Kapitel 15

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„Ein Monster!" rief das Mädchen neben Sorano frustriert und hätte beinahe das Geschirr auf den Boden geworfen. Noch vor einigen Jahren hätte sie es als unsittlich empfunden, ihre Herren so zu bezeichnen, doch mit den Jahren auf Narakus Schloss hatte sie sich daran gewöhnt. Nur versuchte man solche Aussagen normalerweise für sich zu behalten oder so leise wie möglich unter hervor gehaltener Hand zu flüstern, denn man wusste nie wann jemand zuhörte. Es war also die Lautstärke des Ausrufs, das Sorano so verwunderte.

Kaum war sie hier angekommen, da hatte man ihr bereits die Aufgabe zugeteilt, den Boden zu wischen. Mit einem Dutzend anderen Bediensteten arbeitete sie im Speisesaal, wo in wenigen Stunden die Herren des Hauses essen würden. Durch die schiere Größe des Saals überfordert, war Sorano froh über die Unterstützung der Anderen. Neben den 2 Wachen an der Tür, waren 8 aktiv bei der Arbeit. Sie brachten Besteck und Geschirr in den Saal und platzierten es sorgfältig auf dem langgetreckten Tisch, befreiten den Boden von jeder Staubflocke oder säuberten und verzierten die Wände und Fenster. Nur 2 standen etwas abseits und hatten ihre Arbeiten pausiert, um sich über die Herren des Hauses auszulassen.

„Es gibt niemand schlimmeren als die Beiden!" beendete das Mädchen ihre Schimpftirade, um den jungen Mann vor ihr zu Wort kommen zu lassen.

„Es muss immer alles perfekt sein! Auch wenn es Menschen unmöglich ist. Sie glauben doch sie seien die größten Götter im Himmelreich."

„Und jetzt sind sie auch noch wieder zu dritt. Diese Monstertochter ist keinen Deut besser!"

Sorano wollte gerade wiedersprechen, als sich eine dritte Stimme in das Geschehen einmischte: „Warum lasst ihr euch das dann gefallen? Warum lasst ihr zu, dass sie euch wie Vieh behandeln? Warum lasst ihr zu, dass Roku derart verletzt wurde?"

Die Stimme gehörte einer Frau mit streng zurechtgebundenem Haar und hagerem Gesicht, das bereits einige Falten aufwies. Ihre Putzutensilien hatte sie ordentlich auf dem Boden abgelegt und deutete nun mit ausgestreckten Finger auf eine unscheinbare Person. Es war ein erbärmlich aussehender Junge, viel zu dünn und mit strubbeligen Haaren. Er war mit Wunden übersäht wovon die auffälligsten ein blaues Auge und eine Schramme an seinem Mund waren. Er war gerade dabei die Tische zu putzen, was ihm durch die Blicke, die ihm zugeworfen wurden immer schwerer zu fallen schien.

Schockiert bemerkte Sorano, dass der Junge kein Einzelfall zu sein schien. Viele hatten solche Verwundungen aufzuweisen. Zweifelnd dachte sie bei diesem Anblick an Aiko zurück, die für sie mit der Zeit doch so etwas wie eine Freundin geworden war. Sie schien für solch ein Verhalten nichts übrig zu haben. Oder doch?

„Wie ist das passiert?" fragte sie vorsichtig einen anderen Jungen, der neben ihr stand.

Diesem schien das Antworten nicht allzu schwer zu fallen: „Er hat seine Arbeit nicht mit genügend Sorgfalt erledigt. Da wurde er bestraft." Sie nickte und sah hinunter auf seine Arme.

„Und was ist mit dir passiert?"

„Ich war nicht schnell genug." Antwortete er trocken.

Sorano schluckte.

„Passiert das mit allen, die in ihre Ungnade fallen?"

„Natürlich. Sie sind äußerst streng. Wenn etwas nicht perfekt von statten geht, geben sie uns die Schuld. Ob es denn wirklich so ist oder nicht, interessiert sie nicht. Sie interessieren nur die Ergebnisse. Wir versuchen deswegen möglichst nicht aufzufallen, damit sie uns nicht erwischen."

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Geschehen vor ihr, wo sich die Frau nun dem Mädchen und dem Jungen gegenüber sah. Ihre Lippen hatten sich zu einer dünnen Linie verzogen und sie hatte ihre Stirn in Falten gelegt. Ungeduldig wartete sie auf eine Antwort der beiden, die sich ratlos und bedrückt ansahen.

Das Gift in ihrer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt