Dreißig

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June brachte kein Wort hervor, als Noah - nein, Phelon - in das Licht der Kerzen trat. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, als hätte er keinerlei Emotionen.

"Ich muss zugegeben, ich war ziemlich sauer, als ich von dem Angriff gehört habe", durchdrang Greybacks Stimme die Stille und June zuckte zusammen, "Schließlich will ich ihn zur Strecke bringen! Aber es war ein Fehler, aus versehen, und Fehler macht jeder. Immerhin hast du ihn nicht umgebracht."
"Es war ... ungeplant", entgegnete Phelon und man erkannte die übliche Arroganz in seiner Stimme.
Greyback zeigte seine spitzen, gelben Zähne. "Wie auch immer. Bring das Mädchen in den Keller. Ich muss noch etwas für ihren Bruder vorbereiten."

Mit diesen Worten verschwand er mit schweren Schritten in einem Nebenraum. "Ja, Onkel." Als Phelon auf sie zukam, wich sie zurück. "Bleib mir vom Leib!", zischte June wutentbrannt. "Du Bastard hast Remus fast umgebracht!"

Da sie nun nicht mehr von Greyback festgehalten wurde, konnte sie sich aufrappeln und kletterte über den Tisch, sodass dieser Phelon von ihr trennte. "Mach keine Spielchen, June", seufzte er. June griff in ihre Tasche. Wo war eigentlich ihr verdammter Zauberstab?

"Du bist derjenige, der Spielchen macht, Phelon", spuckte sie ihm entgegen, "Tust so, als würdest du mir helfen wollen und verrätst dabei die gesamte Zauberergemeinschaft! Ich habe dir von Anfang an nicht vertraut." Sie griff hinter sich, ihre Finger suchten nach irgendeiner Waffe. "Du weißt immer nur die Hälfte von allem, ist dir das mal aufgefallen?", entgegnete Phelon und lächelte. Dann packte er ruckartig den Tisch. Unter lautem Quietschen zog er ihn aus dem Weg. Das wars. Der Weg war frei. "Du bist so unwissend, das es mir schon fast leid tut."

"Was meinst du damit?", rief June und versuchte das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. Vergeblich. Sie wich noch weiter zurück und endlich fanden ihre Hände etwas zum Packen. Sie wusste nicht, was es war, doch es war hart und das reichte ihr.

"Dein Brüderchen soll es dir erklären", antwortete er und war nun nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. "Und jetzt lass den Mist, sonst endet das unschön für dich", zischte er genervt und überbrückte die letzten Meter.

June stand im Schatten, weshalb er die Scheibe, die sie auf seinen Kopf knallte und die in tausend Teile zersprang, nicht kommen sah. Phelon schrie auf und knickte ein, hielt sich den Kopf und June wartete keine Sekunde länger ab. Mit einem Sprung hechtete sie an Phelon vorbei, der noch die Arme ausstreckte, doch sie nicht zu fassen bekam. Sie rannte auf die gegenüberliegende Tür zu. Wo sie hinführte, wusste sie nicht, doch darüber machte sie sich gerade keine Gedanken. Gerade als sie die Türklinke zu fassen bekam, wurde sie in die Luft gerissen. "Crucio!", rief jemand und June öffnete den Mund zu einem Schrei.

Ein Schmerz, ein unglaublicher Schmerz, den sie noch nie zuvor gespürt hatte, zog sich durch ihren Körper. Ihre Gelenke und Muskeln - alles schien sich zu krümmen und zu brechen. Vor Schmerzen konnte sie nicht atmen, in der Luft schwebend wand sie sich hin und her, doch es gab kein Entkommen vor dem Schmerz. Ihr Blut schien zu kochen, ihre Bauchdecke schien aufzureißen, ihr Kopf schien zu platzen. Die Sicht verschwamm, ihre Augen verdrehten sich, ihre Adern traten blau hervor.

Dann hörte es plötzlich auf und sie knallte mit dem Rücken zu Boden. Jegliche restliche Luft wurde aus ihrer Lunge gepresst. Ein Piepsen tönte in ihrem Ohr, sie hörte nichts anderes. Der Boden vibrierte, als Schritte auf sie zu kamen und sie jemand an den Armen packte und wegschleifte. Kurze Zeit später knallte ihr Kopf gegen etwas hartes am Boden und das Piepsen in ihren Ohr wurde lauter, die Sicht verschwommener, der Schmerz stärker. Dann verlor sie das Bewusstsein. 

Als June wieder zu sich kam, war es um sie herum fast stockdunkel. Es roch nach abgestandener, muffiger Luft und Erde. Ihre einzige Lichtquelle kam von oben durch klitzekleine Risse. Sie musste sich unter dem Boden befinden.

Ächzend wollte sie sich aufsetzen, doch sie zuckte zusammen und sank wieder zurück zu Boden. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper schmerzte unermesslich. Wie tausende kleine Nadelstiche bohrte sich der Schmerz in ihre Nerven. Doch sie gab nicht auf und unternahm einen zweiten Versuch.

Mit angehaltenem Atem, den Mund zu einem stummen Schmerzenschrei verzogen, richtete sie sich auf. Keuchend saß sie nun. Obwohl es sich nur um Sekunden der Anstrengung handeln konnte, war ihr so schwindelig geworden, dass sie befürchtete, wieder das Bewusstsein zu verlieren.

Sie versuchte ihre vor Angst und Kraftlosigkeit zitternde Atmung zu beruhigen. "Ganz ruhig, June", flüsterte sie zu sich selbst, "In Panik zu verfallen hilft dir nicht weiter."
Sie schloss die Augen. Atmete ein, atmete aus, atmete ein, atmete aus.

Dann hörte sie plötzlich polternde Schritte über ihrem Kopf und etwas rieselten auf sie hinab. Augenblicklich schoss ihr Puls in die Höhe, ihre Atmung verschnellerte sich. Sie atmete etwas ein, womöglich war es Staub oder Dreck, und der schmerzhafteste Hustenanfall ihres Lebens überkam sie. Sie röchelte und hustete, ihre Kehle war unglaublich trocken und kratzte.

Als der Anfall endete, war ihr Gesicht tränenüberströmt. Sie lauschte. Die Schritte waren längst verklungen, doch nun wussten Greyback und Phelon zu hundert Prozent, dass sie wach war. Sie wunderte sich, dass sie nicht schon längst umgebracht worden war, schließlich hatte sie einen Fluchtversuch unternommen und diesen Verräter verletzt.

Hoffentlich tut es noch richtig weh, dachte June hasserfüllt. Sie hatte nie viel mit Phelon zutun gehabt, doch dass er jeden einzelnen auf Hogwarts so hinterging, indem er mit einem Mörder und Anhänger Voldemorts gemeinsame Sache tat, ja sogar verwandt war ... das hätte sie niemals gedacht. Obwohl ... er kam ihr schon von Anfang an seltsam vor, doch sie hatte ihn einfach für einen zurückgezogenen Einzelgänger gehalten. Nicht für einen Psychopathen.

Wieder ertönten Schritte über ihr, doch diesmal waren sie lauter. Nun beging June nicht den Fehler und atmete ein, sondern hielt die Luft an, bis die Schritte über ihren Kopf hinweg traten. Nach drei weiteren Schritten hielt die Person an. Mit einem Qietschen öffnete sich plötzlich ein großes quadratisches Loch in der Decke, das plötzliche Licht stach in Junes Augen.

Mit zusammengekniffenen Lidern beobachtete sie, wie eine hölzerne Treppe herunterratterte und jemand die Stufen hinab stieg. Es war Phelon.

"Schönes Schläfchen gehabt?", fragte er feixend, während er auf sie zutrat. Wut und Hass brodelten wieder in June auf, als sie daran dachte, welche Qualen ihr zugefügt worden waren. "Verschwinde! Bleib weg!", zischte sie wütend und rutschte von ihm davon, auch wenn sie deswegen vor Schmerzen fast geschrien hätte.

"Sei nicht dumm, du tust dir nur selbst weh." Er klang kein bisschen so, als würde er sich darum sorgen, denn er sah ihr mit vor der Brust verschränkten Armen dabei zu, wie sie vor ihm weg kroch. "Du kommst hier nicht weit, June. Das ist ein Lagerraum."

Schließlich musste sie es schwer atmend aufgeben und blieb  einfach auf der Stelle liegen. Die Schmerzen waren zu groß. Ihr war wieder schwindelig geworden, alles drehte sich. "Ich hab's dir ja gesagt", meinte Phelon mit einem schadenfrohen Unterton und June sah verschwommen, wie er die wenigen Meter zwischen ihnen überbrückte.

Geh weg! , wollte sie rufen, doch sie atmetete viel zu schwer, als das sie einen Ton hätte herausbringen können. Dann wurde sie unter den Armen gepackt und hochgezogen. June stöhnte auf vor Qual, doch sie konnte sich nicht wehren, als sie über den Boden und schließlich die hölzerne Treppe hinaufgeschliffen wurde.

Sogleich empfing sie Greybacks Stimme. "Ah, sieh an. Das Zwillingspaar wieder vereint!"

Mit den letzten Krümeln Kraft, die June noch aufbringen konnte, hob sie den Kopf und ein Laut halb Schluchzen, halb wütendes Schnauben verließ ihre Kehle. In der Mitte des Raumes, angebunden auf einem Stuhl, den Körper umwickelt mit Verbänden, saß Remus.

Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt