Neunundzwanzig

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Sie traute sich nicht, sich zu bewegen. Selbst wenn sie gewollt hätte, wäre sie nicht fähig gewesen, auch nur einen Muskel zu rühren. Als die Person hinter ihr zu sprechen begann, schienen ihre Adern zu gefrieren.

"Ihr riecht noch viel besser, wenn ihr vor Angst zittert", schnurrte es tief und grollend in Junes Ohr, warm und feucht. Der übel riechende Atem stieg ihr in die Nase, es roch nach vergammelten Fleisch. Die Person an sich roch nach Schweiß, Dreck und Blut. Ihr wurde wieder so schlecht wie zuvor und sie hatte sich sicherlich nochmal übergeben, wenn ihr Körper ihr gehorchen hätte.

Unfähig, sich zu wehren, spürte sie, wie eine große Hand ihren Arm hinaufwanderte, mit einem spitzen Fingernagel über ihr Schlüsselbein strich, kratzte, und dort stoppte. June konnte ein leises Wimmern nicht unterdrücken. Ruckartig packte die Hand nach ihrer Kehle und drückte zu. June japste, krallte sich in ihrer Blindheit in die Hand ihres Angreifers, versuchte sie von ihrem Hals zu zerren.

"Du glaubst gar nicht, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe", zischte die Stimme, es glich einem Knurren. 

Ihr Angreifer war so stark, dass er sie mühelos mit einer Hand ein paar Zentimeter über den Boden heben konnte. Tränen rannen ihr über die Wangen, ihr Atem war nichts als ein Röcheln. Ihr Kopf war wie leergefegt und doch schien er kurz vorm Platzen zu sein. Der einzige Gedanke, der ihr immer wieder durch den Kopf ging, war Das muss ein Irrtum sein, das muss ein Irrtum sein. Ihre Befreiungsversuche wurden schwächer, ihre Hände rutschten ab, ihre Augenlider wurden immer schwerer.

Dann ließen die Hände unvermittelt von ihr ab und sie schlug hart auf dem Boden auf. Sofort rang sie nach Atem, hustete, würgte. Jeder mühsame Atemzug schmerzte und brannte in ihrer Kehle. Etwas dröhnte über ihr, doch ihr Kopf war wie in Watte gepackt, durch ihre tränenden Augen sah sie, dass es hell wurde, doch alles war verschwommen.

Man ließ ihr keine Zeit zur Beruhigung, nur wenige Augenblicke später wurde sie an den Haaren gepackt und auf dem Rücken über den Boden geschleift. Vor Schmerz schrie June auf, doch nichts als ein heiseres Krächzen, das zu einem Hustenanfall führte, kam aus ihrem Mund, wurde von dem Dröhnen übertönt. Als man ihre Haare endlich losließ, kniff sie die Augen zusammen und schüttelte leicht den Kopf, um klarer sehen und denken zu können. Was zur Hölle passierte hier?

Nach kurzer Zeit erklang wieder das Dröhnen und nun konnte June es auch zuordnen. Es war ein kaltes, tiefes Lachen, das ihre Adern vibrieren ließ. Schließlich wurde ihre Sicht klarer und sie erkannte auch wo sie war. Sie befand sich in einer Art Haus, das vollgestellt mit alten Möbeln und Kartons und von einer dicken Staubschicht dekoriert war. Jemand hatte schwebende Kerzen in die Luft gezaubert, die Fenster waren mit Brettern vernagelt, sodass das Tageslicht keine Chance hatte hindurchzudringen.

"Hübsch, nicht wahr?"

Abrupt wandte sich June, noch immer auf dem staubigen Holzboden sitzend, zu der Stimme um, die direkt über ihr zu sein schien. Erschrocken schrie sie auf, rutschte rückwärts weg von dem Ungeheuer, das sich über ihr aufgebaut hatte.

Ein Mann, so groß und massig, dass er fast die Decke berührte, eine Fratze mit schmalen, unmenschlichen Augen, die sie gierig anstarrten, die Nase hatte schon fast Ähnlichkeit mit einer Schnauze, fellbezogene Hände mit scharfen gelblichen Fingernägeln und verfilztes dunkles Haar, das sich über seinen ganzen Körper zu ziehen schien, starrte auf sie hinab. Das vor ihr war weder Mensch noch Tier.

Die Kreatur legte den Kopf in den Nacken und lachte wieder dröhnend, labte sich an ihrer Angst. Er atmete tief ein. "Aah, der süße Duft der Todesangst. Anziehender als jedes Eau de Parfum."

Junes Herz klopfte wild in ihrer Brust, ihre Hände zitterten vor Angst und ihre schien sich nicht mit genug Luft füllen zu können.

"Fast elf Jahre lang habe ich mich nach ihm gesehnt", knurrte er und kam mit schweren, langsamen Schritten auf sie zu. June wich immer weiter zurück, bis sich ein Tisch in ihren Rücken bohrte und ihr den Weg versperrte. Die Kerzen warfen flackernde, grausame Schatten auf das Gesicht ihres Gegenübers, was ihn noch furchterregender aussehen ließ.

Werewolf's Sister// Rumtreiber FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt