Die Hochzeit rückte immer näher. So langsam fingen wir an Vorbereitungen zu treffen. Bei dem Gedanken an diesen Tag klopfte mir das Herz bis zu meinem Hals hoch. Was waren wir nun? Ein Paar? Ein verlobtes Paar? Oder einfach Menschen, die sich einen Gefallen taten? Je mehr ich versuchte diese Fragen zu verdrängen, desto mehr drückten sie sich um mein Herz zusammen und quetschten dieses ein. In einer Woche war es soweit. Die Aufregung nagte an mir. Mein Hochzeitskleid wurde auch schon fast fertig. Das Kleid war eine Sonderfertigung. Schließlich wurde ich doch zur großen Königin, weshalb alles extravagant sein musste. Die Feier wurde zu einer Art Schau des Reichtums der Familie Carbone. Wahrscheinlich hatten diese zwei Männer mehr Geld als ich es mir in meinem Leben vorstellen könnte. Wie war es so viel Geld zu haben, dass man nicht einmal Angst bekommen konnte, es würde irgendwann ausgehen? Ich war froh darüber, wenn ich mal einen Fünfziger in der Tasche hatte. Das war mehr als das, was ich für gewöhnlich bei mir trug, seitdem ich auf den Straßen lebte. Neben Snake ging es mir eigentlich besser, aber ich konnte nicht mehr bei ihm bleiben. Das Leben bei ihm wurde mir zu schwer.
Benommen schüttelte ich meinen Kopf, um die alten Erinnerungen von mir zu treiben, indem ich in den großen Spiegel vor mir sah und eine reiche Frau erblickte. Sie trug ein märchenhaftes, schneeweißes Kleid, dessen leicht goldene Träger locker an den Schultern herunter fielen. Oben herum lag das Korsett eng an ihrem Körper und betonte ihre Brüste, sowie auch die Rundungen bis zu unterhalb der Hüfte. Der Rock breitete sich A-förmig aus und die Schleppe ging noch ein bis zwei Meter nach hinten. Für meinen Geschmack war das einfach zu viel, aber es musste wohl so sein, dass das Kleid den Wohlstand symbolisieren sollte. Deshalb war es auch mit echten Steinen überzogen. Hier und da glitzerten die Diamanten. In die lockeren Trägern, die meine Schultern umschmeichelten, wurden echte Goldfäden eingenäht, der Rock glänzte mit den Edelsteinen, dessen Namen ich nicht einmal wirklich kannte. Ich fühlte mich seltsam in diesem Kleid. Ich kam mir so unbedeutend vor. Es war einfach ein seltsames Gefühl.
Die Schneiderin wollte noch ein letztes Mal das Kleid an mir sehen. Mit ihren kleinen Nadeln nahm sie noch kleine Verbesserungen vor. Es war unglaublich, wie sie so etwas hervor zaubern konnte. Zwar gefiel mir das Kleid nicht sonderlich, aber dass es ein wahres Kunstwerk war, konnte man nun nicht verleugnen. Sie musste sehr gut in dem sein, was sie tat. Ich war der festen Überzeugung, dass nicht jeder Schneider solch ein Werk vollbringen konnte.
„Ich bin gleich fertig, Crystal", meinte sie.
Wir duzten uns bereits schon, da wir uns in letzter Zeit sehr oft gesehen hatten. Obwohl sie schon eine Berühmtheit in dieser Branche war, war sie überhaupt nicht überheblich oder arrogant. Sie war ein bodenständiger Mensch und auch sehr nett. Wahrscheinlich war das auch irgendwo ihr Schlüssel zum Erfolg, denn man fühlte sich sehr wohl bei ihr. Dass ich mich mal neben einem Menschen wohlfühlte! Ich änderte mich sehr, wurde offener und sozialer. Ich, die große Einzelgängerin. Aber was sollte man auch machen, wenn man einmal seinen guten Freund verloren hatte? Wie konnte man da noch über sein Herz bringen, jemandem erneut so nah zu sein? Nein, nicht daran denken jetzt...
„Was ist los?", fragte mich Dakota, meine Schneiderin.
„Nichts", lautete meine schlichte Antwort. „Warum?"
„Weiß nicht, hast auf einmal glasige Augen bekommen."
„Alles gut", versicherte ich ihr und sie fuhr mit ihrer Arbeit fort.
Weiterhin betrachtete ich mich im Spiegel und sah ihr zu. Eigentlich war das Kleid schon fertig, jedoch wollte sie kurz vor der Hochzeit nochmal es an mir sehen, damit es auch am großen Tag hundertprozentig richtig saß. Perfekt sollte es sitzen. Wer hätte gedacht, dass ich, die Ratte aus der Gasse, in die sich die Menschen nicht einmal hineintrauten, ein Kleid für mehrere Hunderttausend tragen würde?
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Zwei Frauen✅
Romance"Die Straßen wurden mein Zuhause, der Boden mein Bett, die Nacht meine Decke. Vergessen wie eine Ratte, verdammt zu einem Leben in einer Gasse." Vor weniger Zeit lebte Crystal noch auf den Straßen. Nun sollte sie die Frau eines der reichsten Männer...