Kapitel 10

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Gelangweilt starrte Aiko an die Decke ihres Zeltes. Seit Tagen hatte sie nichts anderes mehr gesehen und sie vermutete, dass genau dies der Grund war, warum sie nicht mehr schlafen konnte. Sie bekam kaum Besuch. Nicht einmal mehr Naraku ließ sich bei ihr blicken. Nur selten kam ein Diener zu ihr herein oder der Arzt um ihre Wunden zu untersuchen.

Mit einem Ruck fuhr sie hoch. Sie konnte nicht länger untätig liegen blieben. Sie schüttelte ihre Decke ab und stand auf. Im Nachthemd und ohne Schuhe trat sie in die Nacht hinaus. Der Stoff ihres Zeltes fühlte sich kühl unter ihren Fingern an. Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass der Sommer sich dem Ende neigte und bald der kalte, trostlose Winter beginnen würde.

Sie sah nach oben und erblickte einen sternklaren Himmel. Ein voller, perfekter Mond schenkte der Erde sein leuchten, sodass sie sogar einen Schatten auf die Zeltwand hinter ihr warf. Eine frische Brise wehte ihr durch die Haare und ließ sie frösteln. Sie sah sich vorsichtig um, peinlichst darauf bedacht nicht gesehen zu werden. Sie atmete tief durch und setzte sich in Bewegung um die Kälte loszuwerden. Ihre Schritte schienen ihr viel zu laut angesichts der völligen Stille des Lagers. Ihr Herz schlug wunderbar schnell und das Adrenalin schoss durch ihre Adern. Sie tat etwas Verbotenes! Und sie liebte es. Sie schlich so leise wie möglich an den dicht gelegenen Zelten vorbei, auf dem Weg nach draußen. Sie durfte sich nicht sehen lassen. Keiner durfte sie im Nachthemd, Verletzt und ohne Schuhe sehen. Sie kam an einem erloschenen Lagerfeuer vorbei. Es glühte noch in seinem Inneren, als man es notdürftig mit etwas Erde gelöscht hatte. Wütend sammelte Aiko ihrerseits etwas Schmutz vom Boden und ergoss es großzügig über die Stelle. Hatten sie denn nicht schon genug Feuer gehabt? Wenn all das hier auch noch verbrannte, hatten sie rein gar nichts mehr. Sie würden nicht mal den Winter überleben.

Sie zuckte zusammen, als sie dumpfe Schritte hinter einigen Zelten hörte. Schnell suchte sie sich ein Versteck und hockte sich hin. Darauf hoffend, dass man sie in der Dunkelheit nicht erkennen würde. Ihr Atem strich sanft über ihre nackte Haut. Ihren Herzschlag konnte sie an ihren Händen spüren. Sie lugte vorsichtig um die Ecke.

Eine Wache!

Sie presste die Lippen aufeinander, ihre Augen waren riesig, um in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Ein Breitschultriger Mann kam in ihr Sichtfeld. Er musste gehört haben, wie sie sich an dem Feuer zu schaffen gemacht hatte. Er hielt genau auf die Stelle zu und hockte sich vor das erloschene Lagerfeuer. Er schien die Veränderung bemerkt zu haben und sah sich misstrauisch um.

Schnell zog sie Aiko hinter der Wand zurück und hielt den Atem an.

Zu ihrem Glück schien die Wache andere Dinge im Kopf zu haben. Kurze Zeit später hörte sie wie sich die Schritte entfernten und sie atmete auf. Ein leichtes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit und sie schlich weiter.

Je weiter sie ging, desto enger standen die Zelte beieinander und desto schwieriger wurde es für sie unbemerkt an ihnen vorbei zu schlüpfen. Als sie fast draußen war und auf dem letzten Meter doch noch irgendetwas Zerbrechliches umstieß, nahm sie die Beine in die Hand.

Sie rannte mitten durch die Dunkelheit und der kalte Wind ließ ihr Nachthemd und ihre Haare wehen. Er strich ihr übers Gesicht, ihre Arme und ihre Beine. Ihr Atem ging immer schneller und schon nach viel zu wenigen Metern sagte ihr Körper ihr, sie solle langsamer Laufen. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr ihre Verletzung ihrem Körper zusetzte. Doch sie hörte nicht auf. Sie rannte, wenn auch in einem etwas langsameren Tempo, den Hügel hinauf, bis sie wieder Gras unter den Füßen spüren konnte. Es war nass vom Tau und so lang, dass sie beinahe stolperte, aber das war ihr egal. Sie liebte dieses Gefühl und wollte es nie wieder in ihrem Leben missen wollen.

Das Gift in ihrer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt