Verblüfft starrte Aiko auf das Papier in ihrer Hand. Elegant geschwungene Schrift überzog das edle Material. Diese feinen Linien, diese verschlungene Art die Schriftzeichen zu malen. Sie kannte diese Schrift.
Sie schüttelte den Kopf. Solch eine Verschwendung. Solch teures Material allein für...
„Eine Einladung auf das Schloss meiner Eltern?!"
Naraku, der ihr eben den Brief überreicht hatte, blickte ihr mit ausdrucksloser Mine entgegen.
„Das können die doch nicht ernst meinen."
Noch immer völlig außer Fassung lief sie in Narakus Zimmer hin und her.
„Erst schicken sie mich weg ohne mich zu fragen! Dann geben sie 9 Monate kein Lebenszeichen von sich, in denen ich die Hölle durchmachen musste und jetzt meinen sie sich für mich interessieren zu müssen?!"
Ihr Ehemann antwortete nicht, sondern sah ihr nur mit ruhigen Augen entgegen.
„Bei den Göttern, was werden sie sagen, wenn sie mein Gesicht sehen!" sie schlug sich die Hände vor den Mund.
Ihre ehemals so perfekte Tochter, vernarbt und für ihr Leben gezeichnet. Was würden sie sagen? Es ging ihnen immer nur ums Aussehen. Makellose Schönheit! Und nun? Sie würden sie verstoßen!
„Sag doch auch mal was!" Ihre Stimme hatte einen verzweifelten Unterton angenommen, als sie sah, wie ihr Gatte dem ganzen so wenig Bedeutung zuzukommen schien.
„Was willst du tun?" war seine einzige Antwort.
Gute Frage. Was wollte sie denn?
Sie fürchtete sich davor, ihren Eltern gegenüberzutreten. Hatte Angst vor ihrer Reaktion. Sie wollte nichts lieber auf der Welt, als abzusagen.
Andererseits würden sie eine Absage niemals akzeptieren. Sie waren kein „Nein" gewohnt. Es hatte immer schon wenig Sinn gehabt ihnen zu wiedersprechen. Auch war sie in dieser Zeit so viel gewachsen. Sie war stärker geworden. Sowohl körperlich, als auch seelisch. Und sie verspürte den Drang es ihnen zeigen zu müssen.
„Ich weiß es nicht." gab sie zu und sah hinaus, in die frisch erblühte Landschaft. In der Ferne sah sie die satten, grünen Bäume, sah Vögel am Himmel fliegen und die Sonne, die von einem blauen Himmel hinab auf die kahle Erde schien. Wenn sie mit Sorano trainieren ging, was sich inzwischen zur täglichen Routine entwickelt hatte, konnte sie den Gesang der Vögel hören, das Zirpen der Insekten im Gras und das Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume. Doch sobald sie wieder zu den Hütten ging, die noch immer als provisorisches Schloss dienten, veränderte sich die Landschaft. Sie wurde kahler und kälter. Es war, als könnten die Sonnenstrahlen nicht gänzlich bis auf den Boden durchdringen. Die Erde blieb aufgewühlt und platt getrampelt, kein Tier wagte sich zu nahe an sie heran und nicht mal die Insekten ließen sich blicken.
„Gewiss werden sie deine Wunden nicht gutheißen können. Aber du kennst deine Eltern gut genug, um zu wissen, dass sie auch die Demütigung einer Absage nicht hinnehmen würden. Sie würden nicht locker lassen."
Aiko wandte ihren Blick vom Fenster ab.
„Du meinst, sie könnten hier auftauchen." Stellte sie fest.
„Du wirst sie sicher nicht unvorbereitet treffen wollen."
Ihr Herz pochte wie wild, als ihre Kutsche auf den Hof ihres ehemaligen Zuhauses fuhr. Sie wagte es nicht die Vorhänge zur Seite zu ziehen, erkannte jedoch bereits jetzt die jubelnden Rufe der Menschen. Sofort fühlte sie sich an den Tag zurückversetzt, an dem sie diesen Ort das letzte Mal gesehen hatte.
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Das Gift in ihrer Seele
FanficVor 35 Jahren sollte alles seinen Anfang nehmen, als aus Asche und Feuer ein mächtiger Dämon geboren wurde. Früh begann er damit, Untergebene unter sich zu scharen, die er für seine Zwecke benutzen konnte. Eine davon sollte Aiko sein. Eine Prinzessi...