Einunddreißig

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June wurde neben ihren Bruder gezerrt, wo man sie wie einen nassen Sack fallen ließ. Remus schien bewusstlos zu sein, sie konnte sehen, dass sein Kopf schlaff auf seiner Schulter lag. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals.

Sie hatte nicht die Kraft, sich an dem Stuhl hochzuziehen, weshalb ihr keine andere Wahl blieb, als an Ort und Stelle liegen zu bleiben. Dennoch streckte sie die Hand nach dem Stuhlbein aus, um wenigstens ein Gefühl von Halt zu haben. Wann würde ihr Körper endlich nicht mehr schmerzen?

Sie sah, wie Greybacks massige Gestalt näher an ihren Bruder herantrat.
"Nein", murmelte sie kraftlos, "Nein, gehen Sie weg von ihm!"
"Ich will ihn nur aufwecken", säuselte Greyback und öffnete mit einem kleinen Plop eine Flasche, die in seinen riesigen Pranken winzig wirkte.

Er packte Remus an den Haaren, legte seinen Kopf in den Nacken und kippte eine violette Flüssigkeit in den Rachen ihres Bruders. Dieser würgte und gurgelte fast augenblicklich, zuckte, als würde sein Körper sich gegen den Trank wehren, doch Greyback hielt ihm Mund und Nase zu, sodass ihm keine andere Wahl blieb, als das Gebräu hinunterzuschlucken.

"Lassen Sie ihn!", krächzte June, gewann durch die brennende Wut in ihren Adern und das Adrenalin, das durch sie hindurchpumpte, neue Kraft. Sie packte Greybacks Hosenbein, versuchte ihn wegzuziehen. Wie eine federleichte Fliege, schüttelte er sie ab und trat ihr gegen den Arm, der eklig knackte.

"Himmel, hätte nicht gedacht, dass das Ding so nervig ist", meinte er gereizt, während June sich vor Schmerzen krümmte und ihren pochenden Arm gegen ihre Brust presste. Der Schmerz wickelte sie wieder in zunehmende Benommenheit ein.

Dann erhielt Remus wieder seine Aufmerksamkeit, der stöhnend und mit flatternden Augenlidern zu sich kam. Er runzelte die Stirn, merkte, dass er gefesselt war. "Was zum - " Greyback lachte wie ein kleines Kind, das sich über eine Tafel Schokolade freute. Als Remus ihn erkannte, riss er die Augen auf, seine Brust hob und senkte sich hektisch.

"Na, hast du mich vermisst?" Greyback ging vor ihm hin und her, wie ein Raubtier. "Ich für meinen Teil habe dich unglaublich vermisst, habe mich nach deinem Blut gesehnt. Seit du ein Werwolf bist riechst du zwar nicht mehr ganz so süß wie dein liebes Schwesterchen hier, aber das stört mich nicht weiter."

Remus Augen wanderten zu Boden, an die Stelle an der June kauerte und er begann an seinen Fesseln zu zerren. "June! Was haben Sie mit ihr gemacht?!", schrie er wütend. "Sie hat mit dieser ganzen Sache rein gar nichts zutun!"

Greyback bleckte die Zähne und wiegte den Kopf hin und her. "Naja, sie ist die Tochter deines Vaters, was sie ziemlich in die Sache mit einbezieht und es könnte sein, dass ich hungrig sein werde, wenn ich mit dir fertig bin ... außerdem: Seit sie meinen Neffen hier angegriffen hat, ist er vermutlich auf Rache aus. Was meinst du, Phelon?"

Remus blinzelte als er Phelon sah. Sein Blick veränderte sich, er wurde unergründlich, man konnte ihn nicht deuten.
"Noah."
Er klang weder erstaunt, noch ängstlich. Sie kannten sich. Gut sogar. "Bist du wirklich so verbittert?", fragte Remus und schüttelte verständnislos den Kopf.

Phelon trat auf ihn zu, sein Blick war hasserfüllt. "Verbittert? Oh nein, Remus. Rachsüchtig trifft es eher. Du weißt genau, was du mir angetan hast", zischte er und seine Stimme triefte vor Abneigung.

"Ich hatte einen guten Grund!", gab Remus zurück. Phelon lachte kalt und schien Greyback erschreckend ähnlich. "Niemand kann etwas für sein Blut, Remus. Gerade du solltest das wissen." Er stand nun direkt vor ihm und beugte sich zu ihm hinunter. "Habe ich dich etwa weggestoßen, als ich dein Geheimnis erfahren habe? Habe ich dich im Stich gelassen?"

Remus konnte seinen durchdringenden Blick nicht standhalten und sah weg. "Wenn ich mit einem Mörder und Kannibalen unter einer Decke gesteckt hätte, hättest du mich genauso verraten", sagte er leise.

Phelons Augen verdunkelten sich. "Damals hatte ich noch nichts mit ihm zutun. Er war ein Verwandter, dem wir Schutz bieten mussten. Welch Ironie des Schickssals, dass gerade du mich dazu gebracht hast, mich auf seine Seite zu schlagen." Er sah den Gefesselten vor sich an und ein Hauch von etwas anderem als Hass schwang in seiner Stimme mit. War es Enttäuschung? "Wenn du mir geholfen hättest, Remus ..." Er ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.

Einige Momente lang sahen sich die beiden Jungen an. Von Sekunde zu Sekunde schien in beiden Augenpaaren die Feindseligkeit zu verblassen, während sie sich an die Vergangenheit erinnerten. Etwas anderes erschien in ihnen. Schmerz. Sehnsucht.

"Es war ein Fehler, Noah. Von beiden Seiten", flüsterte Remus.

Phelon presste die Lippen zusammen, sein Blick wurde wieder verschlossen, kalt. Er brach den Augenkontakt ab. "Die Frage ist, welcher moralisch verwerflicher war", meinte er kühl und drehte sich zu Greyback um, der das Geschehen schweigend beobachtet hatte. 

"Seid ihr nun fertig mit eurem Pipapo? Kann ich die Sache nun endlich beschleunigen?", wollte dieser ungeduldig wissen. Phelon warf einen letzten Blick auf Remus. "Es kann nicht früh genug losgehen, Onkel."

"Lasst June gehen, bitte! Sie ist unschuldig, in jeder Hinsicht! Sie weiß von nichts. Bitte lasst sie gehen", flehte Remus und zappelte wieder in seinem Stuhl herum. "Tötet mich, quält mich, mir egal. Aber lasst meine Schwester am Leben."

"Oh, nicht so ungeduldig, wir töten dich schon noch. Willst du denn nicht im Tod mit deinem Schwesterchen vereint sein?", grinste Greyback böse. 
Remus sah verzweifelt zu Phelon. "Noah, du weißt, sie kann nichts dafür. Sie ist vollkommen unschuldig. Würdest du mit diesem Gewissen leben können? Ich weiß, du könntest das nicht ertragen, Noah."

"Du kennst mich nicht mehr, Remus. Wenn du wüsstest, mit welcher Last ich schon gelebt habe. Ich habe mich verändert." Phelon wandte sich ab.

Hilflos sah Remus ihn an, dann sah er zu Greyback. "Bitte. Es wäre kein gerechter Mord. Sie ist harmlos, sie würde nie jemandem weh tun, wenn es nicht notwendig wäre. Sie ist doch so unschuldig!" Seine Stimme zitterte.

Greyback schien zu überlegen, denn er legte den Kopf schief. "So harmlos und unschuldig ist sie also?", fragte er und grinste schließlich böse, "Wäre es nicht viel aufregender, wenn wir das ändern würden?" 
"Was - wie - ändern?" Verwirrt sah Remus zwischen ihm und June, die noch immer, sich kaum regend, am Boden lag, hin und her.

Greybacks Blick wurde noch böser, als er langsam auf sie zuschritt. Wie ein Raubtier, bereit zum Fleisch reißen. "Was haben Sie vor?", rief Remus und versuchte sich aus seinen Fesseln zu ringen. Er konnte nicht zulassen, dass June etwas passierte!

"Keine Sorge, ich lasse sie am Leben. Allerdings wird sie nicht mehr ganz so harmlos sein", antwortete Greyback grinsend und packte die benommene June, zog sie zu sich heran. Er schloss die Augen und sog ihren Duft ein. "Wenn ich es mir recht überlege, hätte ich aber nichts gegen einen Snack." "Nein!", schrie Remus entsetzt. Greyback lächelte. "Wie du willst."

Er riss den Mund auf, das Maul, die scharfen, spitzen Zähne bereit zum zubeißen. Remus war starr vor Schock, er wusste nicht, was er tun sollte, er war vollkommen hilflos.

Junes Augenlider flatterten, sie zuckte. Greyback sabberte auf sie hinab.
Bevor sich die Zähne in ihren Hals versenken konnten, gab es plötzlich aus heiterem Himmel ein ohrenbetäubendes Krachen und die Wand zu seiner rechten zersplitterte, sodass er von den Holzsplittern begraben wurde. Der Raum wurde in Tageslicht getaucht und zwei Gestalten hoben sich von dem Hell ab.

"Halte durch, Moony! Ich reiße dem Biest den stinkenden Hintern auf!"

*

Na, wer könnte DAS denn jetzt sein XD

Wie ihr vielleicht bemerkt habt, nähern wir uns dem Ende. Ich denke schon länger darüber nach einen zweiten Teil zu schreiben, aber würde auch gerne eure Meinung dazu hören :) Vielleicht melden sich die stillen Leser auch mal XD

Würdet ihr es lesen?

Und habt ihr Ideen, was im zweiten Teil alles passieren könnte?

Natürlich habe ich schon selbst einige Ideen gesammelt aber vielleicht inspiriert ihr mich ja ^^

Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt