Sechsundzwanzig

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"Ich will zu ihr!" Die Stimme klang laut und schrill. Aufgebracht. "Beruhigen Sie sich, June braucht Ruhe. Das alles nimmt sie ziemlich mit." Ruhig und beschwichtigend. "Gehen Sie mir aus dem Weg!" Wütend. "Hope ..." Erschöpft. "Halt den Mund, ich muss sie sehen! Sofort!" Wieder wütend.

June stöhnte leise und wünschte, die Stimme würde endlich aufhören zu reden. Ihr Kopf schmerzte als würden Bowlingkugeln unermüdlich gegen ihre Schädeldecke schlagen.

"Ich glaube Sie wacht auf!"
Sie spürte wie sich die Matratze neben ihr senkte und jemand seine kalte Hand gegen ihre Wange legte. Zögernd öffnete sie die Augen und sah ihrer Mutter entgegen. Mit geröteten Augen, als hätte sie viel geweint, schluchzte Mrs Lupin auf und warf aufgewühlt die Arme um ihre Tochter. "Oh, June, mein Liebling!"

Verwirrt blickte sich June um, tätschelte dabei den Rücken ihrer Mutter. Sie befand sich im Krankenflügel. Ihr Vater und Madam Pomfrey standen hinter ihrer Mutter und sahen sie besorgt an. Eigentlich wollte June fragen, wie lange sie denn bewusstlos gewesen war, als ihr wieder einfiel, warum sie umgekippt war. "Wo ist Remus? Liegt er hier?", platzte es aus ihr heraus und sie löste sich aus der klammernden Umarmung. Mrs Lupin schluchzte erneut auf und vergrub ihr Gesicht schließlich in den Händen. Mr Lupin legte ihr seine große Hand auf die bebenden Schultern. Madam Pomfrey übernahm zögerlich das Wort, da sie bemerkte, dass wohl keiner der anderen dazu fähig war. "Dort hinten, am Fenster. Allerdings würde ich dir nicht raten -" June ließ sie gar nicht ausreden. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett, durchquerte den großen Raum so schnell sie konnte und stand schließlich mit stechendem Kopf und klopfendem Herzen vor dem Vorhang, der das Bett verdeckte.

"Miss Lupin, das ist keine -" June schob den Vorhang zur Seite - und wäre fast wieder umgekippt. Ein Laut halb Schluchzen und Luftschnappen kam aus ihrem Mund und sie klammerte sich an den Bettpfosten, als ihre Beine schwach wurden.

Ein Riss, tief und blutend, zog sich über Remus rechtes Auge bis hinunter zu seinem Kinn. Dunkles Blut rann an seiner Wange hinab und das Kopfkissen sog sich damit voll. Drei weitere parallele Risse, zum Glück nicht ganz so tief wie der im Gesicht, zierten seinen Hals. Alles in ihr zog sich zusammen, als würde eine eisige Hand ihre Eingeweide zusammenquetschen. Auf der Bettdecke zeichneten sich dunkle Blutflecken ab und, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, zog June sie mit zitternden Händen nach unten und ihr wurde wieder schwindelig. Remus kompletter Oberkörper war übersäht mit Kratzern, Schnitten und Rissen. Die Matratze, auf welcher er lag, war blutrot.

"Oh Gott ... ", hauchte June und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Am ganzen Körper zitternd ließ sie sich auf die Knie fallen und griff nach der Hand ihres Bruders. Er war bewusstlos, seine Brust hob sich nur stockend und aus seiner Lunge kam ein seltsames Röcheln. "Oh Gott", brachte sie ein weiteres Mal unter Tränen hervor und schluchzte, während sie seine kalte Hand gegen ihre Stirn drückte.

Ihr Kopf war wie leergefegt, eine dunkle Wand in ihrem Gehirn blockte alle Gedanken ab, sie sah nur immer wieder das blutige Bild ihres Bruders vor sich.

"E-Er wird heute Nachmittag ins St.-Mungo-Hospital gebracht ... dort können Sie ihm helfen ... be-bestimmt", hörte sie die zitternde Stimme ihrer Mutter, doch es war, als würde sie sie durch eine Glasscheibe hören, dumpf und unwirklich.

June saß lange so da. Ihre Eltern versuchten mit ihr zu reden, sie zum Essen zu bringen, doch June sagte kein Wort und aß keinen Bissen. Erst als die Zauberer vom St.- Mungo's kamen, kam wieder Bewegung in sie und sie schrie und brüllte, als man ihre Hand von seiner lösen wollte.

"June, nun lass ihn doch los!", rief Mrs Lupin erschrocken und hielt ihre Tochter fest, damit sie nicht mitgezogen werden konnte. June weinte und schrie, wie ein kleines Kind und brach schließlich schluchzend in den Armen ihrer Eltern zusammen, als sie Remus Hand aus ihrer rissen. "Nein, nein, nein", schluchzte sie immer wieder, kaum verständlich.
Mrs Lupin wiegte sie beruhigend hin und her, strich ihr über das Gesicht. Irgendwann schluchzte sie nicht mehr und sagte auch nichts mehr. Sie war ganz still. Taub. Wie in Trance.

Sie hörte nichteinmal, wie sich ihre Eltern unterhielten. "Wir werden sie von dieser- dieser Schule nehmen", sagte Mrs Lupin bestimmt, "Sie ist völlig am Ende! Nein, sie kommt wieder nach hause. In Sicherheit."

Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt