluchzt sie und schmiegt ihr Gesicht an die Brust ihres Mannes. "Ihr wird nichts passieren", murmelt Mr.Lupin leise und drückt seiner Frau einen Kuss auf die hell-braunen Haare.

Dies versichert er seiner Frau und auch ihm selbst, denn ein kleines Bisschen unwohl ist ihm schon bei dem Gedanken, seine Tochter in die große gefährliche Welt zu entlassen. Aber sie können June nicht für immer bei sich Zuhause behalten, das sieht er ein. Wie sehr er sich wünscht, dass das ungute Gefühl im Magen nur Einbildung ist. Tja, manchmal sollte man wirklich auf sein Bauchgefühl hören.

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Hey, wie hat euch das erste Kapitel gefallen? Lasst es mich wissen :)
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Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt