Fünfundzwanzig

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June war wie erstarrt. Hatte sie sich verhört? Hatte man wirklich ihren Namen gesagt?

Vor Verwirrtheit wusste sie gar nicht was sie tun sollte. Sie stand einfach nur da, inmitten der Menge, die sich langsam Richtung Ausgang bewegte, wurde hin und wieder an der Schulter gestoßen. Niemanden sonst schien es zu kümmern, sie waren alle nur furchtbar aufgeregt, manche verärgert, weil das Spiel abgesagt wurde, andere quasselten wild durcheinander und spekulierten, was wohl passiert war. Doch June hörte gar nicht hin.

Ein harter Stoß gegen ihre Schulter erlöste sie von ihrer Starre. Ein Gedanke fiel ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen. Remus war nicht da, sie hatte ihn seit dem Frühstück nicht gesehen. Er war nicht zum Spiel gekommen. Es musste mit ihm zutun haben! Warum sonst sollten sie nach June verlangen?

Als hätte man sie wachgerüttelt, kam plötzlich Bewegung in sie. Zuerst drückte sie sich nur beschwerlich durch die Menge, ließ sich von ihr mitziehen. Dann wurde sie immer drängender, ungeduldiger, quetschte sich an anderen vorbei, schubste einen Viertklässler zur Seite. Immer schneller pochte ihr Herz und genauso schnell ging ihr Atem. War Remus etwas passiert? War er verletzt? "Ich muss hier durch, bitte - aus dem Weg!" Sie hörte, wie sich einige bei ihr beschwerten und sah aus den Augenwinkeln, wie ein kleines Mädchen stolperte, doch es war ihr egal. Sie musste zu McGonagall. Sie musste wissen, ob es ihrem Bruder gut ging. Man sagte ja, Zwillinge spürten es, wenn es einem von ihnen nicht gut ging, doch June spürte nichts als Angst und das hielt sie für kein gutes Zeichen.

Als sie sich endlich einen Weg von der Tribüne erkämpft hatte, sah sie Sirius und James von links auf sie zukommen, doch sie hielt nicht an und schließlich wurden sie von der Menge weggetrieben.

"June!" Jemand rief mehrmals ihren Namen, doch sie ignorierte es und lief einfach weiter, bis sie jemand am Arm packte und grob umdrehte. Noah stand vor ihr, die dichten Augenbrauen besorgt zusammengezogen, seine Haut noch blasser als sonst. June wollte sich losreißen, doch sein Griff war zu stark. "Was willst -" "Miss Lupin!" McGonagall kam auf sie zugelaufen und fast augenblicklich ließ Noah von ihr ab. "Folgen sie mir", forderte McGonagall ohne jegliche Erklärung, drehte sich abrupt wieder um und schritt energisch in Richtung Schloss.

June ließ Noah einfach stehen und eilte ihr hinterher. Auf ihre Fragen, was passiert war, reagierte die Lehrerin nicht. Ihre Miene war steinern und ernst, ihre Augen jedoch verrieten tiefe Besorgnis. Bis sie die Eingangshalle passiert und McGonagalls Büro betreten hatten, sagte sie kein weiteres Wort zu ihr.

"Setzen Sie sich." Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. June dachte gar nicht daran. "Was ist los? Wo ist Remus? Geht es ihm gut? Ist etwas mit unseren Eltern? Wieso muss die ganze Schule in ihre Gemeinschaftsräume? Was ist hier eigentlich los?!" Ihre Stimme zitterte vor Aufregung und sie ballte die Fäuste, damit ihre Finger nicht genauso zitterten.

McGonagall bedachte sie mit ihrem ernsten Blick über die Ränder ihrer Brille. "Bitte setzen Sie sich, Miss Lupin", bat sie erneut, diesmal nachdrücklicher. Trotzig verschränkte June die Arme vor der Brust. "Nein. Ich will wissen, was hier vorgeht." Dass sie sich respektlos gegenüber ihrer Lehrerin verhielt, hätte sie niemals gedacht. Doch sie konnte nur an Remus denken und es machte sie wütend, dass sie keine klare Antwort bekam.

Für ein paar Sekunden lang lieferten sich die Professorin und sie ein Blickduell, bis McGonagall zu Junes Erstaunen seufzte und sich selbst auf ihrem Stuhl niederließ. "Ihre Eltern sind auf dem Weg hierher."
Junes verschränkte Arme lösten sich zögernd. "Warum?", fragte sie vorsichtig und die Angst schwoll in ihrer Brust wie ein Ballon an. "Ihr Bruder - er ... " Der Ballon drückte ihre Kehle zu und ihr wurde übel. Ihr Atem ging flach, sie befürchtete ohnmächtig zu werden. "Was ist mit Remus?", krächzte sie.

McGonagall sah ganz und gar nicht so aus, als wollte sie dem Mädchen antworten, denn sie strich sich über eine Augenbraue, rückte ihre Brille zurecht und räusperte sich, bevor ihr Blick wieder zu ihrer Schülerin wanderte. "Sicher, dass Sie sich nicht setzen wollen?" June presste die Lippen zusammen. "Was ist mit Remus?", wiederholte sie ihre Frage, diesmal ungeduldiger.
McGonagall seufzte kaum hörbar. "Ihr Bruder wurde angegriffen."

Mit einem Plumpsen ließ sich June nun doch auf einen Stuhl fallen. Ihre Angst hatte sich bestätigt. Sie war nicht fähig etwas zu entgegnen. Die Professorin schien dies zu bemerken, denn sie fuhr fort. "Er liegt im Krankenflügel. Er ... es hat ihn ziemlich stark getroffen, bisher ist es kritisch, ob er es schafft."

Stille erfüllte den Raum. Der Schock saß so tief in Junes Knochen, dass sie sich nicht bewegen konnte, nicht weinen oder schreien konnte. Sie konnte nur da sitzen und ihre Hauslehrerin anstarren. "Nein", hauchte sie schließlich, dann musste sie kichern. "June ..." "Nein", wiederholte sie, "Remus wurde nicht angegriffen. Das ist Schwachsinn ... komplett idiotisch."

Sie erhob sich, ihr Blickfeld schwankte. "Ich muss jetzt zum Quidditchspiel, Professor. Gryffindor gegen Slytherin, haben sie das vergessen?" Sie schritt auf den Ausgang zu, McGonagall erhob sich. "Miss Lupin, ich weiß es ist ein Schock für Sie, aber Sie müssen- June!" June schwankte, alles drehte sich und sie spürte nur noch, wie sie fiel. Sie musste wieder lachen. Remus war nicht verletzt, was für ein blöder Scherz. Dann wurde alles schwarz.

Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt