Ich fühlte mich so allein, wollte einfach alles vergessen. Aber wie?
Meinem Schicksal, meiner Bestimmung, konnte ich nicht entkommen. Ich betrat das Zimmer meines einzigen Engels. Sie blickte auf, sah mir kurz in die Augen und wandte sich angewidert von mir ab. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.
"Wie geht es dir?", fragte ich.
Eine Antwort bekam ich so oder so nicht, die ich auch nicht erwartete. Sie ignorierte mich, rollte mit ihrem Rollstuhl ans Fenster, weiter weg von mir. Das war wohl mein Zeichen.
"Ich störe dich dann nicht weiter", flüsterte ich, trat heraus, da ich im Türrahmen stand und schloss die Tür hinter mir.
Ein ekelhaftes Gefühl machte sich in mir breit. War es Trauer? Leid? Schmerz? Meine Gedanken waren wie fest gefroren, mein Dasein wie ein Klotz an meiner Psyche. Ich lehnte mich an die Wand im Flur.
"Sir, geht es Ihnen gut?", hörte ich jemanden neben mir fragen.
Eine Hand stützte mich am Arm. Ich starrte in die Augen unserer Haushälterin, eine Dame mittleren Alters mit milchig grauen Augen.
"Ist schon gut, alles okay", meinte ich und schob ihre Hand von meinem Arm weg. "Was gibt's?"
"Ihr Vater erwartet Sie in seinem Büro, Sir."
Ich nickte ihr kurz zu und deutete an, dass sie gehen durfte. Auf dem Weg ins Büro meines Vaters schleifte ich mit den Gedanken an die alten Zeiten durch den Gang. An die Zeiten, an denen alles noch in Ordnung zu sein schien. Zumindest es mir so vorkam. Ich musste mich räuspern, um meine Gedanken zu ordnen. Schließlich stand ich vor der Tür meines Vaters. Resigniert klopfte ich kurz an und trat durch die Tür.
"Du ließest nach mir rufen."
"Setz dich hin", ordnete er an. "Wir müssen reden."
"Ich höre, Vater."
"Ich verstehe, du trauerst noch", begann er. "Ich möchte endlich, dass du offiziell in meine Fußstapfen trittst."
Das war zu erwarten, trotz dem starrte ich ihn geschockt an.
"Vater...", setzte ich an, jedoch unterbrach er mich.
"Es reicht!", fuhr er mich plötzlich an. "Du hast dich lange genug im Hintergrund gehalten, versteckst deine Frau, zeigst sie als verstorben an. Damit ist jetzt Schluss."
"Ja, Vater", sagte ich selbstsicher.
Schließlich sollte dieser Tag einmal kommen, dass ich der große Boss wurde. Er stand auf, was ich ihm gleich tat und stellte sich vor mich.
"Damit sind wir noch nicht fertig. Die Familien wollen keinen Mann ohne seine Frau an seiner Seite. Sie wollen sich sicher fühlen und nicht einem einzelnen die Macht überlassen, der nichts zu verlieren hat. Sie erwarten eine Ehe!"
Ich sah meinen Vater konsterniert an.
"Nein, das... das kann ich nicht... du weißt, das geht einfach nicht", stotterte ich, doch fasste mich schnell. "Das kannst du vergessen. Ich kann doch nicht einfach eine zweite Frau heiraten!"
So langsam aber sicher wurde ich wütend.
"Du musst dich endlich besinnen!", brüllte er mich an. "Jeder denkt, deine Frau sei verstorben. Willst du ihnen etwa die Wahrheit offenbaren? So geht das nicht mehr weiter!"
Ich fand keine Worte mehr. Was sollte ich sagen? Wie konnte ich das machen? Angelie redete auch so schon nicht mit mir. Somit würde sie mich noch mehr hassen, wenn sie das mitbekam. Eine zweite Frau. Nein, das konnte ich ihr doch nicht antun.
"Nein, einfach nein!", fuhr ich meinen Vater wütend an. "Wie stellst du dir das vor? Sie hasst mich abgrundtief. Was denkst du, wie sie diese Nachricht empfangen wird?"
"Sei endlich still!", wies er mich an. "Stell dich endlich deiner Aufgabe! Wohin soll das führen?"
"Wenn jemand mich in Frage stellt, dem kann ich gerne zeigen, zu was ich fähig bin", knirschte ich mit meinen Zähnen. "Lass dieses Thema ruhen. Ich will sowas nicht mehr hören!"
In dem Moment flog mein Kopf zur Seite. Ich realisierte, dass er mich geohrfeigt hatte.
"Das hast du nicht getan", zischte ich.
„Jetzt hörst du mir gut zu!", forderte er mich auf. „Die Familien werden ungeduldig, wollen eine junge Seele an der Spitze und diskutieren schon hinter meinem Rücken, wen sie im Falle des Falles als Ersatz nehmen könnten. Willst du wirklich, dass unsere Familie ihre Stellung verliert? Wer soll dich ersetzen? Du bist hierfür großgezogen worden, dafür erschaffen. Soll jetzt ein ahnungsloser Idiot unser Untergang sein? Komm endlich zu dir. Mach mich stolz! Sei mein Sohn!"
Ich setzte mich wieder auf den Sitz und vergrub mein Gesicht in meine Hände.
"Mein Sohn, wir alle haben eine Aufgabe. Es geht hier nicht nur um dich und deinen Kummer. Hier geht es um unser Imperium, um all die Familien, die Menschen, die unsere Befehle befolgen. Sie wollen einen familienbewussten Mann sehen. Diese Leute trauen uns ihre Sicherheit, die Sicherheit ihrer Geliebten, ihre Existenz an. Finde so schnell wie möglich eine Frau. Sie soll einfach ihre Rolle erfüllen. Ich werde nicht mehr lange warten, nur so viel sage ich dir."
Mit den Worten verließ er das Zimmer, ließ mich völlig wütend und ratlos alleine. In der Mitte der Sitze stand ein kleiner Couchtisch aus Glas. Ohne zu überlegen schlug ich mit voller Wucht meine Faust ins Glas. Es zerbrach.
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Zwei Frauen✅
Romance"Die Straßen wurden mein Zuhause, der Boden mein Bett, die Nacht meine Decke. Vergessen wie eine Ratte, verdammt zu einem Leben in einer Gasse." Vor weniger Zeit lebte Crystal noch auf den Straßen. Nun sollte sie die Frau eines der reichsten Männer...