Man sollte meinen, Menschen kämen durch intime Momente oder durch emotionalen Austausch sich näher. Bei uns war das ganz anders. Nach unserer Umarmung hinter dem Club redete Ladislao kein Wort mehr mit mir. Er distanzierte sich. Ebenso sagte ich auch nichts. Ich war generell nicht der gesprächige Typ. Wenn man so lange einsam lebte, dann war es unausweichlich, dass man eher stumm wurde. Die Zeit in dieser Villa veränderte mich, jedoch wusste ich nicht, ob ins Gute oder Schlechte.
Leise zog er sich im Schrank um und machte es sich auf der Couch gemütlich. Sollte das eine stille Geste sein, dass das Bett mir gehörte? Ich sagte nichts zu ihm und zog mich um. Im Bad duschte ich noch. Das, was ich hier am meisten liebte, war das Duschen. Heißes Wasser beruhigte und entspannte mich. Noch nie hatte ich mich über eine so lange Zeit frisch gefühlt. Ich fand es bezaubernd. Die ganzen Düfte der Shampoos und Duschgels. Die Creme und Pflegeprodukte, mit denen mich Camilla bekannt gemacht hatte. Meine Haut fühlte sich ganz anders an, viel seidiger, weicher. Ich ließ einfach so das Wasser auf mich herab prasseln. Es fühlte sich schön an. Was würde passieren, wenn Ladislao mich rausschmeißen würde? Wenn er mich nicht mehr wollen oder brauchen würde? Ich wollte nicht mehr auf die Straßen, nachdem ich das alles gekannt und genossen hatte.
Alte Erinnerungen nahmen meine Gedanken ein. Es war nicht einfach dort draußen zu überleben. Viele Gangs, Gruppierungen oder Leute, die sich Territorien aneigneten. Man durfte ihre Grenzen nicht überschreiten. Diese Plätze gehörten ihnen. Man würde meinen, auf den Straßen lebte jeder Penner da, wo er einen Schlafplatz fand. Nein, so einfach war das nicht. Snake war so etwas wie unser Boss. Ein Kleinganove. Wir klauten und bettelten. Unsere Beute gehörte ihm. Er wusste genau, wie viel man an einem Tag je nach Branche durchschnittlich einkassieren konnte, also konnte auch keiner ihn großartig über den Tisch ziehen. Jeder bekam einen Anteil, wobei natürlich Snake den höheren einnahm. Wenn man nicht mitmachte, dann hatte man auch kein Zuhause. Diese eine Gasse war mein Zuhause. Es gab viele, die mit mir dort lebten, aber ich freundete mich mit niemandem an. Sie waren nicht vertrauenswürdig, denn jeder dachte nur an sich, was in dieser miserablen Lage auch verständlich war. Ich brauchte niemanden, der mir eventuell irgendwann in den Rücken fiel. Die Leute mussten um ihr Leben kämpfen. Keine Gnade, kein Mitgefühl. Teilen oder sowas wie Zusammenleben gab es nicht. Man war auf sich allein gestellt und musste um alles mit seinem Leben kämpfen, wenn man durchkommen wollte.
Diese Erinnerungen erdrückten mich. Wie wertlos unser Leben doch war. Es gab genug Leute, die wegen Unterernährung oder Krankheiten, wie Leichen herumlagen. Keiner tat etwas. Keiner kümmerte sich um sie. Wenn einer starb, schmiss man ihn im besten Falle in eine große Mülltonne, irgendein Jogger fand ihn und die Polizei tat so, als würde sie ermitteln. Was ermittelte sie? Suchte sie nach einem Mörder? Nach einem Schuldigen? Den hätte ich auch gerne kennengelernt. Denjenigen, der Schuld daran war, dass ich heimat- und obdachlos war. Wer war ich wirklich? Konnte man sich diese Frage beantworten? Würden wir ein anderer Mensch sein, wenn wir unter anderen Bedingungen aufgewachsen wären?
Ich bekam allmählich Kopfschmerzen. Nicht mal das Wasser entspannte mich. Ich ging aus der Dusche und cremte mich ein. Bodylotion hieß das. Wenn ich an mein Leben dachte, kam ich mir in dieser Situation dumm vor. Mit was ich mich hier beschäftigte. Aber irgendwie gefiel es mir auch. Dadurch fühlte ich mich wie ein anderer Mensch und blendete mein eigentliches Ich aus. An die Zeit bis vor knapp zwei Wochen wollte ich nicht mehr denken. Mir ging es nun gut.
Meinen Bademantel angezogen lief ich ins Zimmer und setzte mich auf den Boden neben der Couch und blickte auf den Bildschirm. Ladislao sah gerade eine Dokumentation an. Keine Ahnung, um was es in dieser ging. Mein Blick war darauf gerichtet, jedoch war ich mit den Gedanken völlig woanders.
Suchte Snake nach mir? Oder war es ihm egal? Dachte er vielleicht, dass ich tot war? Das wäre das Beste. Ach, was dachte ich mir nur? Wen juckte es schon, wo ich war oder was ich tat? Als ob sich Snake über mich Gedanken machen würde. Er schaute doch nur auf sein Geld und da ich eh nicht mehr dort war, konnte er mir nichts anhaben. Zumindest hoffte ich das.
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Zwei Frauen✅
Roman d'amour"Die Straßen wurden mein Zuhause, der Boden mein Bett, die Nacht meine Decke. Vergessen wie eine Ratte, verdammt zu einem Leben in einer Gasse." Vor weniger Zeit lebte Crystal noch auf den Straßen. Nun sollte sie die Frau eines der reichsten Männer...