Ein grandioses Erwachen

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Luks PoV

Sobald ich die Flügel meines Sarges öffne, spüre ich, dass ein Unwetter in der Luft liegt. Und zwar nicht ein kleines Sommergewitter mit Regen, Blitz und Donner. Nein, Raffzahns geballte und zornerfüllte Macht! Und da ich nicht mit einem gewohnten Zug an meinem Ohr erwacht bin, schliesse ich daraus, dass Gabriel diesmal daran glauben muss. Etwas seltsam, wenn man bedenkt, dass wir für gewöhnlich gemeinsam vor Raffzahn stehen. Ich setze mich mühsam im Sarg auf, die letzte Mahlzeit liegt mir doch noch schwer im Magen, und fahre mir doch die Haare. Dabei fällt mir etwas Merkwürdiges auf: Der Schlafsaal ist komplett leer. Bei Dracula! Die anderen sind bereits beim Abendessen!
Ich will schon damit anfangen, einen neuen Rekord im Anziehen zu starten, als der logische Teil meines Hirn anfängt zu arbeiten und mir mitteilt, dass Raffzahn eh noch mit Gabriel beschäftigt ist, es jetzt auch nicht mehr drauf ankommt und es doch viel gemütlicher ist, langsam zu machen. Ich gebe nach. Mein normales Tempo ist sogar nach menschlichen Massstäben langsam.
Die meisten denken ja, dass wir Vampire in wallend schwarze Umhänge gewickelt durch die Luft fliegen. Aber bis auf ein paar ältere Exemplare, chrm, chrm Raffzahn, tragen alle normale Klamotten.

Wow. Als ich die grosse Halle betrete bin ich überrascht. Normalerweise sind wir Vampire ja nicht gerade für unseren Ordnungssinn bekannt, mal davon abgesehen, dass sich über 30 Jungvampire in diesem Schloss tummeln. Doch dieses Chaos, das sich mir gerade bietet, lässt auch unsere schlimmstrn Chaostage schwach aussehen. Der Anzahl der Teller und Gläser nach zu schliessen, hat sich die Anzahl der Schüler auf mindestens die Häfte verdoppelt. Cool. Weniger cool ist, dass das Abendessen schon abgeräumt ist und wie aufs Stichwort beginnt mein Bauch an zu grollen. Bei Dracula! Ich brauche Blut. Vielleicht lässt sich ja in der Küche noch was auftreiben. Mit diesem Vorsatz im Kopf gehe ich leise zur Küche, welche von lautem Scheppern erfüllt ist. Ich grinse. Da hat Raffzahn wohl wieder jemanden zum Küchendienst verdonnert. Mein Grinsen wird breiter, als ein zorniger Fluch folgt. Gabriel. Meinen Erfahrungen zufolge, sollte man einem wütenden Gabriel ebenso aus dem Weg gehen, wie einem zornschnaubendrn Raffzahn. Naja, letzterem wohl noch eher. Dennoch beschliesse ich, meinem knurrenden Magen erst später zu versorgen. Gerade will ich leise meinen Rückweg antreten, als mein Bauch dem Paarungsruf eines Blauwales alle Ehren macht. Ich seufze genervt, als das Geschepper verstummt und im nächsten Moment wird auch schon die Tür aufgerissen.
Für einen Moment bin ich sprachlos, als Gabriel vor mir steht, dann muss ich lachen. Ich kann einfach nicht anders. Ich kenne Gabriel seit ich gebissrn wurde, doch der junge Vampir, der soeben die Tür geöffnet hat, sieht aus, als wäre sein Kopf in Tomatensuppe getaucht und kräftig darin herumgeschwenkt worden. Während ich mich langsam wieder von meinem Lachanfall erhole, starrt mich Gabriel mit zusammengekniffenen Augen an. Dann muss auch er lachen und bald hallt unser Gelächter im ganzen Speisesaal wieder. Dann endlich schaffe ich es, wieder Luft zu holen: "Ich wusste ja, dass du ein miserabler Abwascher bist, aber dass du es schaffst dich selbst im Abwaschwasser zu baden, hätte ich nicht gedacht." Gabriel verdreht die Augen: "Raffzahn" Hätte ich mir denken können. Gabriel schaut mich fragend an:"Apropos Raffzahn. Warum bist du nicht im Unterricht?" "Ich habe verschlafen und jetzt habe ich Hunger. Kannst du was für mich schmuggeln?" "Naja ich weiss nicht, ob Raffzahn so grosse Freude hätte und ich habe heute schon genug Ärger, glaub mir." Das ist doch wieder mal typisch Gabriel. "Dann sieh halt nicht hin, während ich mich bediene", schlage ich vor. Gabriels Miene erhellt sich schlagartig. "Aber sicher. Schliesslich kann ich durch das Abwaschwasser, das mir in die Augen tropft nicht besonders gut sehen." Und mit Verschwörerlächeln schliesst er die Tür hinter mir.

Gabriel begiebt sich wieder zu seinem Riesenhaufen Geschirr, während ich zur Speisekammer gehe. Beim Ablick der vielen Würste, riesigen Fleischbrocken und Fässern voller Blut, macht mein Magen einen freudigen Knurrer. Hungrig mache ich mich über ein Stück rohes Schweinerippchen her. Ich nippe am Fass Blut aus dem Jahr 1986, doch erst bei der fünften Blutwurst beginnt mein Hungergefühl langsam zu schwinden. Ich bin so mit Essen beschäftigt, dass ich gar nicht merke, wie die Türe leise hinter mir ins Schloss fällt. Erst als ich das leise Klick vernehme, fahre ich herum, doch es ist schon zu spät. Ich höre gedämpfte Stimmen vor der Tür, erst Raffzahn, dann Gabriel, der sich wie immer nicht einschüchtern lässt. Ich zucke erschrocken zusammen, als in schneller Abfolge drei klatschende Geräusche ertönen. Ich lasse die Luft zwischen den Zähnen hervorzischen. Armer Gabriel. So viel für einen Tag. Dann entfernen sich Schritte und das Geschirrklappern setzt wieder ein. Kurz bin ich irritiert, weshalb Raffzahn mich nicht gleich bestraft hat, doch Raffzahn typisch will er mich wohl noch etwas zappeln lassen. Naja, wenn ich schon hier bin und es jetzt sowieso nicjt mehr schlimmer kommt, kann ich auch gleich die Gelegenheit nutzen und noch etwas essen. Klar bin ich nervös und habe Angst davor, was gleich passieren wird, aber ich lasse mich nicht gern verrückt machen und male nicht den Teufel an die Wand. Besser gesagt: Den Raffzahn. Wie aufs Stichwort wird auch schon die Tür geöffnet. Schnell lassen ich meine Blutwurst fallen, welche ich gerade am Essen war und schiebe sie mit dem Fuss unter das nächstbeste Regal. Als Tagbiss muss ich nicht blinzeln, als die Dunkelheit dem helleren Licht von draussen weicht. So sehe ich Raffzahn in all seiner Pracht. Chrm Chrm. Auch sein wutentbranntes Gesicht. Toll. Im nächsten Moment hat er auch schon mein Ohr gepackt und schleift mich nach draussen, die Tür knallt zu. Aus den Augenwinkeln bemerke ich Gabriel, der sich hochkonzentriert übers Abwaschbecken beugt und dessen Wangen in einem knallroten Ton leuchten. Ich muss blinzeln ob des Schmerzes an meinem Ohr, denn Raffzahn hat damit begonnen, es zu verdrehen. Jap, es ist so schmerzhaft wie es klingt. Und jetzt muss ich ihm auch noch Antwort auf die Frage geben, wo ich gewesen bin und warum bei Dracula ich in der Speisekammer war, ohne Erlaubnis. Was auch immer ich jetzt sage, besser wird meine Lage bestimmt nicht.

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