Achtundzwanzig

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"Was - herrgottnochmal - machst du in meinem Zimmer?!", fluchte June voller Wut und deutete aufgebracht auf die Gestalt, die zögernd aus dem Schatten ihres Kleiderschrankes trat. Beschwichtigend hob die Gestalt die Hände. "Beruhige dich, June. Ich weiß, du bist überrascht -" "Überrascht? Überrascht?!", spuckte June und trat auf die Person zu. "Zur Hölle, ich bin sauer. Verdammt sauer. Das ist jetzt kein guter Zeitpunkt, Noah. Wirklich kein guter Zeitpunkt!"

Noah wich einen Schritt zurück und stieß gegen ihren Schreibtisch.
"Ich weiß, ich hab den Streit gehört. Aber ich kann dir helfen."
June lachte freudlos. "Wie willst du mir bitteschön helfen?" Dann runzelte sie die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. "Moment mal - Wie bist du überhaupt hierher gekommen? Ist es nicht unmöglich aus Hogwarts herauszukommen?"

Jetzt umspielte ein leichtes Schmunzeln Noahs Lippen. "So unmöglich ist das nicht. Mit Besen und zur richtigen Zeit ist es sogar ziemlich möglich."

June verengte die Augen zu Schlitzen. Ihr gefiel es ganz und gar nicht, dass Noah sich ungefragt in ihrem Zimmer befand. "Was willst du?"
"Darf ich mich setzen?", fragte er höflich, um sie ein wenig zu beschwichtigen. June zuckte die Achseln. "Mach was du willst, du hast dir ja ohnehin schon uneingeladen Zutritt zu meinem Zuhause verschafft", murrte sie, woraufhin er sich verlegen am Kopf kratzte. Schließlich blieb er unschlüssig stehen.

Es herrschte unangenehme Stille und June merkte, wie ihr Zorn langsam verrauchte. Noah war ganz sicher nicht grundlos bei ihr aufgetaucht, es musste sehr wichtig sein. Schließlich brach er bestimmt zehn Schulregeln auf einmal, indem er die Schule verlassen hatte.
Sie fühlte sich plötzlich ziemlich erschöpft, der Streit und ihre Wut hatten sie ausgedrückt wie einen nassen Schwamm. Mit einem Plumpsen ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen.

"Also? Du bist der Meinung, du kannst mir helfen?", seufzte sie. Noah nickte. "Du willst zu Remus, hab ich recht?" Er winkte ab, bevor June auch nur den Mund öffnen konnte. "Natürlich habe ich Recht. Dabei kann ich dir helfen. Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis, aber du musst schwören es keinem zu verraten, sonst könnte ich ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Ministerium bekommen. Schwörst du es, June?" Misstrauisch nickte sie und als Noah sie noch immer auffordernd ansah, sagte sie: "Ich schwöre es. Jetzt erzähl schon weiter."

Noah holte tief Luft. "Also gut. Ich kann apparieren. Normalerweise dürfte ich das erst, wenn ich volljährig wäre und dann auch nur mit einer Lizenz, aber naja ... nicht so wichtig. Was wichtig ist, ist, dass ich dich zu deinem Bruder bringen kann."

Stille herrschte wieder. Noah sah sie eindringlich an, während June verwirrt zurücksah. "Warum solltest du das tun? Du kennst mich kaum und soweit ich weiß hast du auch nichts mit Remus zutun. Was hast du davon?", wollte sie schließlich wissen und wurde noch misstrauischer. Die Sache musste einen Haken haben.

Noah wandte den Blick ab und sah aus dem Fenster, hinter dem sich weite Hügel und Felder auftaten. "Ich habe meine Gründe, June. Mehr musst du nicht wissen." Den Blick noch immer nach draußen gerichtet trat er näher an die Scheibe heran. Ein kaum scheinbares Lächeln lag auf seinen Lippen. "Komisch, ich habe mich schon immer gefragt ... egal."

Er schüttelte den Kopf, schien eine Erinnerung vertreiben zu wollen und wandte sich wieder mit neutraler Miene June zu. "Jedenfalls, wie gesagt kann ich dir helfen."
June war noch immer misstrauisch. "Und du würdest mich tatsächlich ohne Gegenleistung zu Remus bringen?"

Noah schien kaum merklich zu zögern, dann nickte er. June entging sein Zögern jedoch nicht. Sie reckte das Kinn und verschränkte die Arme abermals vor der Brust.
"Ich glaube dir kein Wort."

Noah seufzte, als hätte er das schon erwartet. "Hör zu, ich mache dir hier ein Angebot. Nimm es an oder nicht. Deinem Ausraster nach zu urteilen, dachte ich, dass du ihn wirklich sehen willst." "Ich bin nicht ausgerastet", verteidigte sich June und wurde ein bisschen rot. Noah zuckte mit den Achseln. "Nenn es wie du willst."

June überlegte. Einerseits wollte sie nichts mehr, als Remus beizustehen, andererseits vertraute sie Noah nicht. Sie hatte kein gutes Gefühl bei ihm. Unauffällig betrachtete sie ihn genauer, als er sich wieder dem Fenster zuwandte, um sie in Ruhe nachdenken zu lassen. Er wirkte, als würde er langsam ungeduldig werden, doch wollte es nicht zeigen. Eigentlich hatte June keine Wahl. Entweder sie vertraute ihm oder sie würde Remus nicht sehen.

"Na gut. Bring mich zu ihm", sagte sie schließlich und stand auf. Noah lächelte, er schien schon fast erleichtert. "Super."

Dann trat er plötzlich nah an sie heran und packte sie am Arm. Erschrocken wollte June sich aus seinem Griff winden, doch er hielt sie fest. "Du musst dich gut festhalten oder du kommst ohne Kopf an", sagte er belustigt.
June verstand nicht, was er daran so lustig fand. Besorgt zog sie die Augenbrauen zusammen. "Bist du schonmal mit jemandem zusammen appariert?", wollte sie wissen und versuchte nicht allzu besorgt zu klingen.

Noah hielt kurz inne und dachte nach. "Nein", antwortete er und grinste leicht. "Na super", murmelte June und wandte den Blick ab. Ihr Herz klopfte schnell und sie klammerte sich widerwillig fester an Noahs Arm.
Er blickte auf sie herab. "Bereit?" Angespannt schüttelte sie den Kopf. "Passt schon", sagte er gleichgültig.

Fast augenblicklich schien die Umgebung um sie herum zu verschwimmen, sie presste die Augen zusammen, ein Plop-Geräusch ertönte und June fühlte sich, als würde eine gigantische Faust sie zusammenquetschen zu wollen. Sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen, ihr wurde schwindelig. Ihr Arm schmerzte, so fest krallte sie sich an Noah. So schnell das Gefühl erschienen war, so schnell verging es auch wieder. Sie waren wohl angekommen.

Ihr war so schwindelig und übel, dass sie taumelte, sobald es Plop machte. Sie stolperte zur Seite, spürte, wie jemand nach ihr griff und spürte die Galle in ihr aufsteigen. Sich aus dem Griff windend, die Augen noch immer zusammengepresst, übergab sie sich in die Richtung, von der sie betete, dass dort niemand stand.
Sie würgte und spuckte, bis sie das Gefühl hatte ihre Organe ausgespuckt zu haben.
Mittlerweile hatte sie die Augen geöffnet, doch sie tränten und sie wischte sich darüber.

"Du hättest mich ruhig vorwarnen können", krächzte sie an Noah gewandt und drehte sich um. Doch vor ihr stand nicht Noah und sie waren auch nicht am St.-Mungo-Hospital. Ihr Herz schien auszusetzen. Sie stand in tiefster Dunkelheit und von Noah war keine Spur.

Sie spürte wie jemand hinter sie trat und ganz dicht in ihren Nacken atmete. Ihre Haare stellten sich auf und ihre Muskeln erstarrten.

Bei einer Sache war sie sich komplett sicher: Noah hatte sie nicht zu ihrem Bruder gebracht.

Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt