Kapitel 9

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Nach dem Vorfall verbrachte ich meinen Tag überwiegend im Zimmer, sah fern, aß, trank, ging aufs Klo. Kurz gefasst: Ich langweilte mich zur Tode, hatte keine Attraktion, nichts zu tun. Gegen nachmittags konnte ich einfach nicht mehr still sitzen und lief herunter in die Küche. Camilla stand an der Theke und bereitete etwas zu. Ich setzte mich auf einen Hocker und beobachtete sie. Sie hatte wirklich ein Händchen für dieses Geschäft. Hoch konzentriert legte sie irgendwelche Zutaten in die Töpfe.

"Wie geht's dir?", fragte sie mich plötzlich und sah mir ins Gesicht.

"Gut. Warum fragst du?"

"Nichts, nur so", meinte sie daraufhin gleichgültig.

"Und selber?", wollte ich dann doch noch wissen.

"Danke, auch gut", lächelte sie mich an. "Alfonso ist weggefahren. Ich muss nur für Ladislao kochen."

Ich erwiderte nichts mehr und ließ sie ihre Arbeit machen. Wieder im obersten Geschoss wollte ich in mein Zimmer gehen als mir das andere auffiel. Aus Neugier lief ich auf ihre Tür zu, da ich nicht wusste, wie es ihr nun ging, und klopfte an, jedoch bekam ich keine Antwort. Ach, scheiß' drauf, dachte ich mir und fasste an die Klinke, die ich herunter drückte und langsam die Tür aufschob. Durch den Spalt sah ich, dass sie im Bett lag und las.

"Hey", flüsterte ich, um sie auf mich aufmerksam zu machen.

Sie sah auf und legte ihr Buch auf die Kommode. Ich nahm das als eine Bestätigung und trat ins Zimmer.

"Ich wollte nochmal nach dir sehen", erklärte ich ihr, aber sie verlor immer noch kein Wort.

War sie vielleicht stumm? Sie nickte kaum merklich.

"Freut mich, dass es dir gut geht", offenbarte ich ihr aufrichtig.

Irgendwie seltsam sich mit einer Person zu unterhalten, die nicht mit einem redete.

"Du solltest gut auf dich aufpassen", fügte ich noch hinzu und tätschelte ihre Hände, die sie auf ihrem Schoß gefaltet hatte.

Ich sah keinen Grund mehr, hier zu bleiben und stand auf. Als ich im Türspalt stand und die Tür hinter mir zuschlagen wollte, hörte ich ein Hauchen hinter mir.

"Danke", glaubte ich zu hören, weshalb ich mich umdrehte und sah, dass sie mich leicht anlächelte.

Nach wenigen Sekunden jedoch schnappte sie sich ihr Buch und las weiter, als hätte sie nichts gesagt. Diese Leute im Haus waren eindeutig verrückt. Kurz nachdem ich die Tür geschlossen hatte, wurde ich abrupt an meinem Arm gepackt und mitgezogen. Ich bemerkte, dass Ladislao mich mitzerrte.

"Was hast du mit ihr besprochen?", wollte er wissen als wir in seinem Zimmer waren.

"Ähm, nichts ich wollte nur...", stockte ich, da er plötzlich mit festem Griff meinen Hals erdrückte.

"Du wirst dich nicht in ihre Nähe begeben", zischte er und drückte weiter meinen Hals. "So ein Dreck wie du hat neben diesem Engel nichts verloren. Hast du mich verstanden?"

Ich bekam kaum Luft. Wie ein aus dem Wasser geangelter Fisch fühlte ich mich. Mein Mund öffnete sich, jedoch kam kein Sauerstoff. Ich spürte die ganzen Adern in meinem Gesicht. Mein Blickfeld wurde leicht schwarz, als ich hart auf dem Boden aufkam. Nach Atem ringend fasste ich erschrocken an meine Brust, versuchte vergeblich meine Lungen mit Luft zu füllen, die höllisch brannten. Was tat er nur?

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er das Zimmer verließ, konnte mich jedoch kaum noch rühren, hechelte vor mich hin, versuchte zwanghaft nach Luft zu schnappen. Zusammengekauert lag ich auf den harten Steinen, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Nur mein schwerer Atem hallte durch den Raum. So ein Dreck wie du, gingen seine Worte durch meinen Kopf. Ich hätte heulen können, jedoch zwang ich mich, das nicht zu tun, da ich viel schlimmeres gewohnt war. Dennoch verpassten seine Worte einen Stich in mein Herz. Er hatte mich doch hergebracht. Erst letztes Mal hatte er sich mit dem Frühstück eben wegen solchen Worten entschuldigt. Wieso dachte ich nur daran? Es sollte mir doch egal sein, wie er mich nannte. Trotzdem tat es weh, dauernd Anspielungen auf mein obdachloses Dasein zu hören.

Zwei Frauen✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt