Prolog

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Sie nannten ihn kalt. Gefühllos. Ein Monster. Normalerweise hörte sie nicht auf das Geschwätz irgendwelcher Dorfbewohner. Normalerweise bekam sie davon auch nichts mit. Doch dieses Mal war das Geschrei der Bevölkerung so groß, dass sie es einfach nicht mehr ignorieren konnte. Sie konnte ihre Angst praktisch riechen. Aber was sollte sie tun? Ihr Vater wollte Macht. Ihre Mutter schwärmte von Reichtum, auch wenn sie bereits bekamen was immer sie wollten.

Ihre Familie war eine der mächtigsten im ganzen Land. Und doch wollten ihre Eltern immer mehr. Immer mehr Städte und Dörfer unter ihrer Herrschaft.

Sie schreckten vor wenig zurück. Allein ihr eigenes Wohl und das ihres Besitzes waren ihnen wichtig. So verheirateten sie auch ihre einzige Tochter an einen Mann, der im gesamten Land wegen seiner Grausamkeit gefürchtet wurde.

Er besaß schließlich Macht. Genügend Macht und Besitz um ihre Eltern für eine kurze Zeit zufrieden zu stellen.

All ihre Untertanen zitterten vor diesem grausamen Herrscher.

Aiko wusste nicht was ihre Eltern vorhatten, doch sie mussten irgendeinen Plan haben, um diesen berüchtigten Herrscher seiner Macht zu berauben.

Sie würden sie gewiss nicht mit irgendjemanden teilen, geschweige denn, ihre Mach gänzlich abgeben.

Sie dachten nicht mal über ein Erbe nach. Sie glaubten wahrscheinlich sie würden ewig leben. Sie hielten sich für Götter. Wie überheblich sie waren.

Aiko tat ihr zukünftiger Ehemann schon fast leid, wenn sie daran dachte, wie viele Männer ihre Eltern schon betrogen und wie vielen sie ihre Macht gestohlen hatten. Mit Lügen, Betrug und Drohungen.

Geduldig wartete sie, bis ihre Dienerin ihr die letzte Perle in die Haare geflochten hatte. Nun konnte sie sich im Spiegel betrachten. Ihr prächtig bestückter Kimono saß Perfekt auf ihrem Körper. Ihre Haare waren zu einer unglaublich komplizierten Frisur geflochten und mit Perlen umwunden. Ihr Gesicht wies keinen Makel auf. Sie gehörte zu den Reichsten der Welt und jeder sollte es sehen.

„Jeder soll sehen wie weit du über ihnen stehst. Wie unerreichbar du bist." Hatte ihr Vater ihr einmal gesagt. Sie wusste, was er ihr hatte sagen wollen. Sie sollte aussehen wie eine Göttin. Unsterblich und wunderschön. Aber jeden Tag wurde sie von ihrer Mutter an den Pranger gestellt. Jeden Tag wurde sie auf ihre Fehler hingewiesen. Sie war zu dünn, ihre Haare waren dem braun zu nahe und nicht perfekt Schwarz, ihre Nase war zu groß und ihre Haare zu kurz. Es wurde einfach zu schnell brüchig. So war sie nicht perfekt. So war sie keine Göttin.

Bei diesen Mängeln blieb es. Sie machten sich nicht einmal die Mühe auf ihre Persönlichkeit einzugehen. Aiko war sich sicher, dass sie sie überhaupt nicht kannten. Sie wussten nichts von ihr.

Sie wusste, dass der große Teil ihres Landes arm war. Alles waren sie Bauern, niedere Möchtegern Adelige oder Soldaten.

Sie alle sahen zu ihr auf. Aiko konnte das verstehen. Sie hatte immer genug zu Essen und nach außen hin sah sie glücklich und reich aus. Als könne sie zu jeder Zeit alles tun was sie wollte. Als kenne sie keine Sorgen.

Doch in ihrer Welt war alles kalt und fade. Die Gesichter der Diener blickten ihr immer nur gefühllos entgegen. Nie konnte sie bei ihnen eine Gefühlsregung erkennen.

Selbst als sie in den Spiegel sah, erblickte sie nur kälte.

Sie verstand nicht wie ihre Eltern sie nicht mögen konnten. Sie hatte ihr gesamtes Leben versucht, ihrem Bild zu entsprechen.

Sie war wunderschön, das hatte man ihr oft gesagt. Sie zeigte nie Gefühle, außer sie musste ein höfliches Lächeln aufsetzen wenn adeliger Besuch kam. Selbst als ihre Hebamme gestorben war, hatte sie sich in der Öffentlichkeit zurückgehalten. Ihre Schminke war nie verlaufen. Sie hatte keine Träne vergossen. Sie drückte sich immer höflich aus, benahm sich immer angemessen und wechselte mit ihren Untertanen kein Wort. Wie konnten ihre Eltern sie noch bemängeln. War es, weil es gespielt war?

In ihrem inneren war sie nicht perfekt. Nicht im Geringsten. Sie war traurig wegen ihrer Hebamme, die ihr mehr Mutter gewesen war als jemals jemand anderes, sie hatte Angst vor ihrem Verlobten und sie hasste. Sie hasste so vieles.

Es wurde ihr zu viel. Alles wurde ihr zu viel. Sie fühlte sich als stünde sie im Wasser. Ihre Beine waren an den Boden gekettet. Es stieg ihr bereits bis zu den Ohren und sie versuchte panisch noch an Luft zu kommen. Und es stieg immer weiter.

Sie drehte sich zu ihren Dienern um.

„Danke. Ihr könnt jetzt gehen." Sagte sie kalt.

Sie wusste nicht, ob es sie freute, dass sie sich bedankte. Wie immer verbäugten sie sich und verließen den viel zu pompös geschmückten Raum. In allen Ecken standen alte Erbstücke und Zeugen ihrer Reichtümer. In ein paar Tagen stand die Hochzeit an. Und schon jetzt war alles mit Festen vollgestopft. Nie hatte sie eine Sekunde ruhe vor den Stinkenden Kerlen die sie oft besuchten um zu feiern. Die überheblichen und lauten Männer, die um sie warben, obwohl sie wussten, dass sie verlobt war. Sie hasst es.

Erschöpft lehnte sie sich an die Wand, bedacht darauf, ihren teuren Kimono keine Falten zu verpassen und blickte durch das Fenster, das gegenüber von ihr lag.

Sie sah die Berge weit im Süden. Sie sah ihre Stadt und ihre Untertanen, wie sie durch die Straßen wuselten. Sie befand sich im obersten Stockwerk ihres Schlosses. Und ihr Schloss war auf einem Hügel erbaut worden, sodass man von allen Seiten ihre Stadt überblicken konnte.

Doch sie war den Anblick überdrüssig geworden. Das einzige schöne was es hier noch zu entdecken gab, waren die Sterne. Sie liebte dieses gottgleiche Silberflies, das den düsteren Himmel bedeckte. Sie liebte den Mond. Sie nannte ihn heimlich „den Kaiser der Nacht". Besonders zu Vollmonds Zeit thronte er würdevoll und alle Sterne überstrahlend am Himmelszelt.

Sie erinnerte sich am Tage noch gerne daran. In den schlimmsten Zeiten erinnerte es sie daran, dass auch die finstersten Tage wieder vom Licht erhellt werden würden.

Sie atmete tief ein und wieder aus. Machte sich bereit für ein weiteres Festessen, voller aufgesetzter Freude und Freundlichkeit. Voller Schauspiel und Lügen. Voller Zwang und Etikette.

Wenige Momente später rief sie jemand vor der Tür herbei. Die Gäste würden bald eintreffen und sie musste sie ja schließlich begrüßen.

Wie sehr sie es hasste.

Das Gift in ihrer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt