Zwölf

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Da es schon fast Zeit zum Abendessen war, traf sie auf mehrere Schüler, die sich einen guten Platz sichern wollten. Auch June wollte schon zum Essen gehen, doch vorher suchte sie noch das Badezimmer auf. Schon als sie die schwere Tür öffnete, hörte sie ein Schniefen. Verwirrt stoppte sie und lauschte, doch sie hatte sich wohl verhört. Kurz mit der Achsel zuckend, erledigte sie schließlich ihr Geschäft und, als sie den Wasserhahn aufdrehte und das kalte Wasser über ihre Hände laufen ließ, hörte sie es schon wieder. Ein unterdrücktes Schluchzen.

Schnell stellte sie das Wasser ab. "Hallo?", fragte sie und ihre Stimme hallte dreimal lauter, als sie eigentlich war, von den Wänden wieder. Stille. Vorsichtig ging June auf die letzte Kabine zu, aus der sie das Geräusch von vorhin vernommen hatte. "Ist da jemand drin?" Sanft klopfte sie gegen das Holz. "Nein", hörte sie eine zitternde Stimme, bei der man deutlich vernahm, dass deren Besitzer geweint hatte. "Lily?"

Stille. Dann wurde die Kabinentür langsam einen Spalt breit geöffnet. June zögerte erst, bevor sie gegen das Holz drückte. Ihr bot sich ein elender Anblick. Die sonst so schöne, strahlende Lily Evans  saß auf dem Toilettendeckel, die Beine angezogen, das hübsche Gesicht nun völlig verheult, die roten Haare verwuschelt und die grünen Augen tränend.

June sah sie einen Moment schweigend an, dann reichte sie ihr ein Taschentuch aus ihrer Umhangtasche. Lily nahm es an und trocknete sich die Augen, schniefte wieder.

"Du bist die andere Lupin, nicht wahr?", fragte sie nach einem kurzen stillen Moment und biss sich augenblicklich schuldbewusst auf sie Lippe. "Entschuldige, ich meinte nicht andere -" June winkte schwach lächelnd ab. "Schon gut."

Die andere Lupin. Sie hörte es nicht zum ersten Mal. Für die Leute war sie eben nur die andere. Schließlich hatte sie es bis vor ein paar Wochen gar nicht gegeben. June hatte sich daran gewöhnt.

Sie sah Lily an. Diese starrte einfach nur geradeaus, wischte sich eine einzelne stumme Träne von der Wange.
Ihre aufbrausenden Flammen im Gemeinschaftsraum schienen erloschen zu sein.

"Möchtest du lieber alleine gelassen werden?", fragte June sanft und griff schon nach dem Türgriff.
Lily schien zu zögern, dann schüttelte sie den Kopf. "Nein, bleib. Bitte."
June nickte und schloss die Kabinentür. Langsam ließ sie sich gegenüber von dem traurigen Mädchen auf den Steinboden sinken. Es herrschte wieder einen Moment Stille, in der man nur die trampelnden Schritte der anderen Schüler im Gang hörte.

"Er ist so ein Idiot", murmelte die Rothaarige plötzlich. June sah auf, ihr war klar, dass sie von James sprach.
"Was dachte er sich denn dabei?" Sie sah June an, als erwarte sie eine Antwort. June wusste nicht was sie sagen sollte. "Du bist doch mit ihm befreundet nicht wahr?" Lily zerknüllte das Taschentuch in ihrer Hand ohne sie anzusehen. "Ja, schon ...", antwortete June und kratzte sich am Kinn. Verlegen sah sie zu Boden. Als Lily weiter sprach, zitterte ihr Stimme und sie klang so unsicher, dass June sie am liebsten in den Arm genommen hätte. "Ist das für ihn nur ein dummer Scherz gewesen? Wollte er mich auf den Arm nehmen? Oder will er wirklich mit mir ausgehen?"

June blickte ihr in die grünen Augen, die so verletzt wirkten. Dann lächelte sie.
"Ich kenne James nicht besonders lange und auch nicht besonders gut und er hat vorhin einige Sachen gesagt, die er vielleicht nicht hätte sagen sollen."
Lily schnaubte. "Aber", fuhr June fort, "Ich weiß, dass er es ernst gemeint hat. Er hat es in einer schrecklichen Art verpackt, ja, aber er mag dich wirklich."

Lily schwieg und starrte auf das Taschtuch, das sie unbewusst in kleine Fetzen zu zerreißen schien.
"Er hasst sich gerade selbst für die Show, die er abgezogen hat", sagte June und dachte an den verzweifelten James, um den sich Sirius nun hoffentlich kümmerte.
Lilys Mundwinkel zuckten. "Ja, es war ziemlich bescheuert", murmelte sie. June lächelte. "Ziemlich ist untertrieben. Es war mitleiderregend", meinte sie und Lily konnte ein Kichern nicht unterdrücken. "Es war typisch James Potter."

Dann fing sie an zu lachen und June stimmte mit ein. Eine lachende Lily Evans war viel schöner anzusehen, als eine weinende, auch wenn ihr Gesicht noch immer vollkommen verschmiert war.

"Du magst ihn auch, nicht wahr?", wollte June wissen und Lily beruhigte sich wieder. Sie lächelte leicht. "Irgendwie schon. Er ist nur ... ach, ich weiß auch nicht. Manchmal ist er so ein Hohlkopf und nervt mich, dann ist er wieder lustig und bringt mich zum lachen, selbst wenn ich einen schrecklichen Tag hatte." Sie seufzte. "Ich weiß nicht, was ich tun soll."

Er herrschte wieder eine kurze Zeit Schweigen. "Gib ihm eine Chance. Rede mit ihm", schlug June schließlich vor, doch die Rothaarige schüttelte den Kopf. "Nach meinem Ausraster wird er wahrscheinlich sowieso nicht mehr mit mir ausgehen wollen."
June lachte. "Oh doch, glaub mir." James würde selbst mit ihr ausgehen wollen, wenn sie ihm eine Schrumpelfeige ins Gesicht geworfen hätte. Schließlich beruhigte sie sich wieder. "Wirklich, Lily. Sprich mit ihm, ich weiß er hat auch eine andere Seite als seine idiotische."
Lily schien darüber nachzudenken. Dann hob sie den Kopf und lächelte. "Ja, du hast Recht. Ich werde mit ihm reden." Dann erhob sie sich vom Toilettendeckel und reichte June die Hand, um sie auf die Beine zu ziehen. "Aber erst", sagte sie und grinste, "Müssen wir diese Sauerei aus meinem Gesicht waschen."

Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt