Kapitel 1

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Von fern hörte sie Glocken läuten. Ihre hohlen Laute erfüllten die gesamte Stadt. Viele Menschen waren gekommen. Allesamt adelig oder anders wertig wichtig.

Als sie durch die Menge schritt, blickte sie sich um, doch ihr war kein einziges Gesicht bekannt. Zu viele hatte sie bereits gesehen und keines von ihnen war geblieben.

Begleitet wurde sie von einigen Leibwächtern, die in der Menge für ihre Sicherheit sorgen sollten.

Sie hielten die Menschen davon ab ihr zu nahe zu kommen, was Aiko ausgesprochen gut gefiel. Sie hasste die große Menge und so konnte sie das Geschehen um sie herum gut ausblenden.

Als sie ihre Sänfte erreichte, stieg sie elegant in das Gefährt. Sie schloss den Vorhang, sodass kein lüsterner Blick sie mehr treffen konnte. Sie spürte einen Ruck, als die Träger die Sänfte hochhoben und einen gleichmäßigen Fußmarsch antraten.

Aiko wagte nicht nach draußen zu blicken. Noch immer hörte sie die jubelnde Menge, die ihrem Gefährt folgte.

Sie wusste, dass sie sich in diesem Augenblick einer großen Karawane anschlossen, die sie gen Norden führte.

Unter ihnen waren dutzende Soldaten und Wächter. Ihre Eltern befanden sich weiter vorne, ebenfalls beschützt durch viel zu viele Männer.

Auch brachen Träger zu Pferd oder zu Fuß Geschenke mit, die sie ihrem Bräutigam überreichen sollte.

Es war bloß eine Kleinigkeit, wenn man bedachte, welch Reichtümer er ihren Eltern im Gegenzug versprochen hatte. Er hatte sie bei einem Treffen gesprochen, dem Aiko selbst nicht beigewohnt hatte.

Bald würde sie ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Den Mann mit dem sie ihr gesamtes Leben verbringen sollte.

Sie seufzte. Sie konnte sich schon vorstellen wie er war.

Er war grausam. Soweit die Gerüchte.

Wahrscheinlich war er bloß ein weiterer schmieriger Sack, der sich eine hübsche Frau ersehnte, die ihn verehren würde.

Sie sah sein hässliches, lüsternes Gesicht schon vor sich. Sein grinsen, wenn er sie sah. Soweit sie wusste, kannte er sie auch nur durch die Beschreibung durch ihre Eltern und Gefolgschaft. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie ihre Mutter sie beschrieben haben mochte. So wie sie sie haben wollten: wunderschön, jung, unerreichbar, göttlich.

Oder so wie sie wirklich war: gelangweilt von der Welt, hasserfüllt, dünn, mit zu kurzen Haaren.

Letzteres befand sie dann doch als zu unwahrscheinlich. Niemals würden sie sich länger als 5 Minuten mit ihr beschäftigen. Und wenn, dann ging es eher um ihr Auftreten und ihr Aussehen.

Zumal sie diese Hochzeit arrangiert hatten. Sie wollten sicher nicht, dass ihr Gemahl ablehnte. Sicher würde er von ihr enttäuscht sein, wenn er sich auch nur im Ansatz für sie interessierte. Aber sicher wollte auch er bloß Macht. Oder eine Schönheit, mit der er sich vergnügen konnte.

Ein Schauer überlief sie, als sie daran dachte. Sie musste einen Brechreiz unterdrücken. Sie verschob diesen Gedanken sofort.

Sie schob den Vorhang ein Stück zur Seite und ließ ihren Blick über die Landschaft vor ihr streifen. Sie hatten ihre Stadt inzwischen verlassen und begaben sich auf den Weg in die nächste. Dort wartete ihr Verlobter bereits auf sie. Auch diese Stadt war ihnen untertan, genau wie die Ländereien durch die sie reisten.

Nur wenige waren dumm genug ihre Herren anzugreifen und zu bestehlen. Doch wurde ihr mulmig zumute, denn vor den wenigen, die dumm genug waren, musste man sich schützen.

Das Gift in ihrer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt